Der plötzliche Kindstod ist für frischgebackene Eltern die größte Angst. Doch er ist sehr selten. Gefahren lauern in banalen Dingen: Lauflerngeräte, Tischdecken, Schnullerketten, Kissen, Putzmittel, Zigarettenkippen, Planschbecken … das alles kann für kleine Kinder zur Todesfalle werden. Stürze, Ersticken, Ertrinken und Vergiftungen sind bei kleinen Kindern die häufigsten schweren Unfälle, erklärt Dr. Annette Böwe. Die erfahrene Kinderärztin will Eltern und alle Erwachsenen, die mit Kindern zu tun haben, aufklären, wie man Gefahren verhindern kann und im Notfall richtig reagiert.
Ihr Wissen möchte die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im Ruhestand ehrenamtlich weitergeben und wurde dafür vom Familienzentrum der IG Frauen und Familie im Aha-Projekthaus Angermünde für Vorträge engagiert.

Große Unterschiede bei der Ersten Hilfe

„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, deshalb unterscheidet sich die medizinische Behandlung und auch die Erste Hilfe bei ganz jungen Patienten erheblich“, betont Annette Böwe. Zu den häufigsten Situationen, die Eltern als beängstigend empfinden, gehören Fieberkrämpfe und Atemnot, wie etwa beim Pseudokrupp. Unfälle passieren häufig durch Stürze vom Wickeltisch oder von der Treppe, zum Beispiel mit Lauflernhilfen, von denen die Kinderärztin vehement abrät, durch Verschlucken von kleinen Teilen, Chemikalien oder giftigen Pflanzenteilen, Verbrennungen durch heiße Flüssigkeiten oder am Herd sowie Ertrinken in Gartenteichen oder Planschbecken.

Muss man immer in die Rettungsstelle fahren?

Doch woran erkennt man einen echten Notfall? „Kleinkinder haben kein Gefahrenbewusstsein und ein viel langsameres Reaktionsverhalten. Sie sind kleine Entdecker, die alles erkunden und untersuchen wollen, oft mit dem Mund“, erklärt die Kinderärztin. Das birgt Risiken. Ihr Körperschwerpunkt ist durch den größeren Kopf anders als bei Erwachsenen, deshalb stürzen sie meistens auf den Kopf oder fallen mit dem Gesicht ins Wasser und kommen nicht mehr von allein hoch. „Schon in 20 Zentimeter tiefen Gartenteichen sind Kinder ertrunken“, mahnt die Ärztin.

Sturz vom Wickeltisch

Auch Stürze von der Wickelkommode sind nicht selten. „Babys können sehr mobil sein und sich urplötzlich umdrehen. Deshalb sollte man sie niemals aus den Augen lassen und alle Utensilien vorher griffbereit stellen. Hat man doch etwas vergessen, nimmt man das Kind stets auf den Arm“, sagt Annette Böwe.
In die Badewanne gehören Kleinkinder nur unter Aufsicht, auch wenn sie schon sicher sitzen oder laufen können, und erst, wenn die Wassertemperatur geprüft wurde. Und weil Babys und Kleinkinder alles mit dem Mund untersuchen, gehören Putzmittel, Medikamente und alle kleinteiligen Dinge außer Reichweite.

Zigarettenkippen sind für Babys tödlich

Lebensgefährlich für Kinder sind z. B. verschluckte Knopfbatterien, wenn es mehr als eine ist, Spülmaschinentabs wegen der stark ätzenden Wirkung, Tabletten wie Paracetamol und auch Zigarettenkippen. „Eine Zigarettenkippe oder 500 mg Paracetamol können für Babys tödlich sein“, warnt Annette Böwe. Bei Vergiftungen sollte man Kinder niemals zum Erbrechen bringen. Salzwasser und Milch sind tabu. Stattdessen reicht man dem Kind viel Wasser, Tee oder Saftschorle, um das Gift zu verdünnen. Auch medizinische Kohle, 1 Gramm pro Kilo Körpergewicht, kann helfen, wird von Kindern jedoch oft verweigert.

Nummer vom Giftnotruf speichern

Bei schäumenden Mitteln wie Fit kann man entschäumende Mittel reichen, zum Beispiel Tropfen, die gegen Blähungen wirken. In jedem Fall sollten Eltern die Mittel, Pflanzenteile oder Samen, von denen das Kind etwas verschluckt hat, aufheben und die Giftnotrufnummer 030 19240 am besten schon vorher ins Handy einspeichern.
Neben Vergiftungen kommen auch Erstickungsunfälle relativ häufig vor, wenn Kinder Verschlucktes in die Luftröhre bekommen. Besonders gefährlich sind Erdnüsse, die deshalb außer Reichweite von Kindern gelagert werden sollten.

An Erdnüssen können Kinder ersticken

Ist es doch passiert, zeigt Annette Böwe, wie man den Fremdkörper am besten wieder aus den Atemwegen befreit. Man legt sich das Kind bäuchlings über das Knie und klopft nach oben streichend kräftig zwischen die Schulterblätter. Auch Verbrennungen können für kleine Kinder aufgrund ihrer geringen Körpergröße schnell bedrohlich werden. Bei Verbrennungen von mehr als zehn Prozent der Körperoberfläche (eine Handfläche entspricht etwa einem Prozent) gehört ein Kind schon bei Verbrennungen 1. Grades, also starker Rötung, vorsichtshalber zum Arzt.

Erste Hilfe bei Verbrennungen

Als erste Maßnahme hilft mindestens 15 bis 20 Minuten langes Kühlen, jedoch nicht mit eiskaltem, sondern mit lauwarmen Wasser, das etwas kühler als die Körpertemperatur sein sollte. Auch ein Schmerzmittel hilft. Alle Verbrennungen, die Blasen bilden, sollten ebenfalls einem Arzt vorgestellt werden. Verbrennungen 3. Grades sind immer ein echter Notfall für die 112.
Hohes Fieber mit Krämpfen ist dagegen in der Regel selten dramatisch, auch wenn es den Eltern oft Angst macht, vor allem beim ersten Mal. „Dann sollte der Kinderarzt abklären, ob etwas anderes als ein Infekt dahintersteckt. Ansonsten sind 39 und 40 Grad Fieber bei kleinen Kindern sehr häufig und noch nicht dramatisch“, erklärt die Kinderärztin.

Wie man hohes Fieber sanft senkt

Am genauesten misst man Fieber bei Babys und Kleinkindern übrigens im Po. Statt sofort mit Fieberzäpfchen und –saft anzukämpfen, sollte man lauwarme Brustwickel zur sanften Fiebersenkung anwenden. Wadenwickel strampeln sich die Kleinen oft ab.
Und was ist zu tun, wenn das Baby auf den Kopf stürzt oder vom Wickeltisch fällt? „Man muss nicht immer sofort in die Rettungsstelle, sondern sollte das Kind beobachten, ob irgendetwas anders ist. Reagiert es apathisch, wimmert es, wirkt es schläfrig, erbricht es sogar? Das sind ernste Signale! Ansonsten sollte man das Kind beruhigen, die Beule kühlen und es 48 Stunden lang beobachten, also auch beim Kind schlafen. Wenn Sie jedoch unsicher sind, rufen Sie den Arzt an“, rät Dr. Annette Böwe.

Bei Pseudokrupp an die kalte Luft

Auch Pseudokrupp wirkt sehr bedrohlich. Er äußert sich als bellender Husten mit Heiserkeit und Atemnot und tritt als Begleiterscheinung von Infekten meist nachts auf. Als Erste Hilfe hilft kalte Luft, also das Kind eingemummelt ans offene Fenster oder auf den Balkon bringen und vor allem beruhigen. Auch kalte Brust oder Halswickel helfen.
Ein wirklich dramatisches Ereignis ist der gefürchtete plötzliche Kindstod, der jedoch sehr selten ist.

Risiken für den plötzlichen Kindstod

„Die Ursachen sind noch nicht ganz geklärt, aber heute kennt man Risiken“, sagt die Kinderärztin. So sollten Säuglinge nicht in Bauchlage und nicht in zu warmen Zimmern schlafen. Kissen und Kuscheltiere im Kinderbettchen sind tabu. Rauchen sowieso. Am besten bettet man Babys zum Schlafen im Schlafsack auf den Rücken.
„Kindernotfälle sind nicht nur für Eltern, sondern auch für Profis immer Ausnahmesituationen. Das Wichtigste ist dann, Ruhe auszustrahlen, das Kind nicht allein zu lassen und besonnen zu handeln. Nichts ist für das betroffene Kind und schließlich auch für Arzt und Rettungskräfte schlimmer, als wenn die Mama panisch schreit oder weint“, mahnt Dr. Annette Böwe.

Wann ist es ein echter Notfall?

Ein echter Notfall liegt immer dann vor, wenn lebenswichtige Funktionen beeinträchtigt sind, die zuerst überprüft werden müssen. Dafür gilt die ABC-Rettungskette: Atmung, Bewusstsein, Kreislauf (englisch: Cycle). „Bei Kindern setzt bei Notfällen meist als Erstes die Atmung aus. Ein Kind mit Atemnot sieht krank aus. Es atmet sehr schnell, keuchend oder pfeift beim Ausatmen“, so Dr. Böwe. Bei Atemstillstand müssen Mund und Rachen von eventuellen Fremdkörpern gesäubert werden und sofort mit der Beatmung begonnen werden.

Wie man Babys richtig beatmet

Bei Babys werden Mund und Nase gleichzeitig beatmet. Bei Bewusstseinsstörungen reagiert das Kind nicht, auch wenn es die Augen offen hat. „Doch niemals darf man Babys schütteln. Dabei kann es ein tödliches Schütteltrauma erleiden, wenn Gefäße im Gehirn platzen“, warnt Annette Böwe. Den Kreislauf prüft man an der Halsschlagader. Bei Herzstillstand muss sofort mit der Druckmassage begonnen werden, bei Babys mit den Daumen auf dem Brustkorb im schnellen Rhythmus, zum Beispiel des Songs „Staying a live“.

Ruhe ist die wichtigste Maßnahme

Erst mit der Reanimation beginnen, dann sofort die Rettungsleitstelle 112 anrufen und weiter reanimieren, 30-mal beatmen, dann Druckmassage im Wechsel, solange bis der Notarzt kommt, falls das Kind nicht vorher wieder zu sich kommt. Panik machen will Dr. Annette Böwe nicht. Im Gegenteil: „Das Wichtigste für kranke Kinder ist Zuwendung und Ruhe, die Eltern ihnen geben, wenn sie die wichtigsten Hilfsmaßnahmen kennen und besonnen anwenden.“