Die Murmelbahn wird auch nicht durch elektrische Energie betrieben und es wird keine App benötigt, um sie zu steuern. Einzig Mechanik und Gravitation treibt sie an. Und wer das Museum kennt, weiß, hier darf oder soll sogar alles angefasst werden: spielerisch, haptisch lernen ist dort das Programm.
Die bläulich und grünlich schimmernden Kugeln, die über die etwa zwölf Quadratmeter große Fläche rollen, faszinieren nicht nur Kinder, auch Erwachsene werden in ihren Bann gezogen. Denn das, was sich nach einem Kinderspielzeug anhört, ist ein komplexes System aus Gefällen und Ebenen, Rinnen und Hindernissen: der Topografie des Oderbruchs nachempfunden.
Das Fließsystem des Oderbruchs mit Glasmurmeln sinnlich erlebbar zu machen – darauf muss man erst einmal kommen. "Es ist ein seit Jahren gehegter Wunsch von uns, die Wasserwege im Oderbruch auch spielerisch zu erfahren", sagt Kenneth Anders, der Programmleiter des Museums.
Er hatte die Idee zu diesem ungewöhnlichen Modell, nachdem er den Tourismus-Flipper im Verkehrsmuseum in Luzern sah. Dort kann mit Schweizer Klischees wie Käse, Schokolade oder Geldwäsche gespielt werden. Ein kleines Objekt, aber einer der größten Anziehungspunkte in diesem Museum. "So etwas können wir auch", dachte sich Anders. Gemeinsam mit Martin Porath vom Gewässer- und Deichverband wurde das Terrain abgesteckt, das die Zusammenhänge des Fließsystems deutlich macht. Für die Herstellung wurde der Zimmermann Reinier Scheers gewonnen. "Für ihn ist es nicht nur ein gewöhnlicher Auftrag. Es ist ihm, wie man so sagt, eine Herzensangelegenheit", sagt Kenneth Anders. Ein handwerklicher Prozess sei entstanden, vergleichbar mit der Trockenlegung des Oderbruchs vor mehr als 250 Jahren.
So lange tüftelte Reinier Scheers zwar nicht an der Ausgewogenheit seines Systems, aber mehrere Monate habe ihn das Modell schon beansprucht, erzählt er. Immer wieder habe er kleine Details geändert, die Mechanik getestet oder das Gefälle korrigiert. Die Geschwindigkeit der Murmeln darf nicht zu hoch sein, aber sie dürfen auch nicht in der Bahn liegenbleiben.
Mittels hölzerner Handräder werden die Kugeln auf die Platte befördert und starten etwa bei Güstebieser Loose ihren Lauf. Einige fließen in Richtung Wriezen, andere in Richtung Hohensaaten und ein Teil der Kugeln durch die Gräben des Oderbruchs. Auch ein Dammbruch kann simuliert werden, der die Dörfer des Bruchs "unter Wasser" setzt. Zwei ebenfalls mit Handrädern betriebene Schöpfwerke fördern die aufgelaufene Kugelmenge weiter. In Hohensaaten verschwinden sie wieder in der Platte. Jeder, der die Anlage bisher sah, stand mit offenem Mund vor diesem handwerklichen Meisterstück.
In diesen Tagen montiert Reinier Scheers gemeinsam mit Frieder Oberländer, dem "Haustischler des Museums", die Einzelteile der Murmelbahn. Es wird noch einmal geschraubt und geschliffen, bevor morgen der neue Hingucker im Museum eingeweiht wird. Coronabedingt wird es dazu keine Veranstaltung geben. Besucher können aber das zurzeit täglich geöffnete Museum ab elf Uhr besuchen und die Murmelbahn ausprobieren. Besonders Familien haben vermutlich ihren Spaß. Mehr als 20 Personen dürfen derzeit allerdings nicht auf einmal ins Museum, Wartezeiten sind also möglich.