Bereits am Morgen hatte Stefan Settels am Bahnhof Flyer verteilt, die vor Vorurteilen warnen, erzählt er. Settels ist Koordinator für die „Partnerschaft für Demokratie Falkensee“ und war in dieser Funktion am 18. März bereits früh auf den Beinen und in der Stadt unterwegs. So mancher der vorbeihuschenden Menschen erklärte, er/sie hätten keine Vorurteile.
Das findet Settels schon bemerkenswert, sagt er und legt ein großes Plakat auf den Gehsteig in der Feuerbachstraße. „Zu viele gehen einfach über mich hinweg“, steht auf dem Plakat der Aktion „Vorsicht Vorurteile!“, mit der ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt werden soll. Der 21. März ist der internationale Tag gegen Rassismus und aus diesem Anlass finden vom 15. bis 28. März die internationalen Wochen gegen Rassismus statt.
Kunstaktion im Geschichtspark Falkensee
Zum Programm in Falkensee gehörte auch eine Kunstaktion im Geschichtspark. Hier zeigten Ingo Wellmann und Franka Geiser Kunst gegen Vorurteile. Im Geschichtspark Falkensee wird an die Schicksale der hier Inhaftierten Zwangsarbeiter erinnert. Von 1943 bis 1945 befand sich auf dem Gelände ein Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Mit der Kunst an dem geschichtsträchtigen Ort treten die beiden Künstler vom Kulturhaus am Anger dem Vergessen entgegen und für eine Gegenwart ohne Vorurteile ein.
Letzter freier Wohnort der Lyrikerin Gertrud Kolmar
Am Nachmittag traf man sich dann am ehemaligen Wohnhaus von Gertrud Kolmar in Finkenkrug. Der letzte frei gewählte Wohnort der Lyrikerin und ihres Vaters steht auf dem Gelände der Lessing-Grundschule und wird auch von ihr genutzt. Gertrud Chodziesmer veröffentlichte ihre Werke unter dem Namen Kolmar und war jüdischer Abstammung. 1938 musste die Familie das Haus in der heutigen Feuerbachstraße zwangsverkaufen und in eine sogenannte „Judenwohnung“ in Berlin umziehen.
Während einige Angehörige der Familie Chodziesmer noch rechtzeitig vor den Nationalsozialisten fliehen konnten, wurden Gertrud und ihr Vater Ludwig Chodziesmer verhaftet, verschleppt und ermordet.
Stolpersteine erinnern an Gertrud Kolmar und ihren Vater
Auf dem Gehsteig erinnern zwei Stolpersteine an ihr Schicksal. Davor kniet Hans W. Jakobi, 82 Jahre alt, auf dem kalten, harten Boden, wienert, putzt und poliert die Messingplatten bis sie wieder glänzen. Drei Mädchen sehen ihm dabei zu. „Das glänzt jetzt wie Gold“, ruft eines der Kinder ganz entzückt und mit leiser, sanfter Stimme fragt Jakobi, ob die Kinder die Bedeutung der Steine kennen. Die Mädchen verneinen und Jakobi erklärt, dass hier einst eine Künstlerin und ihr Vater wohnten und die Steine an sie erinnern.
So wie auch die Tafel am Haus, 1979 von zwei engagierten Finkenkrugern angebracht, erzählt Ines Oberling, von der Stolperstein Vorbereitungsgruppe Falkensee. Die Gruppe aus Ehrenamtlichen hält die Erinnerung mit den Stolpersteinen wach und bereitet damit dem Initiator der Idee dieses Gedenkens, Gunter Demnig, den Weg.
Gedichte werden vor dem Kolmar-Haus gelesen
Vor dem Haus lesen Klaus-Peter Mentzel und Cornelia Hellwig-Illies Gedichte von Gertrud Kolmar. In den Werken der Lyrikerin spiegelt sich die Zeit, ihr Leben, einst von der Schönheit der Natur, der Tiere, der Pflanzen bestimmt und später von Hass, Leid und Blut, von Vorurteilen, bevor das vernichtende Urteil fällt, bestimmt. Vorher spricht Bürgermeister Heiko Müller (SPD) begrüßende und mahnende Worte: „Es begann mit Vorurteilen und endete mit Mord.“ Und warnt vor dem Schaden für die einzelne Person, wie auch für die ganze Gesellschaft.
Rosengarten erinnert an Künstlerin
Ines Oberling erzählt aus dem Leben der Künstlerin Kolmar, aus ihren zehn Jahren, die sie in Falkensee-Finkenkrug lebte, vom Rosengarten, den sie so sehr liebte. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Im Garten der Galerie und Museum Falkensee erinnert ein Rosengarten an Gertrud Kolmar und eine Rose, die nach ihr benannt wurde, zeigt im Sommer ihre prächtigen Blüten. Die lange Zeit vergessene, große Lyrikerin sei inzwischen wieder in vielen Schulbüchern präsent, freut sich Oberling und seit zwei Jahren trägt ein Literaturpreis ihren Namen.
Vorurteile können jeden treffen
Von Vorurteilen können nahezu alle Menschen betroffen sein oder werden. Nicht nur Religion oder die Zugehörigkeit zu einer Nation oder Ethnie kann als Grund herhalten, auch Menschen mit körperlichen oder seelischen Merkmalen werden Opfer von Vorurteilen. Und offenbar ist es niemals zu spät, um diese Erfahrung machen zu müssen. So verteilt auch der Seniorenbeirat an diesem Tag Flyer, vielleicht auch aus entsprechender Erfahrung heraus. „Auch jeder ältere Mensch ist und bleibt einmalig“, heißt es hier.
Während vor dem Zaun der Lessingschule aus Kolmars Werken gelesen wird, toben im Hintergrund die Kinder um drei Säulen, die auf dem Gelände stehen. Sie ständen für die drei Weltreligionen, Judentum, Christentum und dem Islam, verrät Ingo Wellmann leise. Den spielenden Kindern scheint das egal. Sie spielen fangen, um jede Säule gleichermaßen herum.