Hoch oben steht ein Herr am Fenster, er trägt ein weißes Hemd, unter dem Kinn hängt ein blauer Mundschutz. Er sieht herab, denn gerade erhielt er die Nachricht, er möge aus dem Fenster schauen. Gerade noch rechtzeitig, denn schon im nächsten Moment erklingt mitreißende Musik. Zwei junge Frauen in figurbetonten, glitzernden Catsuits erobern den Hof, werden begleitet von zwei schicken, jungen Männern, wobei einer noch wahrlich sehr jung ist und einer Dame, die sich alsbald als Concierge des Zirkus Hermann Renz zu erkennen gibt.
Im Handumdrehen wird aus der Rasenfläche vor dem Fenster eine Zirkusbühne, die sogleich von Joey gestürmt wird. Bälle fliegen durch die Luft, werden geworfen und aufgefangen. Mercedes und Rachel, die beiden Schönheiten im körperbetonten Kostüm, wirbeln gemeinsam oder im Wechsel mit ihren Hula-Hoop-Reifen. Jimmy, der jüngste Spross von Tamara Renz, wird später das Lasso schwingen und knallen lassen. Was besonders in einem Innenhof wie diesen ordentlich rumst. Und oben steht der Herr im weißen Hemd und staunt. Denn der ganze Zirkus, der gilt ihm.
"Wir feiern alle runden Geburtstage mit schönen Veranstaltungen, gehen aus, es soll immer ein besonderer Tag sein", sagt Christine aus Falkensee. Sie ist die Tochter des Herren oben am Fenster. "Mein Vater hat heute seinen 90. Geburtstag und ich wollte ihm etwas ganz besonderes schenken", erzählt sie weiter. Doch in Corona-Zeiten ist alles anders, vieles nicht machbar. Und da fiel ihr der in Falkensee festsitzende Zirkus Renz ein. "Ich hatte davon in der BRAWO gelesen und dachte mir, das wäre doch eine schöne Idee, eine Zirkus-Vorführung vor dem Fenster. Ich rief Tamara Renz an und sie sagte gleich zu", erzählt sie weiter.
Tamara Renz sagt, sie freue sich riesig. "Wir hatten am 7. März unseren letzten Auftritt. Wir sind ganz aufgeregt, dass wir heute wieder etwas darbieten können. Ganz besonders die Mädchen freuen sich", sagt sie. Der Zirkus musste im Rahmen der Corona-Einschränkungen den Betrieb einstellen. Die Familie entschied sich, in Falkensee zu bleiben. Da die Saison erst beginnt, ist die Kasse noch leer. "Wir dürfen auf der Wiese am Spandauer Platz bleiben, der Besitzer hat uns dazu eingeladen. Die Stadt hat uns die Festwiese am Gutspark angeboten", sagt Renz.
Sie hatten auch erst diesen Umzug in Erwägung gezogen, doch die Falkenseer haben davon abgeraten, erzählt Renz. "Dann seid ihr nicht mehr so im Blickfeld und werdet schnell vergessen", lautete der Ratschlag. Somit blieben sie an gewohnter Stelle. Tamara Renz ist noch immer beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Falkenseer. Sie sagt, sie erfahren viel Unterstützung.
Auf dem Innenhof sind die Menschen stehen geblieben. Man sucht sich ein Plätzchen mit ordentlich Abstand zu den anderen Zuschauern. Zwei Damen gönnen sich ein Glas Wein zur Vorstellung und bieten prompt auch anderen spontanen Zuschauern ein Gläschen an. Auch die Balkone füllen sich, Beifall schallt durch den Hof. Staunende Kinderaugen verfolgen die Show, kein Blick mehr für die verwaisten Spielgeräte. Alle genießen den magischen Moment im Sonnenschein, klatschen, staunen, freuen sich. Oben steht das Geburtstagskind, unten seine Tochter, winkt hinauf. Für eine halbe Stunde feiern die Bewohner eines ganzen Innenhofes mit dem Herrn am Fenster mit. Der hatte nicht nur ein ungewöhnliches Geburtstagsgeschenk. Die Freude konnte dann doch, auch ohne direkte Nähe, geteilt werden. Als die Zirkusfamilie die Show mit einem Geburtstagsständchen beendet, werden sie musikalisch von den Hausbewohnern begleitet.
Die Zirkusfamilie plant übrigens eine Danke-Schön-Vorführung für die Zeit nach den Corona-Einschränkungen. Damit möchten sich Tamara Renz und Familie bei allen bedanken, die ihnen durch die schwere Zeit halfen.