Und das, obwohl die Staatssicherheit doch alles daran setzte, Betriebe der Region zu infiltrieren und mit Informellen Mitarbeitern zu überziehen. Rüdiger Sielaff, Leiter der Frankfurter Außenstelle des Bundesbeauftragten für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU), hat zahlreiche dieser Fakten zusammengetragen. "Die Stasi hatte Einfluss auf die Biografien vieler Menschen", schätzt er ein. "Nicht jeder hatte eine Akte, denn viele Strukturen wirkten mit im Kanon der Überwachung", so der Fachmann. Von der Post- und Passkontrolle bis zur Raumüberwachung mischten sich Behörden in das Leben der DDR-Bürger ein.
Im Fall der Explosion, die dazu führte, dass das Werk ein Jahr lang nicht in Betrieb war, untersuchte auch die Kriminalpolizei den Sachverhalt. Eine Selbstentzündung in einer Getreidezelle gilt heute als mutmaßliche Ursache für das Unglück.
Oberstes Ziel in der DDR war die Planerfüllung. Alles, was diese gefährden konnte, wurde hart geahndet und verfolgt. Besonderes Augenmerk lag so auf den Betrieben.
Die Kreisdienststelle in der Straße der Jugend 110 in Eberswalde unter der Leitung des Oberstleutnants Detlef Rüdiger, zuvor von Oberst Heinz Kirschke mit den Stellvertretern Norbert Kambor und Jürgen Stockfisch, hatte die Kombinate voll im Blick. 68 hauptamtliche Mitarbeiter und zuletzt 405 IM, in Spitzenzeiten sogar weit über 600, überwachten die mehr als 82 000 Einwohner des Kreises Eberswalde. In 43 Regalmetern waren die personenbezogenen Vorgänge gestapelt. Bis zum 5. Dezember 1989, dann setzte die Stasi-"Aktion Blau" mit dem Vernichten von Akten der Sache ein Ende. Verkehrswege, Agrarbetriebe, Bauwesen und andere Bereiche waren genau erfasst. Unter Politischer Untergrundtätigkeit (PUT) und politisch-ideologischer Diversion (PID) wurde Auffälliges gelistet.
Der VEB Krankbau, das Walzwerk Finow, der VEB Schweinezucht- und -mastkombinat, das SZME, gelten als wichtige Objekte in der Region. Fleisch, Kräne und Stahl gehen in den Westen. Valuta mussten her. Die Versorgung der Hauptstadt Berlin war zu sichern. Der VEB Kraftfuttermischwerk Eberswalde, aber auch das Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde werden überwacht. In Letzterem, vermerkte die Stasi, traten Jugendliche "als Träger und Vertreiber der PID in Erscheinung". Und zwar "durch Schmieren von Losungen feindlich-negativen Inhalts, Verbreiten klerikaler Schriften, Delikten öffentlicher Herabwürdigung und als Antragsteller auf ÜS in die BRD", heißt es in den Akten. Insgesamt 118 Personen aus dem Bereich Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft waren Anfang der 1980er-Jahre "operativ angefallen", vermerkte die Stasi: "Davon neigen 41 Menschen zum Verbreiten der PID oder zu Handlungen des politischen Untergrundes."
Probleme an Kabeln
Weitere industrielle Schwerpunkte der MfS-Bearbeitung waren der VEB Chemische Fabrik Finowtal, das Chemotechnische Laboratorium Finowfurt, das Schiffshebewerk Niederfinow, der Staatliche Forstwirtschaftliche Betrieb, der VEB Schiffswerft Oderberg, VEB BMK Ost, Betrieb 8 (GAN Spezialbauten) und der VEB Spezialbau Eberswalde.
Im VEB Kranbau ist 1989 besonders die Überwachung eines Reisekaders, der ins nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW) durfte, aufgeführt. Den Grund nennt Sielaff: "Bei Kränen für den Export in die Niederlande traten anhaltend Probleme an Stromkabeln auf." Deshalb hieß es bezüglich der Planerfüllung in den Akten: "Es werden lediglich Löcher zugestopft." IM "Rolf Peter" und ein weiterer IM aus dem Bereich Kranbau mit dem Decknamen "Wegener" berichteten, dass ein Reisekader abgelöst wurde, weil dieser bei seinem 16-jährigen Sohn den Empfang von Westsendern duldete. Im Schlachtbetrieb geriet ein Fleischer ins Visier, weil er von einem Fernfahrer eine Dose Bier annahm. Die Stasi vermerkte außerdem: "Die Kollegen trinken Onko-Kaffee." Aber auch "keine vernünftigen Lösungsmöglichkeiten" musste Oberst Kirschke notieren. IM "Landwirt" und "Rudolf" hieß es in Notizen über den Rat des Kreises, Abteilung Landwirtschaft, sollten leistungsfördernd "auf die Kooperationsräte" wirken. Dabei ging es um die Steigerung der Milchleistung. IM "Dieter" sollte wissenschaftliche Ergebnisse aus dem Institut für Bodenfruchtbarkeit Müncheberg, Bereich Eberswalde, in die Praxis umsetzen. Besonders im Fokus: der Bereich Agrarflug. Von Flugzeugführern bis zu den Beladekolonnen hatte die Stasi alles unter Kontrolle.
Zulieferungen bleiben aus
Dennoch: Bei den Materialzulieferungen hakt es, Qualitätsprobleme häufen sich im Kranbau Eberswalde. So gerät eine Person in der Chemischen Fabik Finowthal genauer in den Blick der Stasi, weil "der Verschleiß der vorhandenen technischen Basis" zunimmt. Im Juni 1989 erfasst ein Vorgang die Exportprobleme bei Kränen, die in die Niederlande gehen sollten.
Im Chemotechnischen Laboratorium (CTL) ist der IM-Bestand "unzureichend entwickelt", so die Aktenlage. Kontakte eines Münchener Institutes für Holzforschung zum Institut Forstwissenschaften Eberswalde sind nicht mehr aufzuhalten. Abhörprotokolle zeugen davon. Dass alles so schnell enden würde, hatte selbst die Stasi nicht gedacht.
Zahlen und Fakten zur Stasi-Unterlagenbehörde
Die Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) ist eine von zwölf Außenstellen der BStU. Sie ist die einzige im Land Brandenburg und verwaltet den Bestand der Bezirksverwaltungen von Frankfurt und Cottbus; die Unterlagen des früheren Bezirks Potsdam sind seit 2009 in Berlin. Im Archiv an der Oder lagern 7700 laufende Meter Akten, 1,68 Millionen Karteikarten und rund 1550 Säcke mit zerrissenem Material. Die geschredderten Akten lassen sich nicht mehr aufarbeiten. 1,8 Millionen Negative als Dias sind vorhanden, meist gänzlich unbeschriftet. red