Nichts geht auf Frankfurts Schienen und auch die Busse bleiben im Depot. Genau 24 Stunden lang dauert der Streik der Stadtverkehrsgesellschaft (SVF) seit Dienstag früh um 3 Uhr und betrifft auch den Schülerverkehr. Der Ausstand dauert länger als sonst üblich in den letzten Jahren, wenn es um Tarifkonflikte ging und Warnstreiks ausgerufen wurden und auch länger als in großen Teilen der restlichen Bundesrepublik.

Fahrer fordern Tarife auf Berliner Niveau

In Brandenburg liegt es an der Gemengelage, dass sowohl gegen den Bund gestreikt wird als auch gegen das Land. „Der Bund verweigert derzeit jegliche Gespräche zum Bundesmanteltarifvertrag“, so Helge Biering von der Gewerkschaft Verdi. „Das ist den Beschäftigten gegenüber respektlos.“ Dabei geht es hier nicht um ganz große Lohnsteigerungen, sondern hauptsächlich um sechs Punkte die bundesweit neu geregelt werden sollen. Unter anderem soll das 13. Monatsgehalt vereinheitlicht werden und die sogenannten Wendezeiten als Arbeitszeit angesehen werden. Müsse ein Fahrer an einer Wendeschleife warten bis seine neue Tour losgeht, so gelte das bisher nicht als Arbeitszeit, so Helge Biering.

Viele Kraftfahrer bleiben nicht lange bei der SVF

Auf Landesebene gehe es darum, dass der Brandenburger Tarifvertrag an den Berliner Tarifvertrag angepasst wird, erklärt Christian Alter vom SVF, der Mitglied der Tarifkommission ist. „Viele, die in den letzten Jahren bei uns die Ausbildung zum Berufskraftfahrer angefangen haben, beenden sie nicht oder aber arbeiten jetzt woanders, weil es mehr Geld oder mehr Freizeit gibt“, hat er festgestellt. Man müsse etwas tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Der Brandenburger Tarifvertrag ist der schlechteste bundesweit“, so Christian Alter. „Der Berliner Tarifvertrag ist der zweitschlechteste – mit Hessen oder ähnlichen Bundesländern vergleichen wir uns gar nicht erst.“ Die Ansprechpartner im Land Brandenburg seien grundsätzlich gesprächsbereit, allerdings warteten sie natürlich, was beim Tarifkonflikt mit dem Bund rauskomme, erklären die Streikenden die schwierige Ausgangslage.

Die Linke will Arbeitsverhältnisse wie in Westdeutschland

Auch Tom Berthold, stellvertretender Kreisvorsitzender der Linken in Frankfurt, unterstützte die Streikenden vor Ort. „Die Kollegen und Kolleginnen der Verkehrsbetriebe haben uns während der Corona-Krise täglich verlässlich an unsere Ziele gebracht und tun dies auch weiterhin. Sie waren und sind systemrelevant. Dafür sollten sie 30 Jahre nach der Wiedervereinigung keine schlechteren Arbeitsverhältnisse als im Westen haben“, findet er. „Es ist längst Zeit, Urlaub und Überstundenbezahlung auf West-Niveau zu heben und bundeseinheitlich zu regeln.“ Für die Gesprächsverweigerung des kommunalen Arbeitgeberverbands auf Bundesebene hat er ebenfalls kein Verständnis.
Die SVF muss sich auf ihrer Facebook-Seite einiges an Kritik anhören, als der Streik verkündet wird. Eine Mutter will ihr Kind zu Hause lassen, ein anderer beschwert sich, dass Menschen, die kein Geld für ein Taxi haben, nun alle Termine absagen müssten.

Schüler organisieren sich selbst, Taxifahrer machen gutes Geschäft

Die meisten Frankfurterinnen und Frankfurter haben sich aber am Dienstag offenbar auf den Streik eingestellt. Keine großen Auswirkungen hatte er zum Beispiel auf den Schulbetrieb am Oberstufenzentrum „Konrad Wachsmann“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Nadine Heinrichs. Vereinzelt sei es vorgekommen, dass Schüler zu spät kamen. Aber sie hätten versucht, Fahrgemeinschaften zu bilden oder sich von jemandem mitnehmen zu lassen. Auch am Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium gab es keine größeren Ausfälle. Viele Schüler wurden früher zur Schule gebracht, kamen zu Fuß oder mit dem Fahrrad.
Am Bahnhofvorplatz schauen zwei mit dem Zug angereiste Herren etwas ratlos. Mit ihren Wägelchen machen sie sich dann zu Fuß auf nach Słubice, nachdem sie den Text auf der Anzeigetafel gelesen haben: „Streik“ steht dort in Laufschrift. An der Haltestelle Zentrum schaut ein älterer Herr auf die Anzeigetafel. Zum Hinweis, dass nichts fährt, entfährt ihm ein leiser, derber Fluch. „Dann muss eben alles bis morgen warten“, meint er und macht sich zu Fuß nach Nord auf.
Gute Geschäfte machen hingegen die Taxifahrer. „Das hat sich heute morgen wirklich gelohnt und auch jetzt noch“, sagen zwei am Vormittag. Lange Standzeiten gibt es für die Elfenbein-farbenen Wagen kaum, vielmehr brauchen Fahrgäste Geduld, wenn gerade ein Zug ankommt. Auch der Autoverkehr ist am Dienstag dichter. Der Brunnenplatz war am Vormittag schon fast komplett besetzt, schließlich ist neben dem Streik auch noch eine Seite der Karl-Marx-Straße gesperrt.