Auf den ersten Blick wirkt die Fachwerkbaracke, als sei sie bewohnt. Ein Fenster steht offen, ausgebaute Glasscheiben lehnen an der Wand, der Blick fällt auf Gardinen und Kunstgewerbe. Und wirklich: Noch vor gut zwei Jahren lebten dort Hennigsdorfer. Sie fühlten sich in den Räumen wohl, in denen einst Zwangsarbeiter vegetieren mussten. 1943, so die Recherche des Landesamts für Denkmalpflege, wurde die Wohnbaracke errichtet. Zwei ebenfalls noch existente und ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Waschküchen stammen aus dem Jahr 1942.
"Man hat uns mehr oder weniger ans Herz gelegt auszuziehen", erinnert sich Kerstin Helmecke, die mit ihrem Mann bis vor gut zwei Jahren in einer der Wohnungen "mit den schönen großen Räumen" gelebt hat. Schon damals aber sei die Baracke baufällig gewesen. "Sie wurde mit Außenbalken abgestützt", erinnert sich Helmecke. Ebenso an den Tag, "als ich einen Knall gehört habe. Da ist die Decke in der Wohnung unseres ehemaligen Nachbarn runtergekommen".
Eigentlich sollten die drei Gebäude gar nicht mehr existieren. "Es gab Pläne, das Ganze abzureißen", bestätigt Rathaussprecherin Ilona Möser auf Nachfrage. Noch im vorigen Sommer hatten Pächter der benachbarten Kleingartenanlage vom beabsichtigten Abriss und dem städtischen Vorhaben berichtet, dort Erholungsgärten errichten zu wollen.
Doch zu dieser Zeit hatte bereits der Denkmalschutz das bauliche Relikt aus Nazi-Zeiten im Visier. Den Grundstein dafür, dass die Baracken der Nachwelt erhalten bleiben, hat allerdings ein Hennigsdorfer gelegt, der sich an den Denkmalschutz wandte.
Bereits im Juni 2017 hatte sich Denkmalpfleger ein Bild vor Ort gemacht. Im "Denkmalreport Brandenburg 2018/19" werden die seit August 2018 unter Denkmalschutz stehenden Baracken unter der Rubrik "Entdeckungen" geführt. Die Wohnbaracke gehörte zu einem Zwangsarbeitslager der AEG. Auf dem Gelände Eschen-/Apfelallee befanden sich zwei Lager für deportierte und zur Zwangsarbeit verpflichtete polnische Frauen und Männer (96 beziehungsweise 638 Plätze) sowie das sogenannte Lager Nummer 12029 mit einer Kapazität für 1 603 zwangsrekrutierte Ausländer. Als Hersteller der Wohnbaracken wird die Veltener Firma Döscher-Holzbau genannt (Quelle Stadtarchiv Hennigsdorf). "Die drei Baracken sind geschichtlich und wissenschaftlich bedeutsam", lautet die Einschätzung des Landesamts für Denkmalpflege.
Für Auflagen, die den Erhalt der Baracken sicherstellen sollen, ist laut Landesamt die dem Kreis untergeordnete Untere Denkmalschutzbehörde zuständig. Kreissprecherin Constanze Gatzke teilte mit, dass die Stadt als Eigentümerin dafür sorgen müsse, Regenentwässerung und Dach intakt zu halten. "Dies ist hier der Fall, weshalb die Untere Denkmalschutzbehörde derzeit keine weiteren Maßnahmen zum Erhalt des Denkmals von der Stadt Hennigsdorf erwartet", so Gatzke. Die Gefahr von Vandalismus sei gering, "da sich das Denkmal in keinem abgelegenen Gebiet befindet". Nachbarn in dieser äußersten Stadtrandlage sind ein Hundesportplatz und eine Gartensparte.
Offene Fenster sollen nun verschlossen werden. Eine Absperrung wird es laut Stadtsprecherin Ilona Möser nicht geben. Im Gegensatz zum Kreisdenkmalpfleger weiß sie aber von einer weiteren Auflage, die genau von dort kommt: "Wir müssen einen Vorschlag erarbeiten, wie mit dem Denkmal umzugehen ist." Ein Zeitplan dafür liege noch nicht vor.

Zur Geschichte

■ In Hennigsdorf gab es zwischen 1940 und 1945 exakt 33 Lager für Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Das größte Lager befand sich an der Neuendorfer Straße und hatte eine Kapazität für 4 998 Insassen. Es war ein sogenanntes Westarbeiter-Lager.

■ In den Lagern für diese Westarbeiter galten etwas höhere Standards in Bezug auf Wohnraum und Ausstattung. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus Russland und Polen wurden schlechter behandelt. (rol)