Silvia ist 45 Jahre alt und seit acht Jahren alleinerziehend. Sie hat zwei Kinder großgezogen. Till (17) studiert inzwischen in Freiburg, Emma (15) geht aufs Gymnasium. Die Geschwister haben eine enge Beziehung – so wie Silvia zu ihren Kindern. Wir haben die Familie in Oranienburg zum Kaffee getroffen und mit Silvia und Till über Familienbindung, nerviges gesellschaftliches Mitleid und finanzielle Hürden gesprochen.
Im Prinzip sei sie schon vor der Trennung von ihrem Partner auf sich gestellt gewesen, erzählt Silvia. Sie bietet das Du an. „Ich war für alles verantwortlich, trug die Last der Erziehung“, sagt sie. Till erinnert sich an den einen Moment nach den Sommerferien, als Gleichaltrige erzählten, was sie in den freien Wochen alles gemacht haben. „Ich habe meinem Vater beim Umzug geholfen“, sagte er. Er habe das mit Stolz vor der Klasse vorgetragen. Till hat unter seinem Vater gelitten. „Es war mau“, sagt er heute über die Vater-Sohn-Beziehung. Er deutet Gewalt an. „Für die Kinder war die Trennung eine Erlösung“, sagt Silvia. Ohne Vater habe ihm „nichts gefehlt“, so Till.

Voller Kühlschrank ist ihr „Monk“

Emma, die an dem Gespräch nicht teilnehmen möchte, wollte anfangs das Familienleben zu viert zurück. „In ihrer Klasse gab es kaum Kinder mit alleinerziehenden Eltern“, erklärt ihre Mutter. Das habe sich aber schnell gelegt. Seit anderthalb Jahren gibt es kaum Kontakt zum Vater, auch wenn Till und Emma ihn jederzeit sehen konnten. „Mir war wichtig, das zu ermöglichen“, sagt Silvia. Die Kinder sollten wissen, woher sie kommen. Verletzter Stolz spielte deshalb keine Rolle. Sie ist selbst das Kind einer alleinerziehenden Mutter. Kontakt zum Vater bekam sie nicht. „Ich wollte es besser machen, konnte besser reflektieren als meine Mutter.“
Sie wollte generell vieles anders machen als ihre Mutter, die ihre Aufmerksamkeit oft anderen Dingen schenkte. So hatte und hat Silvia, anders als ihre Mutter, die Finanzen im Griff. War der Kühlschrank in ihrer Kindheit immer leer, ist er bei Silvia stets voll – zur Freude ihrer Kinder und Freunde. „Das ist mein Monk“, sagt sie, auf die neurotische Hauptfigur der gleichnamigen Serie anspielend.
Den Großteil ihrer Zeit widmete und widmet sie noch heute Till und Emma, die Wohnung ist immer offen für Freunde. Ein neuer Partner war trotz einiger Versuche auf Dating-Apps nicht angedacht. „Ich bin nicht aktiv auf der Suche.“ Doch die Gesellschaft macht Druck. Alleinstehende werden oft als verzweifelt suchend, als unglücklich und nicht vollständig angesehen. Auf Trennung reagieren Freunde und Nachbarn mit Sätzen wie „Ach, traurig, aber du findest schon einen neuen Mann“ und vor allem mit Mitleid. Filme und Literatur befeuern das Bild, Menschen seien unglückliche Hälften, die nur zusammengebaut als Paar Zufriedenheit erfahren können. Paulo Coelho lässt grüßen.
Silvia beweist das Gegenteil. „Ich bin glücklich und nicht aktiv auf der Suche“, sagt sie mit einem überzeugenden Lächeln. Sie brauche keinen Partner, der sie als Mensch komplettiert. „Ich fühle mich alleine vollständig.“ Doch nach acht Jahren steige der Druck von außen. Sie sehe es an den Blicken der Leute. „Ist sie nicht mehr beziehungsfähig?“, fragen diese. Doch sie forciere es nicht. Ihr geht es gut. Sie geht alleine spazieren, wenn ihr danach ist. „Ich definiere mich nicht über einen Mann. Nie wieder.“

Enge Bindung zwischen Mutter und Sohn

Ihre Kinder hat sie liberal und zur Selbstständigkeit erzogen. Sagt Till. „Wir hatten einen Rahmen, in dem wir selbst Entscheidungen treffen konnten“, erklärt er. Er will einmal in die Politik gehen, etwas verändern, seine queere Sicht miteinbringen vielleicht. Derzeit macht er am UWC Robert Bosch College sein internationales Abitur. Durch ein Vollstipendium kann sich die Familie die Privatschule leisten. Till diskutiert gerne, ausgiebig und leidenschaftlich. Seine Mutter habe nicht nur Akzeptanz, sondern auch eine ordentliche Debattenkultur vorgelebt. „Es ist immer auf Augenhöhe“, sagt Till. Eine Regel gab es dann doch: kein Fernsehen unter der Woche.
Die Bindung zwischen ihm und seiner Mutter könnte nicht enger sein. Wenn er auf dem Internat mit ihr telefoniert – fast täglich –, denken Mitschülerinnen und Mitschüler, er rede mit einer guten Freundin. Ihm ist das nicht unangenehm. Till ist selbstbewusst und klug genug, sich nicht für die Bindung zu seiner Mutter zu schämen. Der 17-Jährige und seine Schwester gehen mit Silvia einkaufen, hängen sonntags mit ihr auf der Couch und gucken „Bridgerton“ auf Netflix.
„Die finanzielle Last ist für eine Alleinerziehende das größte Problem“, sagt Silvia, die in der Geschäftsstelle vom Bundeselternrat arbeitet. Ein Auto hat die Familie nicht. Für Alleinerziehende, die Probleme mit dem Unterhalt habe, gebe es zwar einen Vorschuss bis zum 18. Lebensjahr der Kinder. „Das ist aber ein Wust an Papieren. Viele bekommen ergänzend Hartz IV“, sagt sie. Die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte kennt sich im Bürokratie-Dschungel aus, empfindet ihn nicht als undurchdringlich.
Dennoch wünscht siech andere Regelungen, beispielsweise über das Kindergeld, wenn Elternteile ihre Familie und Kinder verlassen. „Das würde bei vielen den Stresspegel senken.“ Schulmaterialien, Essensgeld, Klassenfahrten, neue Klamotten, Technik. All das kostet. Wenn nur ein Einkommen – und dann noch ein verhältnismäßig geringes – vorhanden ist in einem Haushalt, macht sich das bemerkbar.

„Das zweite Einkommen fehlt natürlich“

In Oranienburg haben Silvia, Till und Emma die Situation aber im Griff. Sie haben sich arrangiert – und dabei ein sehr starkes Familienband geknüpft. Auch wenn die finanzielle Situation im Hintergrund immer eine Rolle spielt. „Es hängt alles an einer Person, das zweite Einkommen fehlt natürlich.“
Die Familie konnte sich so über die Jahre keinen Urlaub leisten. „Wir haben dafür längere Ausflüge gemacht“, erzählt Silvia. Till störte das nicht, Emma eben sowenig. Silvia war 24 Stunden am Tag für ihre Kinder da. „Das ist sie immer noch“, sagt Till und legt den Arm um seine Mutter. Sie lächeln sich an, ganz vertraut und glücklich. Ein Moment, den keiner mit Geld aufwiegen kann.
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