Diesen und anderen Fragen gingen Richter und Verteidiger am Mittwoch intensiv nach. Im Zeugenstand saß der Ermittlungsführer, also jener Mann, der die verschiedenen Maßnahmen koordinierte und immer den Überblick behalten haben soll. Von 10.00 bis 18.00 Uhr sagte er aus, unterbrochen nur durch rund zwei Stunden Pause.  Und  nur drei der sechs Verteidiger konnten dabei ihre Fragen stellen.
Wie berichtet, sind fünf Männer und eine Frau aus Rathenow und der westhavelländischen Umgebung wegen bandenmäßigen  und bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angeklagt. Sie sollen, in unterschiedlichen personellen Konstellationen, Cannabis-Plantagen betrieben oder dabei geholfen haben. Ihren Anfang nahmen die Ermittlungen, als im März 2017 ein anonymes Schreiben beim Zoll eintraf, erzählte der Ermittlungsführer. Darin wurden Marc B. und René N., jetzt die beiden Hauptangeklagten, mit der Cannabis-Aufzucht in Verbindung gebracht. Genannt wurden auch einige Spitznamen von angeblichen Geschäftspartnern. Hauptabnehmer der Ware, so hieß es in dem anonymen Schreiben weiter, kämen aus Sachsen-Anhalt. Auch Kokain-Transporte aus den Niederlanden wurden erwähnt – für Letzteres gab es keinen Anhaltspunkt
Ab Januar 2018 wurden unter anderem - unter falschen Namen angemeldete - Telefone von B. und N. überwacht, beide zeitweise observiert und das Auto von N. mit einem versteckten GPS-Sender versehen. Auch ein Hubschrauber-Nachtflug mit einer Wärmebildkamera fand statt. Plantagen strahlen wegen des hohen Energie-Verbrauches heller.
Nach Einschätzung der Polizei lässt sich mit den so gewonnenen Daten vieles belegen: Dass B. sich immer in Rathenow und Umgebung aufhielt und damit nicht für eine Berliner Kanalbaufirma Baustellen im Bundesgebiet kontrolliert haben kann, und dass B. nur selten gemeinsam mit dem täglich vorbeischauenden N. die Plantage in Möthlow aufsuchte.
N. fuhr auch nach Großwudicke, ehe ab März 2018 der ebenfalls angeklagte Marco S. dort öfter anzutreffen war. Das Rathenower Haus in der Fehrbelliner Straße, in dem bei der Razzia im Juli 2018 ebenfalls eine Plantage entdeckt worden war, bezeichnete der Ermittlungsführer als "suspekt", mit abgedunkelten Fenstern. Auch mehrere Grundstückskäufe, die sich nicht aus dem Arbeitsentgelt finanzieren ließen, ließen die Polizei auf das Vorhandensein externer Geldquellen schließen. Er gestand indes ein: "Wir konnten gar nicht feststellen, wohin die Sachen, die geerntet wurden, gegangen sind."
Auch zu Sachsen-Anhalt als Hauptverkaufsgebiet gab es keine Erkenntnisse – sieht man von einem Besuch eines Stendaler Hells-Angels-Mitglieds namens Fips in Rathenow und einer der Plantagen im Juli 2018 ab. Zuvor hatten sich B. und N. schon einmal in Richtung Stendal aufgemacht – offenbar so schnell, dass die observierende Polizei nicht mehr folgen konnte. Ob die beiden Männer tatsächlich in der Altmark ankamen – der Ermittlungsführer wusste es nicht.
Mehr als zwei Stunden lang befragten zunächst die Richter den Ermittlungsführer, anschließend fragten zunächst drei der insgesamt sechs Strafverteidiger nach. Knappe vier Stunden lang suchten sie Lücken in der Beweisführung und nach Fehlern in den Aussagen. Woher weiß man, wo B. ist, wenn er sein Handy nicht anschaltet? Woher weiß man bei einer GPS-Überwachung, dass N. im Auto sitzt? Ist die Überwachung auf fünf Meter oder doch nur auf 200 Meter genau? "Nutzen Sie zivile oder militärische Technik?" Und warum soll es eine Bande sein, wenn Gespräche zwischen N. und S. nicht festgestellt wurden? Auch die Grundstücks-Käufe versuchten die Anwälte, mit einer Art Gesamtbetrachtung zu erklären – N. zum Beispiel kaufe Grundstücke preiswert, richte sie her und verkaufe sie teurer.
Die Anwälte stellten auch immer wieder den Ermittlungsansatz in Frage, der auf dem anonymen Hinweis und den Angaben einer "Vertrauensperson" beruhte. Wenn man in den Telefongesprächen nichts Verdächtiges höre und einen Handel mit dem angeblich geernteten Cannabis nicht finde – vielleicht sollte der Ermittlungsführer dann auch überlegen, ob der Ermittlungsansatz revidiert werden muss.
Gern hätten die Anwälte den Ermittlungsführer weiter befragt. Dann aber gab es wegen der BRAWO-Berichterstattung der vergangenen Wochen, die ein Verteidiger zirkulieren ließ, eine längere Pause. Das dort abgedruckte Plantagen-Foto, das das Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg nach der Razzia den Medien zur Verfügung gestellt hatte, ist offenbar nicht in den umfangreichen Prozessakten enthalten. Da auch vorher der Einsatzleiter nebulös mitgeteilt hatte, dass den Verteidigern "kaum etwas Relevantes vorenthalten worden" sei, beantragten die Anwälte die Unterbrechung des Verfahrens.
Nachdem die Richter sich rund 45 Minuten lang beraten hatten, wiesen sie den Antrag ab, der unter Umständen auch in einem Neubeginn hätte enden können. Sie gaben aber dem Ermittlungsführer auf, sich um die Vollständigkeit der Akte zu kümmern. Er soll am 3. April weiter aussagen – vorher, am 27. März, werden andere Zeugen gehört. Bis 13. Mai will das Gericht insgesamt noch acht Mal verhandeln.