In Politik und Kultur ist es üblich, Neue in ihrem Amt nach 100 Tagen zu befragen. "Wie ist es bisher gelaufen?" Seit Sommer ist André Nicke Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt. Auf das Interview hat er sich mit einem Spickzettel in roter und blauer Schrift vorbereitet. Er will das ihm Wichtige nicht vergessen.
Herr Nicke, was macht die Kunst?
Gerade muss Vieles auf einmal entschieden werden. Hier läuft der ganz alltägliche Wahnsinn.
Und wie sieht der aus?
Unser Hauptdarsteller im Märchen "Die Schöne und das Biest" ist krank geworden. Im Saal warten aber über 800 Zuschauer. Innerhalb von einer halben Stunde ist unser Souffleur Christian Hirseland eingesprungen. Es ist nicht normal, dass ein Souffleur die Rollen auswendig kann. Er hat ja das Textbuch auf dem Schoß. Aber Hirseland ist ausgebildeter Schauspieler. Der steht auf der Bühne und legt los.
Sie können das Märchen doch nicht ausfallen lassen.
Genau. Wir haben in dieser Woche jeden Tag Doppelvorstellungen, also Märchen um 9 und 11.30 Uhr. Am Abend gibt es Theater für Erwachsene, außerdem laufen Proben. Am Freitag haben wir den 10 000. Besucher im Weihnachtsmärchen begrüßt.
Das Märchen ist doch jedes Jahr ein Renner in der Vorweihnachtszeit.
Das war schon so, bevor ich in Schwedt angefangen habe. Ich will dem Theater aber noch mehr überregionale Aufmerksamkeit verschaffen. In der Stückauswahl ist das eine Balance zwischen dem, was das Publikum will, und dem, was man mit Mut selber machen möchte. Wir müssen unserer Aufgabe als Landestheater gerecht werden und behalten den Blick nach Polen bei.
Welche Stücke können diesen Anspruch erfüllen?
Mir geht es um die Öffnung unserer Bühne für Dramatik aus Osteuropa. Unsere Produktion "Ein Knochenjob" war der Türöffner und kam gut beim Publikum an. Das Stück steht am 9. und 10. Dezember zum letzten Mal auf dem Spielplan und wurde abgelöst von "Nürnberg" – ein hochpsychologisches Schauspiel.
Wie funktioniert das in "Nürnberg" mit den polnischen Übertiteln?
Es ist eine technische Möglichkeit und unsere Chance, noch mehr polnische Zuschauer in unser Theater zu holen. Neulich saßen 75 Schüler aus Stettin in "Nürnberg". Sie lernen Deutsch, fanden aber die polnischen Übertitel sehr hilfreich. Danach haben sie engagiert diskutiert. Diese Inszenierung hat sich sogar bis nach Warschau herumgesprochen.
Was hat Warschau festgestellt?
Unsere Produktion "Nürnberg" stammt von einem polnischen Autor. Bei uns lief die deutsche Erstaufführung des Stückes. Das ist einem Warschauer Institut aufgefallen, das vergleichbar ist mit dem deutschen Goethe-Institut. Die Warschauer haben den Anstoß gegeben, dass unsere Produktion am Maxim-Gorki-Theater Berlin gezeigt wird.
Wie erfüllen die Uckermärkischen Bühnen Schwedt ihre neue Aufgabe als Landestheater?
Wir wachsen da rein und machen das sehr gern. 2019 waren wir mit unseren zwei Klassenzimmerstücken für junge Leute 70 Mal außerhalb unterwegs. Mit anderen Produktionen waren wir 42 Mal unter anderem in Eberswalde, Frankfurt (Oder), Fürstenwalde und Bad Freienwalde. Richtiges Sprechtheater auf der Bühne zu sehen, ist für ein bestimmtes Zuschauerklientel ganz wichtig.
Dann stimmen die Finanzen, oder?
Wir werden es auch 2019 schaffen, unseren Wirtschaftsplan zu erfüllen. Außerdem ist es gelungen, dass Reinhard Simon zum 1. Vorsitzenden der deutschen Musicalakademie gewählt wurde. Damit rücken wir als Schwedter Theater in die verstärkte Wahrnehmung, dass hier deutsches Musical stattfindet. Die Grenzlage ist damit fast aufgelöst.