- Bei den Ermittlungen gegen den Verschwörungsideologen Attila Hildmann kam ein Spitzel ans Licht.
- Es hat in der Berliner Justiz offenbar einen Maulwurf gegeben.
- Eine ehemalige Mitarbeiterin der Berliner Generalstaatsanwaltschaft steht nach ARD-Recherchen in Verdacht.
- Sie soll Informationen an den Beschuldigten Hildmann weitergegeben zu haben.
Eine Justiz-Mitarbeiterin in Berlin soll Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann mit Informationen gefüttert haben. Bei diesem „Maulwurf“ handelt es sich nach Informationen des ARD-Politikmagazins Kontraste und des Rechercheformats STRG_F, das der NDR für funk produziert, um die 32-jährige M. aus Berlin. Sie soll unter anderem auf Unterlagen zum Ermittlungsverfahren gegen Hildmann zugegriffen haben. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin bestätigte nun auf Anfrage, dass gegen eine ehemalige Angestellte aus der IT-Abteilung der Behörde wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses und der versuchten Strafvereitelung ermittelt werde. Der Mitarbeiterin wurde laut Behörde fristlos gekündigt.
Attila Hildmann: Maulwurf bei der Staatsanwaltschaft
„Wir müssen leider von einem Maulwurf in den eigenen Reihen ausgehen“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Montag in Berlin. Die Frau sei bereits im Mai entlassen worden.
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt seit längerem gegen Hildmann, der sich inzwischen selbst als „ultrarechts“ und einen Verschwörungsprediger bezeichnet, wegen Volksverhetzung, des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Ein Haftbefehl gegen ihn kann nicht vollstreckt werden, da er sich in der Türkei aufhält. Laut Staatsanwaltschaft besitzt Hildmann neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft.
Unter anderem zu diesem Haftbefehl, den die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben im Februar dieses Jahres erwirkt hatte, soll die Frau Informationen an den Gesuchten weitergegeben haben. „Nachdem der Haftbefehl an Hildmann mutmaßlich durchgestochen wurde, hat die Generalstaatsanwaltschaft intensiv in den eigenen Reihen ermittelt“, teilte Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) mit.
Hildmann Haftbefehl: Spitzel warnte ihn vorab
Die Staatsanwaltschaft habe aufgrund von Äußerungen Hildmanns in den sozialen Medien kurz nach dem Erlass des Haftbefehls erfahren, dass der an die internen Informationen gelangt war, so Steltner. Der Verschwörungserzähler hatte nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ in der Nacht auf den 20. Februar über Telegram die Nachricht verbreitet, dass gegen ihn ein Haftbefehl vorliege. Zu diesem Zeitpunkt sei der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten gerade erst erlassen worden, er habe der Behörde noch nicht unterschrieben vorgelegen.
Aufgrund dieses Vorgangs sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden - zunächst gegen Unbekannt, so Steltner. „Dann haben wir sämtliche Abfragen in unserem Informationssystem gecheckt.“ Schließlich rückte die jetzt Beschuldigte in den Fokus: Die Frau sei auch bei einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen auffällig geworden und habe sich als Mitarbeiterin der Justiz zu erkennen gegeben.
Die Ermittler überprüften erneut die Informationssysteme und fanden heraus, dass die Beschuldigte Daten zu Personen aus der rechtsextremistischen und „Querdenker“-Szene abgefragt habe. „Wir haben die Person daraufhin fristlos gekündigt im Mai“, sagte Steltner. Im vergangenen Juli habe es bei ihr Durchsuchungen gegeben. Es seien Beweismittel sichergestellt worden. Diese würden noch ausgewertet.
Spitzel bei der Staatsanwaltschaft fliegt auf
Nach derzeitigem Ermittlungsstand geht die Staatsanwaltschaft nicht davon aus, dass zwischen den „Durchstechereien“ und der Flucht Hildmanns ein Zusammenhang besteht. „Er hat sich bereits Ende Dezember letzten Jahres in die Türkei abgesetzt, die Vorgänge über die wir sprechen, die fanden im Februar diesen Jahres statt“, erklärte Steltner.
Laut Berlins Justizsenator Behrendt hat die Generalstaatsanwaltschaft Maßnahmen erarbeitet, um den Zugriff auf Verfahren in den Behörden zu erschweren und besser zu protokollieren. „Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen“, sagte er.
Spitzel besucht Attila Hildmann in der Türkei
Neben der Weitergabe von Daten soll die Beschuldigte Hildmann auch Anfang des Jahres in der Türkei besucht haben. Dies behauptet ein ehemaliger Weggefährte von Hildmann, Kai Enderes, im Interview mit Kontraste und STRG_F. M. habe auch den Haftbefehl an Hildmann weitergegeben, so Enderes. Die Justiz will nun Konsequenzen aus dem Datenskandal in der Generalstaatsanwaltschaft ziehen. Es soll zukünftig umfassender erfasst werden, wer wann auf welche Dokumente zugegriffen hat. Außerdem prüft die Strafverfolgungsbehörde, wie man die Daten in sensiblen Ermittlungsverfahren besser vor unberechtigtem Zugriff schützen kann, sagt ein Sprecher der Berliner Justizverwaltung auf Anfrage.
Interview mit Attila Hildmann – keine Aussage zur Beschuldigten
Die ehemalige Justizmitarbeiterin M. wollte zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen. Hildmann, der Kontraste und STRG_F ein Interview gegeben hat, wollte sich zu den konkreten Vorwürfen nicht äußern. Gegen Hildmann laufen seit vergangenem Jahr Strafverfahren wegen zahlreicher Taten, darunter Volksverhetzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Hildmann, der die deutsche und türkische Staatsangehörigkeit hat, soll sich derzeit in der Türkei aufhalten. Die Türkei liefert türkische Staatsangehörige nicht aus.
Reportage Attila Hildmann: Kontraste und STRG_F decken auf
- STRG_F, Montag, 1. November, 17.00 Uhr: Youtube STRGF
- Kontraste, Donnerstag, 4. November, 21.45 Uhr, Das Erste