Die Stimmung an diesem Vormittag ist gedrückt. Vor wenigen Tagen wurde der Verdacht zur Gewissheit, dass sich 13 von 21 Saisonkräften mit Covid-19 infiziert haben. Acht weitere, die mit ihnen in einer Arbeiterunterkunft in Lindenberg (Barnim) untergebracht sind, wurden zwar negativ getestet, sollten aber seit Freitagabend als Kontaktpersonen ersten Grades in Quarantäne. Vier davon sind in der Nacht zum Montag geflüchtet. Seitdem wird die Unterkunft im Auftrag des Landkreises von privaten Wachschützern kontrolliert. Auch Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Gemeinde Ahrensfelde kommen regelmäßig vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.
Warten auf die Ergebnisse
Am Dienstag und Mittwoch ist die gesamte Belegschaft von Havita auf Covid-19 getestet worden. Nun warten alle auf die Ergebnisse. Die Stimmung schwankt zwischen Hoffnung und Resignation. "Wie es geht? Uns fehlen die Leute, und von denen, die hier sind, hat jeder Angst um seinen Arbeitsplatz", beschreibt Klaus Bauer, einer der Geschäftsführer der GmbH, die Lage. "Drei Monate mit geringen Einnahmen wegen Corona haben wir schon hinter uns. Und Kurzarbeit haben wir nicht angemeldet, weil davon keiner seine Miete bezahlen könnte", sagt der gebürtige Tübinger, der seit 30 Jahren in Lindenberg lebt und im benachbarten Berlin-Wartenberg arbeitet. Nun kommt dem Produktionsbetrieb wieder Corona in die Quere.
Fernando Rodriguez gehört zu denen, die optimistisch bleiben. "Bis jetzt bin ich gesund", sagt der 49-jährige Portugiese, der seit 1995 im Betrieb arbeitet und mit Frau und zwei Kindern einen Steinwurf entfernt im nahen Hohenschönhausen wohnt. "Wir haben keine Angst vor dem Virus", beteuert Rodriguez und macht eine abwehrende Handbewegung, als wenn er damit Covid-19 verscheuchen will. Am späten Nachmittag dann die erlösende Nachricht: Nur zwei weitere Mitarbeiter haben sich infiziert, 38 Abstriche sind negativ. Die Auswertungen der restlichen zehn Tests stehen noch aus. Es sei müßig, darüber zu grübeln, wo sich die Frauen und Männer aus der Arbeiterunterkunft angesteckt haben könnten. "Da gibt es so viele Möglichkeiten. Das kann man überhaupt nicht nachvollziehen", sagt Geschäftsführer Bauer. Er versucht sein Bestes, versorgt seine unter Quarantäne stehenden Arbeiter in der Unterkunft mit Lebensmitteln, entsorgt ihren Hausmüll.
In Lindenberg verbreitete sich die Nachricht vom Anstieg der Corona-Infektionen erst am Mittwoch. Viele seien erschrocken, sagt Ortsvorsteher Frank Meuschke, der im Ort eine Gärtnerei betreibt. Allerdings müsse man auch sagen, dass es kaum Kontakte zwischen den Saisonkräften von Havita und den Bewohnern des Dorfes gebe. "Sie wurden morgens mit dem Kleinbus zur Arbeit abgeholt und abends wieder in die Unterkunft gebracht", erzählt er. "Wenn es überhaupt Begegnungen gab, dann höchstens beim Einkaufen", stellt der gebürtige Lindenberger fest. Außerdem würde das Ordnungsamt die Einhaltung der Quarantäne kontrollieren. "Wir hoffen also, dass wir hier keinen Lockdown bekommen", sagt Meuschke.
Auch Barnims Landrat Daniel Kurth erscheint dieser Schritt "nach aktueller Lage nicht notwendig". Die Hausbewohner stünden allesamt unter Quarantäne, würden durch den Arbeitgeber mit Lebensmitteln versorgt und auf dem Grundstück gebe es eine "kleine Möglichkeit des Aufenthaltes im Freien", begründet er, warum er auf einen lokalen Lockdown verzichtet.
Landesamt sieht keine schwerwiegenden Mängel
Eine Sonderprüfung der Fleischindustrie in Brandenburg und von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft hat keine schwerwiegenden Mängel zutage gefördert. Darüber informierte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Mittwoch bei der Präsentation der beiden Prüfberichte. Bei 11 Betriebsbesichtigungen in Betrieben der Fleischverarbeitung stellte das Landesamt für Arbeitsschutz 15 Mängel fest, 10 wurden als geringfügig, 5 als mittel eingestuft. Unter anderem wurde beanstandet, dass Hinweise auf den Mindestabstand und Hautpflegemittel fehlten. Als generelles Problem gilt, dass beim Zerlegen von Tieren niedrige Temperaturen und geringe Luftfeuchtigkeit herrschen, was Infektionen der Atemwege begünstigt.
Bislang gab es zudem keine Vorschriften, bei Umluftkühlungen Filter einzubauen. Das soll bundesweit geregelt werden. Die Hälfte der Beschäftigten in der Fleischindustrie sind einheimische Stammkräfte, die andere Hälfte arbeitet auf der Grundlage von Werksverträgen. Diese Arbeitskräfte stammen meist aus Polen, Rumänien und Indien. Ein Manko bei der Überprüfung war, dass die Unterkünfte von Mitarbeitern anderer Unternehmen (Werksverträge) vom Arbeitsschutz nicht überprüft werden können, sagte Ernst-Friedrich Pernack, Referatsleiter Arbeitsschutz im Ministerium. Hier sollen bundeseinheitliche Regelungen Abhilfe schaffen.
In den vergangenen Wochen wurden ein Dutzend Fälle von Corona-Infektionen bei Beschäftigten in der brandenburgischen Fleischindustrie registriert. Bei den Saisonarbeitern wurden 16 Spargelhöfe und 12 andere Erntebetriebe überprüft. Dabei wurden 23 Mängel festgestellt. So wurde beanstandet, dass die Reinigung der Unterkünfte nicht dokumentiert wurde. Ein Bußgeldverfahren ist noch in der Bearbeitung.
Gesundheitsministerin Nonnemacher schätzt die Corona-Fälle in Lindenberg als stark begrenzt ein. Es handele sich nicht um einen besorgniserregenden Hotspot. thi