Schon als Kind war Margot Wolf von Leierkästen fasziniert. Doch als sie anfing zu spielen, war sie fast schon im Rentenalter. Mit 104 Jahren ist die Berlinerin heute die älteste Drehorgelspielerin Deutschlands. Zum Geburtstag hat ihr der Verein ein Kirchenkonzert im Spreewald geschenkt. Besucher sind herzlich willkommen.
Jeden Morgen und jeden Abend klingelt in der Wohnung von Margot Wolf in Berlin-Buckow das Telefon. Dann erkundigt sich einer ihrer Drehorgelfreunde nach dem Befinden und erinnert sie daran, genug zu trinken. Das vergisst die zierliche Dame mit dem vollen weißen Haar nämlich gerne einmal. Doch gerade im Alter ist viel trinken besonders wichtig, wissen die Mitglieder der Internationalen Drehorgelfreunde Berlin. Sie wollen, dass ihr ältestes Mitglied weiter so fit bleibt. Schließlich geht es in einer Woche gemeinsam in den Spreewaldurlaub. Die Reise ist ein Geschenk. Margot Wolf ist am Montag 104 Jahre alt geworden und damit wahrscheinlich die älteste Drehorgelspielerin der Welt.
Das wollen die Dregorgelfreunde groß feiern. „Wir haben für sie ein hübsches Programm zusammengestellt, das altersgerecht angepasst ist“,  berichtet Margot Hohenhäuser, die in der Szene auch Jubeljette genannt wird und eine ihrer engsten Orgelfreundinnen ist. Die große Überraschung ist am 27. Januar ein Kirchenkonzert in der schönen Fachwerkkirche in Schlepzig (Dahme-Spreewald). Zehn Musiker wollen zu Ehren von Margot Wolf auf ihren Drehorgeln nicht nur Choräle, sondern auch bekannte Melodien aus Klassik, Oper und Operette spielen. „Wir haben in Schlepzig und Umgebung schon ordentlich Handzettel verteilt und hoffen, die Neugier der Brandenburger geweckt zu haben“, sagt Hohenhäuser, die auch auf viel einheimisches Publikum hofft.
Margot Wolf selbst kennt Drehorgelmusik schon seit ihrer Kindheit in Berlin-Rummelsburg. Damals zogen Versehrte aus dem Ersten Weltkrieg mit den Holzwagen durch die Straßen und Höfe, um ein paar Groschen zu verdienen. „Man wickelte Münzen für sie in Papier und warf sie auf den Hof hinunter“, erinnert sich die Berlinerin. Mit ihren Brüdern folgte sie den kurbelnden Musikanten von Haus zu Haus. „Wir sammelten das Geld vom Boden auf und legten es brav auf die Leierkästen.“
Dass sie selbst einmal in der Öffentlichkeit Musik machen würde, war für die Berlinerin viele Jahre unvorstellbar. Als ihr Mann eine schöne alte Holzorgel von einem Freund übernahm und sich damit auf den Kurfürstendamm stellte, hielt Margot Wolf erst einmal Abstand. Später begleitete sie ihn auf internationale Drehorgelfeste. Erst als ihr Mann ihr ein eigenes Instrument schenkte, fing auch sie an zu üben. „Ich drehte die Kurbel so schnell wie ein Weltmeister und es machte Spaß.“
Der erste gemeinsame Auftritt folgte 1976. Als der Mann starb, war es der Zusammenhalt im Verein, der sie durch die Trauerzeit brachte. Die erste Reise ohne ihn ging mit den Drehorgelfreunden zum internationalen Treffen nach Finnland. Bis heute ist Margot Wolf der Star beim Berliner Drehorgelfest, das jährlich im Sommer auf dem Breitscheidplatz stattfindet. Egal wie die Sonne knallt, sie schmeißt sich in Schale, zieht  ihr schwarzes Kostüm mit langem Rock und weißer Spitzenbluse an und setzt einen Hut mit lilafarbenen Federn auf. Gemeinsam mit dem Bezirksbürgermeister führt die freundliche Leierkasten-Lady dann in der Pferdekutsche den Zug von über hundert Drehorgelspielern aus mehreren Ländern an, die allesamt kostümiert sind und nur auf mechanischen Instrumenten spielen.  Margot Wolfs Töchter karren  die ebenfalls rund hundert Jahre alte Drehorgel an die Gedächtniskirche, wo ihre Mutter den Schneewalzer spielt, ihr absolutes Lieblingslied.
Obwohl sie inzwischen schlecht sieht und hört, wird die gelernte Kauffrau, die einst in der Wertpapier-Abteilung der Stadtbank arbeitete, vom Verein Jahr für Jahr zur Schatzmeisterin gewählt. Inzwischen hat sie einen jüngeren Helfer.  Er kommt ein Mal im Monat mit dem Laptop nach Buckow, macht die Buchhaltung und liest ihr anschließend die Abrechnung vor. „Sie passt auf wie ein Schießhund“, sagt Margot Hohenhäuser.
Auch ihre Schlagfertigkeit  hat Margot Wolf, die bis heute gerne flirtet, in 104 Jahren nicht eingebüßt. Als ein Gratulant nach einem telefonischen Geburtstagsständchen der Stammtischrunde riet, doch nun für alle einen Schnaps zu bestellen, sagte die Grande Dame der Drehorgelspieler: „Wunderbar. Und wen können wir als nächstes anrufen?“
Das Konzert der Drehorgelfreunde zu Ehren von Margot Wolf findet am 27. Januar um 11 Uhr in der Dorfkirche Schlepzig statt. Der Eintritt ist frei.