Die Menschen in Brandenburg haben schnell gehandelt – und sie waren großzügig. Innerhalb von gut zwei Monaten sind bei der Aktion „Wir helfen“ mehr als 957.000 Euro für die Opfer der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands zusammengekommen. Die Märkische Oderzeitung und die Lausitzer Rundschau hatten gemeinsam mit dem Landkreis Märkisch-Oderland und den Gemeinden Letschin und Wriezen um Unterstützung für jene Menschen gebeten, die durch das Hochwasser Mitte Juli fast alles verloren hatten.
Wie sieht es nun kurz vor Weihnachten im Ahrtal aus? Wie kommt der Wiederaufbau voran? In Sachen Infrastruktur sei es erstaunlich, was bereits funktioniert, sagt Paul Reuther, Mediziner und viele Jahre im Vorstand der Lebenshilfe Sinzig aktiv, mit Verweis auf die zumindest teilweise verkehrende Ahrtal-Bahn. Auch die Gasversorgung in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler funktioniert. Der Zustand vieler Gebäude sei aber nach wie vor katastrophal. Mancherorts sehe es aus wie an Tag eins nach dem Unglück.
Große Sorgen um das Seelenheil der Menschen im Ahrtal
Als Arzt mache er sich große Sorgen um das Seelenheil Zehntausender Menschen, die mit Flut-Schäden und Dauer-Stress konfrontiert seien, betont Paul Reuther. Er sehe viel Müdigkeit und Erschöpfung, das trübe Wetter mache es nicht besser. Gemeinsam mit den Krankenkassen habe man niedrigschwellige Therapieangebote aufgebaut. Aber gerade jene Menschen, die seelische Hilfe am nötigsten hätten, würden leider oft aus Scham verzichten. Man gehe nun mit Therapeuten-Teams direkt in die Haushalte. Eine sehr aufwändige, aber gute Strategie, ist Reuther überzeugt. Nur sei man nun leider an dem Punkt, dass die Helfer langsam nicht mehr können und selbst in die Knie gehen.
Lichtblicke seien zum Beispiel, dass Behinderte in ein hergerichtetes Hotel zurückkehren können, nachdem ihre Einrichtung zerstört worden war und sie zunächst in anderen Orten Zuflucht gefunden hatten. Zum neuen Jahr nehme ein notdürftig in Container-Bauweise errichtetes Gymnasium an der Ahr den Schulbetrieb auf. Und mancherorts gebe es regelrechte Siedlungen von neu entstandenen Mobilheimen und Tiny Houses für Menschen, die ihr Quartier an die Fluten verloren haben.
Die Kreisverwaltung ist handlungsunfähig, die Hoffnungen ruhen auf dem Land
Ein großes Problem sei die kopf- und führungslose Kreisverwaltung, die bereits während der Katastrophe versagt habe und davon bis heute traumatisiert und handlungsunfähig sei. „Vom Land kommt Hilfe. Die zuständigen Minister sind immer wieder vor Ort, und sie starten wichtige Projekte per Sonderfinanzierung“, erzählt Paul Reuther.
Was das bevorstehende Weihnachtsfest mit den Menschen macht, darüber will Paul Reuther gar nicht spekulieren. Der 74-Jährige lebt einige Kilometer entfernt und ist verschont geblieben. Man müsse sich vor Augen führen, dass in Bad Neuenahr-Ahrweiler die gesamte Innenstadt mit 260 Geschäften quasi weg sei. Auffällig sei aber, dass an der Ahr sehr viele improvisierte Cafés entstehen, in denen sich Menschen treffen können.
Die Vereine im Ahrtal haben keine Sportplätze mehr – und auch kaum Hallenzeiten
Auch bei Sport und Jugendarbeit sei nach wie vor viel Improvisationstalent gefragt, berichtet Jürgen Saess, Geschäftsführer des SC Rhein-Ahr Sinzig. 16 Vereine an der Ahr hätten nach wie vor keinen Fußballplatz, weil sie allesamt zerstört wurden. Es sei jedes Mal ein unglaublicher Organisationsaufwand, für Kinder oder auch Erwachsene den Trainings- und Spielbetrieb an anderen Orten auf die Beine zu stellen. Hallenzeiten seien jetzt im Winter besonders knapp.
Belastend sei außerdem, dass die Politik bislang nicht darüber entschieden habe, welche Plätze wann und wie wiederaufgebaut werden. Zur Diskussion steht, dass manche Anlage gar nicht erneuert wird, weil sie im bei einer nächsten Flut gefährdeten Gebiet liegt. Das sehe er kritisch, sagt Jürgen Saess. Ein Kunstrasenplatz müsse ohnehin nach 10 bis 20 Jahren erneuert werden. Also selbst wenn eines Tages wieder eine Flut komme, habe der Platz bis dahin wichtige Dienste geleistet. „Wir wollen, dass unsere Sportplätze wiederaufgebaut werden.“
Zehn Projekte profitieren von den Spendengeldern aus Brandenburg
Die von Menschen in Brandenburg gesammelten Hilfsgelder sind längst in der Flutregion eingetroffen. Zu den Empfängern der insgesamt 957.000 Euro gehören der Lebenshilfeverein Sinzig, der Winzerverein Ahrwein, die Hinterbliebenen der bei dem Unwetter getöteten sechs Feuerwehrleute sowie der Jugendtreff Ehrang-Quint in Trier und das Haus der Jugend Prüm. Außerdem profitiert der SC Rhein-Ahr Sinzig, dessen komplette Sportanlage samt Inventar ein Opfer der Fluten geworden ist.
Weitere Mittel der Aktion „Wir helfen“ gingen an in Not geratene Feuerwehrleute in der Region und an das Schullandheim und Jugendgästehaus Dalbenden in Urft bei Euskirchen. Auch der Tier-Gnadenhof Anna in Neukirchen im Rhein-Sieg-Kreis sowie der Verein für Katastrophenhilfe und Wiederaufbau AHRche e. V. werden unterstützt.