Die Stadthalle Cottbus ist am Dienstag, 7. März, eine Hochsicherheitszone mit Absperrungen, Polizisten und Einlasskontrollen. Selbst der Postkutscher muss sich ausweisen. Wenn der Bundeskanzler zum Bürgerdialog lädt, reichen Uniform, Horn und Zylinder den Sicherheitsbeamten nicht aus. Kai-Uwe Geske nimmt es gelassen, ist er sich doch gewiss, dass er noch seine Rolle ausfüllen wird.
Während in der Stadthalle in der Ablauf mit den 150 Brandenburgern geprobt wird, versammeln sich rund 100 Menschen im Regen. Mit Buhrufen, Trommeln und Pfeifen wollen sie dem Bundeskanzler vor der Stadthalle einen lauten Empfang bereiten. Aufgerufen dazu hatte das Bündnis „Bürger für Bürgerrechte“ in Cottbus. Eine Mischung unterschiedlichster regierungskritischer Interessengruppen.
Sie fordern auf Plakaten ein Ende der ihrer Meinung nach „künstlichen Inflation“ und der „künstlichen Energiekrise“. Auf ihren Bannern und Plakaten steht „Wir sind die rote Linie“, und „Ich bin nicht im Krieg gegen Russland“.

Der Kanzler in Cottbus – etwas Wichtiges aus dem Krieg gelernt

Dagegen widmet sich Olaf Scholz mit Ruhe im Forum auch genau diesen Fragen um Verhandlungen mit Russland, Waffenlieferungen an die Ukraine und die Ausstattung der Bundeswehr. Er nimmt sich Zeit für seine Antworten. So erklärt er in Bezug auf den Krieg in der Ukraine: „Wir können aus diesem Krieg auch etwas Wichtiges lernen, nämlich, dass wir auch in Deutschland wieder eine kontinuierliche Produktion militärischer Systeme brauchen. Bisher haben wir Waffensysteme stets nur auf Abruf bestellt. Das funktioniert nicht mehr, weil das Anfahren einer solchen Produktion zu lange dauert.“
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Er wirkt souverän und zugewandt, hört aufmerksam zu, bedankt sich für Fragen. Seine ruhige Art überträgt sich auf das Forum, genauso unaufgeregt wenden sich die Menschen an den Kanzler. Selbst der Anwurf eines Reichsbürgers, dass Deutschland kein souveräner Staat und ein Vasall der USA sei, kontert Olaf Scholz ruhig mit ausführlichen Erklärungen.

Cottbuser Oberbürgermeister wendet sich an den Kanzler

Die Themen sind so vielfältig, wie die Anzahl der Menschen im Forum. Es geht um Bildung und die Ärzteversorgung, um die Krise in der Pflege, um Fachkräftemangel in der Justiz und die Gerechtigkeit im Rentensystem. Die Forster Kommunalpolitikerin Doris Dreßler (Linke) stellt sich gleich mal als eine „sehr nervige Person“ vor und fordert im zweiten Atemzug mehr Unterstützung für die Kommunen.
„Sie machen die Politik, und wir müssen sie umsetzen, aber die Rahmenbedingungen sind nicht mehr gegeben“, sagt Dreßler. Dabei geht es ihr vor allem um die wachsende Zahl der Geflüchteten, um die sich die Kommunen und Landkreise kümmern müssen. „Das Personal fehlt für die Integration.“
Das Thema bewegt auch den Cottbuser Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD). Er nutzt den Kanzlerbesuch, um ebenfalls mehr Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen einzufordern. Es sei weniger eine Frage der reinen Unterbringung, betont das Stadtoberhaupt, sondern es gehe um mehr Personal und Räume in Kitas, Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Die Kapazitäten seien in Cottbus „fast komplett erschöpft“. Jetzt seien Bund und Land am Zug.

Handwerkerfrauen fordern mehr Tempo

Am Nachmittag hatte sich der Bundeskanzler mit einer Gruppe Frauen aus dem Handwerk getroffen, unter ihnen auch die Präsidentin der Handwerkskammer Cottbus, Corina Reifenstein. Viele Unternehmerinnen kämpfen nach der Corona-Pandemie und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine um das Überleben ihrer oft kleinen Betriebe, die aber für die Versorgung der Lausitzer so wichtigen Betriebe.
Nach dem Treffen mit dem Bundeskanzler zeigten sich seine Gesprächspartnerinnen zufrieden mit dem Gesagten. Jana Gerber, die Vorsitzende der Unternehmerfrauen: „Es war eine lockere, entspannte Runde, Olaf Scholz hat uns sehr ruhig zugehört und nachgehakt, wenn er etwas nicht einordnen konnte.“

Schlangestehen für Selfies mit Kanzler Scholz

Scholz versprach, bei den Treffen mit den Handwerksmeisterinnen die Bürokratie für die Betriebe abzubauen. „Wir müssen mit der Digitalisierung Trends brechen“, sagte Olaf Scholz. Sie müsse dazu führen, dass einiges wegfällt, dass es schneller geht.
Auch im Forum ist der Kanzler bemüht, Optimismus zu verbreiten, wenngleich er das auch auf seine zurückhaltende hanseatische Art macht. „Wir müssen uns klarmachen, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben, die uns eine gute Zukunft ermöglicht.“ Er spricht von neuen Windparks und Brücken, neuen Zugverbindungen und Wasserstoffkraftwerken. „Wir müssen ein Vertrauen entwickeln, dass unsere Leute das können.“ Und auf das neue Planungstempo gemünzt ergänzt er: „Dafür brauchen wir auch neue Abwägungsstrukturen.“
Zum Abschluss holen sich die Besucher noch ein Kanzler-Selfie. Dafür stehen sie genauso geduldig an, wie zu Beginn der Veranstaltung bei den Sicherheitskontrollen. Nur einer fehlt: Der Postkutscher hat es dann doch nicht bis zum Staatsoberhaupt geschafft.

Per Los zum Kanzlergespräch

In der Reihe Kanzlergespräch 2023 stellte sich Olaf Scholz (SPD) am 7. März den Fragen der Lausitzer.
Fast 400 Anmeldungen waren in den Redaktionen von Lausitzer Rundschau und Märkischer Oderzeitung eingegangen. Brandenburgerinnen und Brandenburger konnten sich über die Internetportale der beiden Zeitungen registrieren. Ein Losverfahren musste schließlich über die 150 Plätze entscheiden.