Marx selbst war Teilhaber einer Dachdeckerfirma, arbeitete als Tauchlehrer in der Dominikanischen Republik und fuhr leidenschaftlich Motorrad, als er die Krebsdiagnose erhielt. Nach der Operation eines Hirntumors 2009 musste er drei Monate lang künstlich ernährt und beatmet werden, war halbseitig gelähmt, musste erst wieder essen und laufen lernen.
Am heutigen Sonnabend will sich der Berliner, der nach der Krebs-Bestrahlung doppelt und nicht mehr räumlich sieht und deswegen Gleichgewichtsprobleme hat, auf den Sattel schwingen und zu einer 15.000 Kilometer langen Radtour nach Tokio aufbrechen. Ziel nach sechs Monaten: Die Paralympics 2020.
Für den 52-Jährigen ist eine solche Weltreise kein Neuland. Schon 2017 und 2018 erkundete Marx mit dem Rad in 17 Monaten 30 Länder. Doch diesmal ist Sven Marx nicht alleine. Auf dem zweiten Sattel des Spezial-Tandems nimmt Jürgen Pansin Platz. Der 63-Jährige ist blind.
"Ich habe mir überlegt, für wen wäre so eine Weltreise auf dem Rad so weit weg wie der Mond?", erklärt Marx, wie er auf die Idee kam. "Selbst die Route 66 sei ja für Rollstuhlfahrer mit dem Handbike zu bewältigen. Aber eine Radreise für einen Blinden..."
Wenn man dem anderen blind vertraut, ist alles möglich, glaubt Marx, der die Kommandos gibt, während beide in die Pedalen treten. Mit der Tour durch Deutschland, Polen, die Ukraine, Russland, Kasachstan, China, Südkorea und Japan wollen die beiden Berliner vor allem für mehr Inklusion und ein Miteinander werben. Wenn sie am Samstagmorgen um 10 Uhr am Brandenburger Tor starten, hoffen sie, dass viele Unterstützer sie ein kleines Stück begleiten.
Der erste Höhepunkt wartet schon am Antonplatz in Weißensee. Dort veranstaltet der Verein "Handiclapped – Inklusion Rockt" zu Ehren der beiden ein Konzert. Politiker und Parasportler wollen darüber diskutieren, was geändert werden muss, damit Behinderte und Nichtbehinderte uneingeschränkt zusammenleben können. Vom Netzwerk Inklusion Deutschland bekommen die Globetrotter eine Inklusionsfackel überreicht, die sie Ende August bei den Paralympics Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Tokio überreichen wollen.
Ansonsten haben sie neben einer guten Ausrüstung gar nicht so viel eingepackt. "Nach ein paar Stunden merken die meisten, dass sie viel zu viel mitgenommen haben. Dann kann man nur die nächste Post ansteuern und das Überflüssige zurückschicken", sagt Marx. Einen wärmeren Pulli könnte man im Zweifelsfall auch unterwegs kaufen. "Überall wo Menschen sind, gibt es auch Kleidung", ist seine Erfahrung.
Schlafen wollen die beiden im Zelt. "Das kann Jürgen inzwischen alleine aufbauen", sagt Marx. "Blind heißt ja nur, dass ein Sinn von vielen fehlt". Außerdem haben beide im vergangenen Jahr zusammen bei Touren zur Ostsee und auf den Brocken geübt.
Bei dem neuen Abenteuer gilt es, Gebirgspässe von 3.000 Metern und die Wüste Gobi zu bewältigen. "Wenn wir mal nicht fahren können, müssen wir halt schieben", bleibt Marx gelassen. Seine Grenzerfahrung hatte er 2015 in Ägypten. "Ich war in der Wüste und plötzlich habe ich nur noch Umrisse gesehen, wie auf einem alten Schwarzweiß-Fernseher, auf dem man alles ausschaltet." "Wie kommst Du hier nur wieder weg", fragte sich Marx, der nicht einmal Handyempfang hatte. "Doch nach wenigen Minuten war wieder alles normal. Später erfuhr ich, dass das Phänomen von hohem Blutdruck, der Hitze und der Anstrengung kommen kann."
Für einen, den die Ärzte einst schon zum Pflegefall erklärt hatten, ist die Geschichte eine Randnotiz. Mit der Tour will er zeigen, dass man nicht darauf hören soll, was andere sagen. Denn der Berliner ist überzeugt: "Wenn der Mensch sich neue Ziele setzt, ist eine Art Selbstheilung möglich."
Infokasten