"Für uns ist eine Welt zusammengebrochen", sagt Ralf Schulz. Er ist Vorsitzender des Eberswalder Karatevereins Isamu Karate, wo Enrico L. Mitglied war. Schulz hatte am Freitag davon erfahren, dass L. in Missbrauchsfälle verstrickt ist, weil er von der Polizei zur Person des Beschuldigten befragt wurde. Der Kampfsportler, in dessen Verein auch ungefähr 100 Kinder im Alter von vier bis 13 Jahren trainieren, geht offen mit dem Thema um. Er möchte nicht, dass die Sache auf den Verein zurückfällt und sämtliche Eltern die Kinder aus dem Training nehmen. "Ich muss mich ja verteidigen", sagt er.
Im Verein habe L. keine feste Gruppe angeleitet, sporadisch aber auch Kinder trainiert. "Enrico war seit sieben oder acht Jahren dabei und Ausbilder für Kinder und Erwachsene", sagt Schulz. Zum Trainingsprinzip aber gehöre seit Anbeginn, dass immer zwei Trainer während der Übungen anwesend sind und auch Eltern zuschauen. Grund für dieses transparente System sei ein Fall in der Schweiz gewesen, bei dem eine 14-Jährige ihren Kampfsporttrainern versuchten Missbrauch vorgeworfen hatte. Das habe die Szene sensibilisiert.
Missbrauchsfall erschüttert den Vorsitzenden des Karate-Vereins
Enrico L., den Schulz als Sportlerkollegen bezeichnet, habe sich im Verein völlig normal verhalten. Dessen Beteiligung in einem Missbrauchsfall erschüttert ihn derart, dass er seit Freitag kaum noch schlafen könne. "Unser System zielt ja gerade darauf ab, Kindern Mut zu machen, sich selbst zu helfen", sagt Schulz. Auch der Beschuldigte soll genau das an den Vereinsnachwuchs weitergegeben haben.
Die Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg fordert als Reaktion auf den Missbrauchs-Skandal von den Behörden und der Gesellschaft ein noch genaueres Hinschauen. "Wenn da ein wegen Kinderpornografie Vorbestrafter durch die Lande zieht und massive Straftaten begeht, wirft das Fragen auf", sagt Hans Leitner, der Leiter der Einrichtung. "Haben die Behörden auf mögliche Anzeichen geachtet? Sind sie offensiv mit ihrem Wissen über den Mann umgegangen?"
Wenn der Hauptverdächtige aus Münster eine Lebensgefährtin mit kleinem Kind habe, sei es durchaus zulässig, diese Frau darauf anzusprechen, mit wem sie sich da einlässt. "Offenheit ist guter Kinderschutz. Potenzielle Täter und ihr Umfeld sollten wissen, dass der Blick auf sie gerichtet ist." Der Rechtsstaat müsse alle seine Möglichkeiten ausschöpfen, fordert Leitner.
Für Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter stelle sich zudem die Frage, wie sie mit möglichen Auffälligkeiten bei Kindern umgehen. "Da gibt es auch auf professioneller Ebene viel Unsicherheit", gibt Leitner zu bedenken. Man müsse auf eine gute Qualifizierung der Pädagogen und eine angemessene personelle Ausstattung der Jugendämter achten.
Zu bedenken sei, dass sich Kinder kaum freimütig über Missbrauch äußern würden. "Oft wissen sie gar nicht, was da gerade mit ihnen geschieht." Opfer müssten öffentlich ermutigt werden, sich zu offenbaren.
Akteure mit bürgerlicher Fassade
Eine Herausforderung sei, dass sich Akteure in Pädophilen-Netzwerken sehr gut tarnen könnten. "Das sind keine Affekt-Täter." Sie würden planvoll vorgehen, sich eine bürgerliche Fassade geben. Das zeige der aktuelle Fall einmal mehr sehr deutlich. "Es ist ein Stück weit ihre Strategie, nicht abseits der Gesellschaft zu bleiben, sondern sich als nett und hilfsbereit zu zeigen. So fallen sie am wenigsten auf", sagt Leitner auch mit Blick auf den verdächtigen Familienvater aus Finowfurt, der auch Vorsitzender eines Kleingartenvereins ist.
Zu dem Tatverdächtigen wird weiter ermittelt. Erste Hinweise auf den Mann habe das zehnjährige Opfer gegeben, berichteten die Ermittler. Im Auto des Hauptverdächtigen sei die Adresse in Brandenburg gefunden und das Fahrzeug des 27-Jährigen sei auch in der Nähe von Schorfheide bemerkt worden. "Aber das waren noch keine belastbaren Beweise", sagte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Der Mann sei dann auf einem Video, das in Münster gedreht wurde, erkennbar gewesen. Daraufhin habe man ihn festnehmen können.