Vor fast genau einem Jahr hatte ein niederländischer Jäger bei einer Drückjagd in Potsdam-Mittelmark einen Wolf gezielt getötet, nachdem dieser mehrere Jagdhunde angegriffen und verletzt haben soll. Zuvor soll der Jäger in die Hände geklatscht und einen Warnschuss abgeben haben. Da der Wolf dennoch nicht von den Hunden abgelassen habe, sei er getötet worden, um die Hunde zu retten.
Der Schütze und sein Anwalt berufen sich auf eine Notstandslage. Doch das sieht die Staatsanwaltschaft Potsdam wohl anders. "Der zuständige Staatsanwalt hat mir telefonisch mitgeteilt, dass er Anklage erheben wird", erklärte am Montag Heiko Granzin, der Rechtsanwalt des Jägers, im Gespräch mit dieser Zeitung. Demnach könne die Anklagebehörde keinen Fall von Notstand erkennen. "Und selbst in einer Notstandssituation hätte mein Mandant nach Ansicht des Staatsanwalts nicht schießen dürfen."
Die Potsdamer Staatsanwaltschaft erklärte am Montag auf Nachfrage, sich erst Ende der kommenden Woche zu dem Fall äußern zu wollen.
600 Seiten dicke Akte
Rechtsanwalt Granzin betonte, dass man gegen einen eventuellen Strafbefehl umgehend Widerspruch einlegen werde, so dass es dann zu einer mündlichen Verhandlung komme. Das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen die Zahlung von 5000 Euro einzustellen, habe man bereits abgelehnt.
Die Akte zu dem Fall umfasse inzwischen 600 Seiten, zig Zeugen seien gehört worden, die den Ereignishergang bestätigt hätten. "Ein Tierarzt  hat die Bissverletzungen festgestellt. Ein Jagdnachbar bezeugt, dass erst geklatscht und dann ein Warnschuss abgegeben wurde", so Granzin. In den Augen des Rechtsanwalts könnte der Umgang mit dem Fall Signalwirkung haben. Eine Entscheidung gegen den Jäger könnte den Ruf nach Gesetzesänderungen lauter werden lassen. Konflikte zwischen Wölfen und Jagdhunden nehmen vielerorts zu. Anfang November 2019 erschoss in der Prignitz ein Jäger einen Wolf, nach eigenen Angaben um seinen Hund zu beschützen. Gegen den Mann wird ebenfalls ermittelt.
Verbände sind alarmiert
Der Deutsche Jagdverband und der Jagdgebrauchshundverband zeigen sich alarmiert. Sie riefen am Montag Jägerinnen und Jäger dazu auf, wegen drohender strafrechtlicher Konsequenzen in Wolfsgebieten keine Hunde mehr einzusetzen. "Der Gesetzgeber muss jetzt handeln und klare Regeln für einen derartigen Notstand entwickeln", sagte Helmut Dammann-Tamke, Vizepräsident des Jagdverbands. Das Gesetz schreibe den Einsatz von gut ausgebildeten Jagdhunden vor. Es sei inakzeptabel, dass sie im Einsatz nicht geschützt werden könnten.
Die Verbände empfehlen einen Blick nach Schweden. Dort könnten Jäger einen Wolf bereits töten, wenn er im Begriff ist, Hunde oder Nutztiere zu attackieren. Zuvor müsse allerdings versucht werden, den Wolf durch Rufen und Warnschüsse zu vertreiben. Beides sei im Brandenburger Fall gegeben gewesen.
An Jäger und andere Hundebesitzer appellieren beide Verbände: Bei vermeintlichen Wolfsattacken umgehend einen Tierarzt einschalten und eine DNA-Probe sichern lassen. Der Nachweis von Wolf-DNA sei nur wenige Stunden möglich. Die meisten Wunddesinfektionsmittel würden die Proben unbrauchbar machen.

Gutachten zum "rechtfertigenden Notstand"

Unter äußerst engen Voraussetzungen ist es möglich, bei der Tötung eines Wolfes zur Gefahrenabwehr straffrei auszugehen. Das ist die Kernaussage eines Rechtsgutachtens des Anwalts und FDP-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Kubicki. Er hatte die Expertise 2018 aus Anlass von vermehrten Wolfsangriffen auf Nutztiere präsentiert. Kubicki sagt mit Verweis auf Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs (Rechtfertigender Notstand), dass die Tötung eines angreifenden Wolfs für den Schützen ohne Strafe bleiben dürfte, wenn andere vorherige Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um Schaden von "besonders wertvollen Tieren" abzuwenden. Zuvor müssten zum Beispiel Warnschüsse abgegeben werden, so Kubicki. mat