Allein dieser Umstand verweist auf die – sagen wir gesteigerte – Volatilität des politischen Lebens im Lande. Kreiste früher alles Geschehen um die beinahe ewig, aber in permanent wechselnden Personalkonstellationen regierende Democrazia Cristiana, hat sich das Bild seit dem Zusammenbruch des alten Parteiensystems in den 90er-Jahren komplett gewandelt – und ist sich doch in gewisser Weise treu geblieben. Auf kein Land passt der Begriff der "stabilen Instabilität" besser als auf Italien, dem es gleichwohl gelang, trotz aller Probleme und politischen Verwerfungen, in den Kreis der wichtigsten Industriestaaten aufzusteigen. Trotz des Südens, der ein notorischer Krisenfall geblieben ist, während der Norden Teil des wirtschaftlichen Erfolgs des vereinten Europas wurde.
Dieser Erfolg steht gegenwärtig wieder einmal in Frage. Mit gravierenden Konsequenzen über Italien hinaus! Die Fallhöhe gilt es zu sehen, wenn es darum geht, welchen Weg die römische Politik in den kommenden Tagen einschlagen wird. Schafft ein Brachialpolitiker wie Matteo Salvini den Durchmarsch, dann rückt das Land noch weiter nach rechts, dann droht Europa ein weiterer Mini-Trump. Das Thema Euro-Austritt war schon zu Beginn der jetzt gescheiterten Koalition ein Thema, bevor es dann im offiziellen Regierungsprogramm nicht mehr auftauchte. Dennoch suchte Salvini seither immer wieder die Konfrontation mit Brüssel im Konflikt um Schulden, Haushalt und Wirtschaftskurs. Im schlimmsten Falle könnte er einen römischen Brexit anstreben. Dann wäre die EU, wie wir sie kennen, mausetot und die politische Landkarte Europas erinnerte an frühere Zeiten, deren katastrophale Folgen man gar nicht heraufbeschwören muss, um das nicht gut zu finden.
Ob die Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung, die gerade versuchen, sich selbst zu retten, und die Vertreter des Partito Democratico, die noch nicht wissen, ob sie dabei helfen sollen, die ganz großen Schicksalsfragen bei ihren Krisengesprächen im Sinn haben, ist zweifelhaft. Sie haben es allerdings in der Hand, die Agenda der nächsten Tage und Wochen zu bestimmen – bis dann tatsächlich Neuwahlen stattfinden. Dazu freilich müssen sich zwei, die bislang einander spinnefeind gewesen sind, in Windeseile annähern, um gegebenenfalls einen Regierungschef aus den eigenen Reihen zu bestimmen oder eventuell den Übergangspremier einer sogenannten Technokratenregierung zu stützen, der zunächst einmal bis Ende September einen Haushalt vorlegen kann, der das Land nicht in den finanziellen Ruin treibt. Die Beweglichkeit der italienischen Politik hat solche rettenden Auswege immer wieder ermöglicht; Lösungen, die aus dem Gröbsten halfen, aber meist von kurzer Dauer waren. Stabil instabil eben!
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