Dort trifft er Geneviève (Louise Chevillotte) wieder, eine Jugendliebe. Sofort ist sie bereit, sich von ihm in der Badewanne verwöhnen zu lassen. Als Luc einen Platz an der Ècole Boulle bekommt, zieht er in die französische Hauptstadt und lässt Geneviève, die von ihm schwanger ist, zurück. In Paris tritt eine dritte junge Frau – Betsy (Souheila Yacoub) – in sein Leben und stellt nicht nur seine kleine Wohnung auf den Kopf.
Die Hauptfigur in Philippe Garrels Berlinale-Film "The salt of tears" (Le sel des larmes) wechselt die Frauen so oft wie seine Unterwäsche. Er ist ein Don Juan, hat drei in sich verwobene Affären: erst die "Gefühlvolle", dann die "Sexuelle" und schließlich die "Dominante". In reizvollen Schwarz-Weiß-Bildern lenkt der Regisseur den Blick auf die Sehnsucht und Enttäuschung in der Liebe, und eine Hauptfigur, die unsympathisch ist und bleibt.
Veraltete Rollenbilder
Allein der Titel verspricht bereits viel Herzschmerz. Es sind vor allem Djemila und Geneviève, die unter Lucs Unentschlossenheit Tränen vergießen. Luc läuft ihnen davon, scheint unsicher. Ein allwissender Erzähler fasst diese Orientierungslosigkeit immer wieder zusammen. Zunächst wirkt diese Erzählweise noch unterhaltsam, versprüht Ironie über den Schmerz, sodass der ein oder andere Lacher nicht zu unterdrücken ist. Jeder weitere Versuch, Luc in seiner Unsicherheit zu erklären, bekommt jedoch eine lächerliche Note. Die Figur, die von Logann Antuofermo zwar gut gespielt wird, wirkt mit jeder Szene, unausstehlicher.
Obwohl Garrel versucht, das klassische Bild des Liebeskummers modern und locker aufzubrechen, verfängt sich der Film immer wieder in klischeebehafteten Rollen und platten Dialogen: die Frauen nackt unter der Dusche, Luc als hart arbeitender Schreiner oder die schwangere Frau, die das Kind als Produkt ihrer Liebe sieht, er aber als Hindernis für seine Zukunft.
Anders dagegen wirkt die Beziehung zwischen Luc und seinem Vater (André Wilms). Ihm gegenüber wirkt er aufrichtiger. André Wilms zeigt die anrührende Darstellung eines älteren Mannes, der im Leben nicht das erreicht hat, was er wollte, und nun seinen Sohn dazu motiviert, einem Ziel im Leben nachzugehen.
Garrel überfrachtet seine Geschichte
Zu platt nimmt "The salt of tears" die Feigheit eines Mannes unter die Lupe, der sich Auseinandersetzungen gern entzieht, während die Frauen ihm nachtrauern. Als Herzschmerzfilm einordnen möchte Garrel seinen Film nicht. Im Vordergrund stehe für den Regisseur keine bestimmte Kategorie. Vielmehr entstünden die Aussagen innerhalb eines Prozesses.
So offenbart sich innerhalb der Geschichte auch ein politischer Moment, als es vor einem Nachtklub zu einer rassistischen Auseinandersetzung kommt. Für Garrel eine Andeutung auf die Stimmung nach den Präsidentschaftswahlen 2017 in Frankreich. Auch wenn sich ein ironischer Ton durch die Handlung zieht, bekommt die Geschichte hier einen weiteren lächerlichen Moment. Die Angreifer bedienen ein Klischee und müssen erst tapfer durch Luc und seine Freunde vertrieben werden. Eine unnötige Szene, die sich nur schlecht in den Rest der Handlung integriert.
Reizvolle Schwarz-Weiß-Optik
Mit seiner Schwarz-Weiß-Optik reiht sich die französisch-schweizerische Produktion in eine Mehrzahl von Filmen bei der Berlinale 2020 ein. Garrel setze nicht darauf, weil es gerade wieder modern sei, Retro zu produzieren. Die Ästhetik befreit die Schauspieler von jeglichen Auffälligkeiten, die sie im Farbfilm mitbringen, so der Filmemacher. Tatsächlich wirken die Bilder besonders reizvoll, können die klischeebehafteten Rollen aber nicht ausgleichen.
Fazit: Gerade in den ersten beiden Teilen des Films, für dessen Drehbuch Garrel wieder mit Jean-Claude Carriere und Arlette Langmann gearbeitet hat, zeichnet er ein glaubhaftes Portrait eines orientierungslosen jungen Mannes mit ironisch-unterhaltsamem Unterton. Im dritten Teil wirkt diese Machart lächerlich und klischeebesetzt. An seine vorherigen melancholisch-heiteren Liebesfilme kann Garrel nicht anknüpfen. "The salt of tears" ist ein kläglicher Versuch, eine klassische Erzählung in eine neue Form zu bringen.
Zur Person: Philippe Garrel
Der Filmemacher wurde 1948 in Frankreich geboren. Schon in seiner Jugend drehte Garrel zahlreiche Kurzfilme und 1967 seinen ersten Spielfilm "Marie pour mémoire". Drei Jahre später führte er bei dem gefeierten Kultfilm "La cicatrice intérieure" über die Rock-Ikone Nico Regie. Seine mehr als 25 Spielfilme wurden auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt und ausgezeichnet. Mit "The salt of tears" nimmt er erstmals am Berlinale-Wettbewerb teil.
The salt of tears: 22.2 22 Uhr Berlinale Palast, 23.2. 09.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 18 Uhr, Friedrich-Stadtpalast, 27.2. 12.30 Uhr Zoo Palast I, 1.3. 12.45 Uhr, Haus der Berliner Festspiele