Schon der Titel ihrer "Key Lecture", die sie am Dienstagabend im Hauptgebäude der Viadrina hielt, war so eine Provokation: "Die Wiedererfindung der Nation". Denn das Wort "Nation" ist zum rechten Kampfbegriff geworden, den die meisten nicht mehr in den Mund zu nehmen wagten aus Angst, für rechts gehalten zu werden.
Aleida Assmann ist emiritiert und muss sich  "von den Diskursen nicht mehr einschüchtern lassen".  Sie plädiert  dafür, den Begriff von den Rechten zurückzuerobern und mit neuen, positiven Inhalten zu füllen. Mit Nationalismus habe das nichts zu tun. Eine der interessantesten Erkenntnisse der erinnerungskulturellen Forschung sei, dass es offenbar ein Problem ist, eine Gesellschaft zusammenzuhalten ohne Einigung über die wesentlichen nationalen Ereignisse - zum Beispiel über die Bewertung des Mauerbaus. Ohne diesen Zusammenhalt sei Integration von Neubürgern nur schwer möglich.
Wie die Nation als Erinnerungsraum wieder zu einem gesellschaftlichen Bindeglied werden könnte, legte Assmann anhand der Texte  dreier Autoren dar: dem Politologen Francis Fukuyama über die Bedeutung von Emotionen, dem Soziologen Maurice Halbwachs über die Rolle von Gedächtnisrahmen und dem Historiker George Mosse über den Unterschied zwischen militanten und zivilen Nationen.
Die EU, sagte sie am Ende ihres brilliant-komplexen Vortrags, sei das Modell, Nationen zu zivilisieren. "Ein Modell-Experiment, um das wir von außen sehr beneidet werden."