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Immobilien in Brandenburg: Denkmalschutz beim Bauen – unterwegs mit einer Archäologin in Beeskow
In Brandenburg müssen viele Baustellen auf Anordnung der Denkmalschutzbehörde archäologisch untersucht werden. Am Beispiel einer Baustelle in Beeskow berichten wir aus dem Alltag der Archäologen.
Baustellenzäune, Warnschilder, Fahrzeuge, die den Baustelleneingang versperren, überall Löcher und Erdhaufen. Baustellen haben auch immer etwas von Schlachtfeldern. Dieses nennt sich Beeskower Mauerstraße, voraussichtliche Bauzeit von April bis Oktober 2022. Einen Zugang zu finden, ist gar nicht so einfach. „Wo sind denn hier die Archäologen?“, frage ich einen der Bauarbeiter, der mich verdutzt ansieht, nachdem ich ein Schlupfloch gefunden habe und plötzlich auf der Baustelle stehe. „Da drüben die drei“, antwortet er.
Und da sind sie. Anstatt mit Strohhut und Pinsel bewaffnet, wohl eines der häufigsten Klischees, tragen sie Funktionskleidung und unterhalten sich stehend am Rand einer Grube. Mit Archäologie verbindet man oft einen Hauch von Abenteuer und den Traum vom Schatzsuchen. Aber nur die wenigsten verwirklichen ihre Träume. Hanne Decker ist eine von ihnen. Sie ist Archäologin in einer Berliner Grabungsfirma und begleitet das Beeskower Bauvorhaben seit April.
Bei Wind und Wetter auf der Baustelle in Beeskow
Ihre Begeisterung für „Vergangenes“ begann schon früh: „Als Kind wollte ich Schatzsucherin werden, der Klassiker. Meine Eltern haben immer schon Antiquitäten gesammelt, meine Großeltern waren ständig in Ägypten, und irgendwie hat mich das als Kind fasziniert.“ Nach einem Studium der Klassischen Archäologie, Ägyptologie und des Italienischen wechselte Hanne Decker zur Prähistorischen Archäologie. Dort liegt der Schwerpunkt mehr auf der Praxis, dem Ausgraben. Rumgekommen ist sie auch ganz schön: Sie hatte mehrmonatige Ausgrabungseinsätze in Ägypten, Jordanien und natürlich in Deutschland.
Steine sind ihr Ding, bearbeitete Steine, fügt sie mit einem Lächeln hinzu. Was für die meisten auf den ersten Blick unspektakulär klingen mag, ist für Hanne Decker Passion. Im Büro der Berliner Grabungsfirma archäologie bnb zeigt sie einen bearbeiteten und geschliffenen Stein. Dabei klärt die Steinzeitexpertin über die Bedeutung des Steins als Fund in einem Kindergrab und das Problem der zeitlichen Datierung auf. Denn diese mutmaßliche Fünfeckaxt, so der wissenschaftliche Zungenbrecher, passt nicht zu der Bestattungsart.
30 Grad im Schatten oder minus zwanzig Grad
Als Archäologin ist man immer auch etwas Detektivin. Dieser „Ermittlungstätigkeit“ geht die 40-jährige Deutsch-Französin, die aus dem Rheinland stammt, schon seit mehreren Jahren in Berlin und Brandenburg nach. Die Abwechslung, das Draußensein in Kombination mit der wissenschaftlichen Arbeit, macht für sie den Reiz an der Archäologie aus: „Das Schöne ist, es gibt keinen echten Alltag! Ich habe teilweise Projekte, wo ich monatelang draußen bin. Letztes Jahr war ich das komplette Jahr im Oderbruch, und dann gibt es Zeiten, wo man viel im Büro sitzt, die Funde auswertet, Literatur wälzt und versucht, Datierungen herauszubekommen.“
Egal ob bei 30 Grad im Schatten oder minus 20 Grad – Hanne Decker gräbt das ganze Jahr aus. Das Grabungsgeschäft läuft so gut, dass sie sich eigentlich vor Aufträgen nicht retten können und nahezu unterbesetzt sind. Insgesamt arbeiten etwa zwölf Archäologen in der Grabungsfirma, darunter fünf Frauen. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich von Mecklenburg-Vorpommern über Berlin bis ins südliche Brandenburg.
Ohne Baustellen weniger Ausgrabungen
Dass Archäologen in privaten Grabungsfirmen arbeiten, ist seit der Wende in Brandenburg üblich, berichtet Martin Petzel, Archäologe und Gebietsreferent für Oder-Spree im BLDAM (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum). Die Grundlage dafür ist das sogenannte Verursacherprinzip, welches besagt, dass der Veranlasser des Eingriffs die Kosten für die archäologische Untersuchung im Rahmen des Zumutbaren zu tragen hat. Zumutbar bedeutet, bis zu fünf Prozent der Bausumme kann bei privaten Bauvorhaben für die Archäologie berechnet werden. Eine der Folgen ist, dass es nur wenige reine Forschungsgrabungen gibt und archäologische Baubegleitungen dominieren.
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Zu DDR-Zeiten waren mehr als 100 Mitarbeiter im Landesamt für Denkmalpflege angestellt und haben die Grabungen selbst durchgeführt. Mittlerweile hat sich der Personalbestand auf ungefähr 20 Stellen für die reine Archäologie eingepegelt. Ohne Baustellen also keine oder weniger Ausgrabungen.
Hanne Decker gräbt oft – sehr oft, wie sie sagt – baubegleitend, manchmal auch bauvorbereitend aus. So auch in Beeskow. Nach dem dritten oder vierten Einsatz mit ihrer Grabungsfirma in der Kreisstadt, kann man sie langsam als Beeskow-Expertin bezeichnen. Nun untersucht sie die Erdschichten der Mauerstraße, in der neue Leitungen für Regenwasser, Schmutzwasser und Trinkwasser verlegt werden. Das heißt, vor dem Bagger zu stehen und ganz genau zu beobachten, was er mit seiner Schaufel an die Oberfläche befördert: „Im besten Fall sieht man eine deutliche Verfärbung, dann legt man zunächst ein Planum, eine ebene Fläche, an, damit die Bodenverfärbungen besser zu erkennen sind. Die Verfärbungen können unter anderem Feuer-, Abfall-, Siedlungsgruben oder ein Grab sein“, erklärt die Archäologin routiniert.
In der Kulturschicht, also die Bodenschicht, in der sich Überreste einer menschlichen Kultur finden, kommt in der Mauerstraße „ein kompaktes, lehmiges, stinkendes Zeug“ zutage. Diese Schichten enthalten zahlreiche Knochen und Keramikscherben und entstanden vermutlich im 13. oder 14. Jahrhundert, als die Beeskower jahrzehntelang ihre Nachttöpfe auf die Straße entleert haben. Eine überraschende Entdeckung machte die Archäologin am Mäuseturm. Dort wurde ein Tunnel oder Kanal aus Feldsteinen und Ziegeln gefunden. Über die genaue Nutzung ist man sich unsicher. Ein Anwohner erzählte ihr, dass er als Kind direkt von seinem Keller durch den Tunnel gekrochen sei und dieser bis zur Marienkirche führen soll. Wissenschaftlich belegt wurde diese Theorie eines „Fluchttunnels“ bisher nicht. Vor ein paar Jahren hat man rund um die Kirche bis auf vier Meter tief gegraben und nichts dergleichen entdeckt.
Zwischen Bauarbeitern und Bauherren
Wie ist es eigentlich als Frau auf einer Baustelle? „Man geht nicht unter“, sagt Hanne Decker grinsend, und: „Es gibt Vor- und Nachteile. Es hat den Vorteil, dass sie dir helfen wollen à la: ,Oh nein, das kannst du doch nicht tragen!‘“ Manchmal gibt es aber auch Sprüche. „Raus aus meinem Schwenkbereich, Mäuscken“, ist so einer. In solchen Situationen weiß sie sich aber zu helfen und gibt Kontra: „Dem bin ich ordentlich ins Gesicht gesprungen, das geht gar nicht.“ Trotzdem, stellt Hanne Decker resümierend fest, seien die meisten total nett.
Und was sagen die Bauarbeiter zu ihren Archäologenkollegen und den parallelen Arbeiten? Vorarbeiter Michael sieht es locker: „Wir haben zwar Termindruck und müssen zwischendurch immer warten, aber wir graben dann an der einen Stelle und die buddeln an einer anderen. Solange die Stadt wegen der Termine mitspielt, geht das schon.“ Auf der Baustelle herrscht gute Stimmung. Im Hintergrund erklingt: „Michael, du bist unser Held und weest wat!“ Einer der Bauleute sei auch so „ein Fuzzi“ und suche Scherben, berichtet Vorarbeiter Michael lachend. Ein Bauarbeiter mit dem Herzen eines Archäologen, da kann ja nichts schiefgehen.
Die Wissenschaft steht nicht im Mittelpunkt
„Arrangieren“ ist eines der meist gefallenen Worte im Zusammenhang mit der archäologischen Baubegleitung. Ohne das geht nichts, bekräftigt Hanne Decker: „Eine Baustelle steht und fällt mit der Absprache untereinander.“ Auf der Beeskower Baustelle klappt dies gut, nur einmal musste sie für anderthalb Tage einen Baustopp verhängen. „Das wird dann natürlich an die Stadt weitergegeben, dass wir schuld sind, aber die Bauarbeiten konnten an einer anderen Stelle weitergehen“, klärt die Steinzeitexpertin auf. Konflikte mit den Auftraggebern gibt es immer wieder, hauptsächlich hat sie aber gute Erfahrungen gemacht. Die Archäologen wollen die Bauvorhaben nicht aufhalten. „Eine baubegleitende Maßnahme ist keine Forschungsgrabung. Wissenschaftliche Fragestellungen stehen nicht im Mittelpunkt, sondern die Dokumentation bis zur endgültigen Bautiefe“, stellt Hanne Decker klar.
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Mario Gericke vom Bauamt der Stadt Beeskow hat als Bauherr den fristgerechten Ablauf und damit die Kosten im Blick. Er hadert ein wenig mit dem System und wünscht sich einen größeren Beitrag von der Denkmalfachbehörde. „Die Verantwortung und Pflicht wird auf den Bauherrn übertragen, jedem wird auferlegt, einen Archäologen zu beauftragen und die Kosten zu übernehmen.“ In einer Zeit, in der die Preise für Baumaterialien stetig steigen und Lieferengpässe an der Tagesordnung sind, kann man solche Bedenken nachvollziehen. Enttäuschend ist für ihn vor allem, dass nicht etwa eine neue „Himmelsscheibe“ gefunden wurde, sondern nur, was vorher schon bekannt war. Demgegenüber stünden die Kosten für die Präsenz der Archäologen. Schlussendlich belaufen sich diese Ausgaben aber nur auf 10.000 bis 15.000 Euro – von rund einer halben Million Euro der gesamten Baukosten.
Auf die Menschen einzugehen, den Prozess zu erklären und für Verständnis zu werben ist also ebenso wichtig wie die eigentliche archäologische Arbeit. Das weiß auch Hanne Decker. Darum geht sie in Dörfer auf Infoveranstaltungen oder nimmt sich am Rand einer Grabung Zeit für die Fragen der Einwohner. Denn das Problem an der Archäologie ist: Was nicht dokumentiert wird, ist für immer verloren.
Dieser Text ist dem aktuellen „Kursbuch Oder-Spree“ entnommen: Unter dem Titel „vom abreißen und aufbauen“ widmen sich seine insgesamt 16 Geschichten Themen wie Stadtumbau, regionale Baustoffe und alternative Wohnformen. Im Museum Oder-Spree auf der Burg Beeskow läuft derzeit die das Buch begleitende Ausstellung „abreißen und aufbauen“. Weitere Informationen dazu gibt es online unter www.museumoderspree.de.
Landkreis Oder-Spree/Förderverein Burg Beeskow (Hrsg.): „vom abreißen und aufbauen – kursbuch oder-spree“, Verlag für Berlin-Brandenburg, 128 S., ca. 50 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 10 Euro