Es dauert lange, bis man mit den Männern auf Augenhöhe ist, sagt Iris Böhm. Die energische 35-Jährige ist die einzige Doppelblockleiterin in Jänschwalde. Der Umgang mit den Kollegen sei „hart, aber herzlich“. Und ihre Entscheidungen werden akzeptiert.
Iris Böhm ist eine von den „Kohlefrauen“, die der MDR in einer dreiteiligen Doku-Serie pünktlich zum Frauentag porträtiert. Sie sind Baggerfahrerin, Kraftwerkerin, Lokführerin, Schichtleiterin, zwischen 30 und 55, und sie alle hängen an ihrem Betrieb. Kritische Töne über den Braunkohleabbau wird man hier nicht hören, dafür viele Zukunftssorgen und den Wunsch, dass es „in den Ministerien Menschen gibt, die denken können“. Und doch: Der Kohleausstieg 2038 ist noch weit – und derzeit ist Iris Böhm erst mal damit beschäftigt, Block E und F, die 2018 stillgelegt werden, im Zuge der Energiekrise wieder hochzufahren.

Vier Schichten, und Familie, wie geht das zusammen?

Wer wissen will, wie die Lausitz tickt, muss diesen Frauen zuhören. Ihrem Stolz auf ihre Arbeit, auf die Selbständigkeit, das selbst verdiente Geld. Die Herausforderung, die es bedeutet, trotz Familie und Kindern im Schichtbetrieb zu arbeiten – derzeit wegen der fehlenden Arbeitskräfte im wieder aufgenommenen Betrieb sogar in vier Schichten. Die Trauer, mit der sich Silke Butzlaff, mit 55 die Älteste der Befragten, von ihrem alten Eimerkettenbagger verabschiedet, der nach 66 Jahren Betrieb eingemottet wird. Und die Herausforderung, die es für sie nach 40 Jahren bedeutet, noch einmal einen neuen Bagger in Betrieb zu nehmen, den die Leag trotz Kohleausstieg für die Lausitz angeschafft hat.
Sicher, manchmal wirkt das unfreiwillig komisch, wenn die Frauen angesichts der an Mondlandschaften erinnernden Abraumhalden davon sprechen, dass die Lausitz in Zukunft viel schöner werde, mit Seen, Wäldern, Radwegen und sogar Wein. Man werde den Kindern und Enkeln ein Tourismusparadies hinterlassen. Vorerst stehen die Radler allerdings noch vor gesperrten Hängen, Silke Butzlaff träumt von Speedbooten, die hier irgendwann über den See düsen werden, und ihr Mann unkt: „Ob wir das noch erleben?“

Die Männer übernehmen die Hausarbeit, die Frauen verdienen

Das ist ein Film über die Lausitz, ebenso sehr aber einer über die Menschen, die hier leben, und über Familienmodelle, die wesentlich vielfältiger sind als in vielen anderen Teilen Deutschlands. Da übernehmen die Großeltern die Enkelbetreuung, weil die Eltern Nachtschicht haben, aber es wird im Tagebau auch ein „Muttibagger“ eingerichtet, ein Teilzeitprojekt für Alleinerziehende. Iris Böhms Mann hat zu Hause Haushalt und Kinderbetreuung übernommen, und auch Kristins Mann akzeptiert, dass seine Frau mehr arbeitet und mehr verdient als er: „Ohne sie wäre das mit dem Grundstück nicht möglich“, sagt er, und sucht sich, während sie nach der Schicht schläft, leise Betätigungen im Haus. Aber auch das gibt es: Silke Butzlaffs Mann, gelernter Maurer, arbeitet seit zwanzig Jahren in Österreich, weil seine Firma in der Lausitz Pleite ging. Das Paar führt seitdem eine Fernbeziehung.
Die Doku-Reihe "Kohlefrauen" zeigt das Leben der Frauen in vermeintlichen Männerberufen. Auf dem Foto ist Lokführerin Jennifer Friem zu sehen.
Die Doku-Reihe "Kohlefrauen" zeigt das Leben der Frauen in vermeintlichen Männerberufen. Auf dem Foto ist Lokführerin Jennifer Friem zu sehen.
© Foto: Markus Zergiebel/MDR
Viele arbeiten hier, seit sie 16 sind, die Mütter und Großmütter haben auch schon im Bergbau gearbeitet, sind stolz auf die Töchter, die in diesem Männerberuf bestehen. Und auch Regisseurin Meike Materne kann sich nicht sattsehen an den Frauen in den riesigen Maschinen, in der Führerständen hoch über der Erde. Das ist auch jede Menge Industrie-Faszination, die aus diesen Bildern spricht, die Bilder gingen auch als Image-Werbefilm für die Leag durch.
Doch wenn die Lokführerin Jessica ihre kleine Schwester Isabelle anlernt, oder Silke Koal, die bald ihr 40. Jubiläum in Welzow Süd erlebt, erzählt, sie habe sich nie als Rabenmutter gefühlt, und ihre Tochter sei auch stolz darauf, eine unabhängige Mutter zu haben, sind das Frauenrollen, von den man sich wünscht, sie würden anderswo ähnlich selbstverständlich gelebt. Gendern ist übrigens kein Thema im Tagebau, sie bezeichnen sich selbstbewusst als „Bergmann“, diese Frauen.
Alle drei Teile sind schon jetzt in der ARD Mediathek und am 8., 15. und 29. März jeweils um 21.15 Uhr im MDR-Fernsehen zu sehen. www.mdr.de/s/kohlefrauen