Selten hat eine virtuelle Konferenz so gute Laune verbreitet. Und das lag nicht allein an den Zahlen, die Kulturministerin Manja Schüle am Mittwochvormittag verkündete: Vier Millionen Euro stellt ihr Ministerium für Kulturschaffende zusätzlich zur Verfügung für die Fortsetzung des Mikrostipendien-Programms, das im Mai 2020 für Künstler aller Sparten gestartet worden war – und bereits zwei Mal vergeben wurde. Dabei wurden 1719 Antragssteller mit insgesamt 2,9 Millionen Euro unterstützt.
Bei der dritten Auflage wird die Fördersumme noch einmal erhöht. 1000 Stipendien á 4000 Euro stehen zur Auszahlung bereit, mehr als die letzten beiden Stipendien zusammen. Beim ersten Programm konnten Kunstschaffende lediglich 1000 Euro beantragen, beim zweiten 2500.
„Wir haben die Summe der Situation angepasst,“ erklärte Manja Schüle. „Bei den ersten Stipendienprogrammen war ja noch nicht abzusehen, dass die Pandemie den Kulturbetrieb so lange stilllegt.“
Wie bei den ersten Programmen sind auch diesmal keine komplizierten Formulare auszufüllen. Einzureichen sind lediglich der ausgefüllte Bewerbungsbogen, ein Lebenslauf, eine Projektskizze und ein Nachweis „professioneller Künstlerschaft“ – der zum Beispiel durch Ausstellungen, Bühnenauftritte oder die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse erbracht werden kann. Die Antragsfrist für Programm Nummer drei läuft vom 31. März bis zum 31. Mai 2021.

Was aus dem Geld wurde

Soweit die Zahlen, die Schüle sichtbar freudig verkündete. Lange habe sie nichts mehr so hoffnungsfroh gestimmt wie zu erleben, was Brandenburger Künstlerinnen und Künstler mit dem Geld umgesetzt hätten. Deswegen hatte das Ministerium vier Stipendiaten zur Video-Pressekonferenz eingeladen, die ihre Arbeiten live präsentieren sollten.
Als erstes zeigte sich Mira Lange in ihrer Wohnung in Wittenberge an einem historischen Klavier. Die studierte Cembalistin und Hammerflügelspielerin steht seit 2004 auf der Bühne, gibt Konzerte mit großen Ensembles wie der Kammerakademie Potsdam und dem Brandenburgischen Staatsorchester, und tourt mit dem von ihr mitgegründeten Ensemble „Wunderkammer“ .
Für die 1977 in Offenbach geborene Musikerin, die 2018 mit ihrem Partner von Berlin in die Prignitz zog, haben die Stipendien - sie hat beide erhalten - ermöglicht, das Programm „Beflügelt“ für die Prignitz zu erarbeiten: Sie will ein öffentliches Konzert in der Musikschule Wittenberge mit romantischen Kompositionen geben, die in der historischen Spielweise zur Aufführung kommen sollen. Das Konzert soll gefilmt und auf die Plattform #kulturBB gestellt werden, wodurch sich andere Musiker mit der Spielweise auseinandersetzen könnten.
Monatelang hat sich mit Lange mit Clara Schumann befasst, der Frau von Robert Schumann, die nicht nur eine der besten Pianisten ihrer Zeit war, sondern auch eine talentierte Komponistin, „was damals als Frau einfach untergegangen ist.“
Bei der Beschäftigung mit ihrem Leben fiel Lange auf, das vieles von der Spielpraxis gar nicht in den Noten auftauchte, zum Beispiel, dass die beiden Hände leicht versetzt spielten – was sie dann anhand der „Kinderszenen“ von Robert Schumann vorführte, die kaum wiederzuerkennen waren.

Selbstvergewisserung auf Papier

Der Zeichner und Radiomacher Frank Diersch begrüßte die Konferenzteilnehmer in seinem Studio in Woltersdorf vor einer Buchstabenskulptur sitzend, die, wie er erklärte, zusammengewürfelt das Wort „Radio“ ergibt. Sein Projekt heißt „Zeichnung/ Aufzeichnung“, für das er ein Skizzen-Tagebuch geführt hat. In der Isolation der letzten Monate sei die analoge Notiz für ihn eine „Miniatur-Selbstvergewisserung“ gewesen – eine Kreativitätserhaltungstechnik, die er auch bei seinem – digitalen – Lehrauftrag mit seinen Studenten in Berlin erprobte.
Diese Bild- und Textskizzen wiederum dienten ihm wiederum als Material für Bilder wie „Die Weltkarte 2021 aus Woltersdorfer Perspektive“ und ein Plattencover. „Für Leute wie mich war das Stipendium rettend,“ sagt der 1965 in Berlin geborene ehemalige Meisterschüler an der Akademie der Künste. „Nur sollten diesmal die jüngeren Kollegen ältere Künstler, die nicht so digital unterwegs sind, per Telefon auf das Programm hinweisen.“

Rettung vor dem freien Fall

Volker Gerling aus Templin haben die beiden Stipendien, die er im letzten Jahr erhielt, „vor dem freien Fall gerettet.“ Darüber hinaus gaben sie ihm das Gefühl, „wahrgenommen zu werden“ in seinem Beruf, den er für sich erfunden hat: Daumenkinograph.
Seit 1998 beschäftigt sich der Filmemacher, der in Babelsberg Kamera und Regie studiert hat, mit fotografischem Daumenkino. Mit dem Geld des ersten Stipendiums begab er sich auf eine lange Wanderung durch Brandenburg, mit einem Bauchladen voller Daumenkinos, die er Interessierten zeigte. Ein paar seiner Gesprächspartner, deren Lebensgeschichte zu seinem Projektthema „Zeige deine Wunde!“ (ein Titel nach einer Arbeit von Joseph Beuys) passte, bat er auch, sie für ein Daumenkino fotografieren und porträtieren zu dürfen.
Aus den einzelnen Daumenkinos will der 1968 in Hilden geborene Gerling einen Bühnenabend zusammenstellen, der „im Spannungsfeld dieser Gedichtzeile von Mascha Kaléko steht, die ich auf einer Wand gesehen habe“: „Zerreiße deine Pläne, sei klug und halte dich an Wunder.“
Eines der ersten, berührenden Daumenkinos blätterte er vor der Konferenzkamera auf: das Porträt eines 89-jährigen Mannes aus Joachimsthal, der fünf politische Systeme erlebte.
20 Bühnenauftritte musste Gerling durch den Lockdown absagen. Es werde lange dauern, bis er eine solche Nachfrage wieder erreiche, sagt er.
Julia Brömsel aus Werder erzählt aufgeregt, wie froh sie war, als sie hörte, dass das Mikrostipendium nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird. „Ich muss doch zwei Kinder ernähren,“ erklärt die 1980 in Schlemma geborene Malerin, die sich in einer Bilderserie „Die vier Winde“ mit dem schamanischem Wissen der Inka beschäftigte. Leuchtend bunte, abstrakte Gemälde von Tiergestalten, die für bestimmte Energien stehen, hält sie in die Kamera; Gemälde, die so großformatig sind, dass sie selbst dahinter verschwindet. Wegen Corona musste sie ihre eigene Schamanen-Ausbildung unterbrechen.

Besuch bei den Künstlern

Vier Arbeit, die selbst digital eine Kraft und Vitalität vermittelten, nach der sich viele Menschen derzeit sehnten, lobte Manja Schüle die Stipendiaten. „Mir sind so viele Ideen gekommen beim Zuhören!“
Sie freue sich darauf, die vier nach Ende des Lockdown vor Ort zu besuchen. „Ich bin sehr glücklich heute,“ so Schüle zum Abschluss, „weil ich nun das Gefühl habe, dass die Kultur trotz allem lebt.“