Solcherart sind die Ausgangssituationen für die Ausstellung "Die Anderen sind Wir", die den Untertitel "Bilder einer dissonanten Gesellschaft" trägt. Sie zeigt vorwiegend fotografische Arbeiten der Gruppe Apparat – junge Künstler, die allesamt etwa Anfang, Mitte 30 sind.
Nun sind obige Fragen weder von der Politik, noch von Psychologen und Soziologen beantwortet worden. Aber zu spüren ist hier, wie junge Leute, die noch am Anfang eines professionellen Künstlerlebens stehen, um eigene Positionen ringen, sich selbst in den rauen Wind des deutschen Alltags stellen. Kuratiert wird die Ausstellung von der gebürtigen Spanierin Cale Carrido und Carmen Schliebe, Kustodin für Fotografie am Cottbuser Landesmuseum. Den Werken der zehn Gastkünstler werden Arbeiten aus der Sammlung des Hauses und Leihgaben hinzugefügt.
Im Erdgeschoss wird der Besucher mit mehreren Werken von Ulrich Lindner empfangen, der in der Bombennacht von Dresden sieben Jahre alt war und 1984 aus der Erinnerung heraus Fotomontagen entwickelte. Die Stadt ist da nur zu ahnen, Lindner abstrahiert mit düsteren Tönen und dunklen Farben des Todes.
Ein Foto einer Landschaft – auch das eine Montage – hat Maria Sturm mitgebracht. Es suggeriert im Riesenformat auf den ersten Blick eine Idylle, folgt dann aber den Ahnungen der Endlichkeit und bevorstehender Zerstörung. Vor das Bild hängt sie ein sogenanntes Claude-Glas. Der leicht nach außen gewölbte Spiegel wurde im 18. Jahrhundert verwendet, um die Landschaft verkehrt herum sehen zu können. Maria Sturm spielt mit den aktuellen Ängsten und Überforderungen. Dem Claude-Glas, eine Erfindung der englischen Landschaftsmaler, gibt sie die Form eines Smartphones – als Symbol für das Oberflächliche unserer Gesellschaft.
"The Wolf is present" heißen die Fotostrecke und die folgenden Montagen von Hannes Jung. Einen Wolf sieht man dabei nirgends. Auch Jung reflektiert mit den Verunsicherungen der Menschen. Auf mehreren Zeitungsseiten verschiedener Verlage ist nur das Wort "Wolf" sichtbar, den Rest hat Jung wegretuschiert. Eine große Wochenzeitung des Nordens kommt da schon mal auf etwa 70 Wörter pro Seite.
Versuch einer Identifikation
Daniel Seiffert ist mit dem Fotoessay "Raufaser" dabei. Er wiederholt die Wege seiner Großmutter Irmgard Konrad, die, 1915 in Breslau geboren, später von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert wird. Die Rote Armee befreit sie auf dem Todesmarsch in den Norden. Seifert stellt sich in diese Welt hinein, folgt ihrem Weg und sammelt Fotografien seiner Großmutter und Hinterlassenschaften. Er versucht eine Identifikation.
Von Ravensbrück bis zu den deutschen (Ex)Nazis sind es nur wenige Schritte. Unter dem Titel "Haut, Stein" fotografierte Jakob Ganslmeier Aussteiger aus der Neonaziszene. Raus aus der Szene? Na gut, aber wie bekomme ich die Tätowierungen weg? Ganslmeier dokumentiert das Überzeichnen der Haut, das Unkenntlichmachen der Nazisymbole. Zugleich fotografiert er NS-Symbolik aus früherer Zeit, zum Beispiel wie sie an Häuserfassaden entfernt wurden, in den Umrissen jedoch noch immer erkennbar sind. Zwei Jahre hat Ganslmeier Aussteiger begleitet und anonyme Gesprächsprotokolle verfasst. Auch sie liegen aus.
Andrea Grützner hat das Spiel "Der kleine Großblock Baumeister" ihrer Kindheit noch einmal reaktiviert und mit der Großformatkamera Fotomontagen geschaffen, die die Platte als Wohnmodell neu arrangiert. Auch bei Grützner geht es um Erinnerungen, aus denen sie Neues versucht. Hat diese Bauweise vielleicht doch Zukunft, wenn sie anders gemacht ist? Fantasievoller, individueller und auf ihre einzelnen Bewohner zugeschnitten?
Die Angst vor dem Fremden führt zur Flucht ins Unbekannte. Die Videoinstallation "Den Bach runter" von Miguel Jahn und Jan-Christoph Hartung zeigt Auswanderer, ungewöhnlicherweise von Deutschland nach Ungarn, wo sich eine kleine Community am Balaton niedergelassen hat. Es ist nicht das idyllische Ungarn, das viele Ossis noch als Urlaubsziel kannten. Die beiden Filmemacher lassen die "Geflüchteten" über ihre Beweggründe erzählen und respektieren dabei ihre Haltung.
"Wir tun uns schwer, uns mit anderen Positionen auseinanderzusetzen", sagt Kuratorin Cale Garrido. Die gebürtige Spanierin hat die Gruppe behutsam in diese erste gemeinsame Ausstellung geführt. Schnell waren sich alle über die Arbeitsweise einig: Jeder sollte gleichberechtigt sein. Eine Hierarchie findet nicht statt.
"Können sich Menschen ändern?", fragt Cale Garrido. Und sie meint nicht nur die "Umtätowierten" aus der Ganslmeier-Serie. Kann nicht aus Dissonanz doch schließlich etwas Konstruktives erwachsen? Manchmal schon.
Ausstellung bis 13.10., Di–So10–18 Uhr, Landesmuseum für moderne Kunst, Am Amtsteich 15, Cottbus, Tel. 0355 49494040

GesprächsforumRechtsextremismus

Die Künstlergruppe Apparat gründete sich im Jahre 2017 nach der Bundestagswahl. Die Mitglieder der Gruppe sind Kevin Fuchs, Cale Garrido (Kuratorin), Jakob Ganslmeier, Andrea Grützner, Miguel Hahn und Jan-Christoph Hartung, Hannes Jung, Sara-Lena Maierhofer, Rebecca Sampson, Daniel Seiffert und Maria Sturm.Am Mittwoch (28.8.) bietet das Museum um 17 Uhr die Gesprächsrunde "Rechtsextremismus heute" an. Sie richtet sich an Lehrer, Jugendleiter, Betreuer und andere Interessierte. Der Fotograf Jakob Ganslmeier spricht über seine Aussteiger-Porträts. Anmeldung Tel.: 0355 4949 4040 klt