Verhütungsmethoden für den Mann? Da denken die meisten an Kondome oder Sterilisation. Diesen zwei Optionen, von denen die eine einen kaum rückgängig zumachenden Eingriff darstellt und die andere dafür bekannt ist, gelegentlich zu versagen, stehen über 250 zugelassene Produkte für Frauen gegenüber. In dem Buch „Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist“ geht die Autorin Franka Frei der Frage nach, wie es zu dieser auffälligen Diskrepanz kommen konnte.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Das Angebot von Verhütungsmitteln für Männer hätte bereits in den 1950er Jahren erweitert werden können. Frei erklärt dies anhand des Präparats WIN 18,446. Noch ehe die Pille für die Frau auf den Markt kam, entwickelten US-Forscher bei einer Versuchsreihe zur Bekämpfung von Körperparasiten bei männlichen Mäusen ein Präparat, das als Nebenwirkung die Zeugungsfähigkeit der vierbeinigen Testobjekte temporär einstellte.
Düstere Vergangenheit
Dass die ursprünglich gewünschte Wirkung nicht eingetreten war, spielte nach dieser Erkenntnis keine Rolle mehr und das Kontrazeptivum für den Mann ging in die Testphase am Menschen. Dass es sich bei den Probanden um Insassen einer Strafanstalt in Oregon handelte, ist, das macht Franka Frei bei der Lesung im Berliner Pfefferbergtheater immer wieder deutlich, nur eines von vielen düsteren Momenten in der Entwicklung von Verhütungsmitteln.
Die unfreiwilligen Probanden hatten jedoch Glück, denn das Präparat zeitigte keine Nebenwirkungen, bis auf die eine: Es vertrug sich nicht mit Alkohol. Und da es für den Mann der 1950er Jahre als unzumutbar galt, in einer Bar auf den Old Fashioned zu verzichten, war dies das Aus für den ersten Versuch an der Pille für den Mann.
250 zugelassene Pillenarten
„Macht nichts“ – so das Credo, welches Franka Frei mit ihrem Buch hinterfragt. Ein Credo, das mit der pharmazeutischen Entwicklung von Alternativen ab den 1960er Jahren zusammenhängt. Seitdem gibt es 250 zugelassene Pillenarten, Implantate, Hormonringe, Ketten, Stäbchen, Spiralen, Kappen und Spritzen. Allesamt zugeschnitten auf den weiblichen Körper.
Franka Frei macht gleich zu Beginn klar, dass für sie „alle bestehenden Methoden zur Verhütung ihre Berechtigung“ haben und auch zukünftig das jeweils richtige Mittel der Wahl sein können. Auch bleiben Kondome als einziger Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten weiterhin unverzichtbar.
Es erscheint jedoch nicht nur ihr als ungerecht, dass die Verantwortung der Verhütung den Frauen zugeschoben wird. Und nicht nur das: die Konsequenzen und Kosten, die sich aus der Anwendung ergeben, werden hauptsächlich von Frauen ge- und ertragen. Denn wie viele andere Medikamente kann die Antibabypille Nebenwirkungen zeitigen. Im Gegensatz zu der Alkoholunverträglichkeit bei dem Präperat WIN 18,446 zählt Franka Frei Symptome wie Hautveränderungen, Libidoverlust, Stimmungsschwankungen, Depressionen und sogar lebensgefährliche Thrombosen auf.
Mehr junge Frauen verzichten auf die Pille
So verwundert es kaum, dass in Deutschland zunehmend junge Frauen auf die Einnahme der Pille verzichten. Einer Mitteilung der AOK ist zu entnehmen, dass der Anteil der unter 20-jährigen Frauen, die ein risikoarmes Präparat einnahmen, von 46 Prozent im Jahr 2010 auf 32 Prozent im Jahr 2021 abgesunken ist. Bei risikoreichen Präparaten ist die Tendenz noch etwas ausgeprägter.
Der Autorin geht es allerdings nicht darum, ein Produkt zu verteufeln. Vielmehr will sie darauf hinweisen, dass Verhütung nicht alleinige Frauen-, aber auch nicht alleinige Männersache sein sollte. Es sei an der Zeit, das Thema zu einer gemeinsamen Sache zu erklären und die Verantwortung als auch die möglichen Konsequenzen gerechter zu verteilen. Die ersten Schritte wurden dazu bereits gemacht.
Ampel-Koalition will sich dem Thema annehmen
Zum sechzigsten Jubiläum der Antibabypille initiierten die Gründerinnen des Vereins Better Birth Control eine Petition, die sich für mehr nebenwirkungsfreie Verhütungsmethoden für Männer und Frauen einsetzte. Sie forderten vor allem, dass die Forschung in diese Richtung unterstützt wird.
Der Erfolg der Kampagne war groß. So groß, dass die gegenwärtige Regierung im Koalitionsvertrag erklärte, dass sie die „Forschungsförderung für Verhütungsmittel für alle Geschlechter anheben“ will. Ideen zu männlichen Verhütungsmitteln gibt es bereits zuhauf. So arbeiten einige Methoden mit Wärmeregulation, andere mit dem temporären Verschließen des Samenleiters. Eine Übersicht dazu bietet die Webseite von Better Birth Control. Bis die verschiedenen Methoden aber eine Zulassung bekommen, können noch Jahre vergehen. Franka Frei wird noch einige Lesungen halten müssen.
Franka Frei: „Überfällig: Warum Verhütung auch Männersache ist“, Goldmann, 288 Seiten, 17 Euro
Zur Person
Franka Frei, 1995 in Köln geboren und im österreichischen Salzburg aufgewachsen, ist Buchautorin, Journalistin und Aktivistin. Auf das Viralgehen ihrer Bachelorarbeit folgte das Sachbuch “Periode ist politisch” (2020, Heyne Hardcore). 2021 erschien ihr Debütroman “Krötensex” (Heyne), 2023 ihr Buch “Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist” (Goldmann). Franka Frei arbeitet als freie Autorin für diverse Medien (z.B. Funk, WDR Cosmo, neues Deutschland, DLF Kultur). Seit 2021 moderiert sie den Podcast “Tabufrei” in Kooperation mit Essity.