Bei den Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg sind nach aktuellem Stand acht Menschen tödlich verletzt worden. Demnach handelt es sich bei dem mutmaßlichen Schützen um ein ehemaliges Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Der 35-Jährige sei am Donnerstagabend in die Gemeinderäume im Stadtteil Groß Borstel eingedrungen, wo rund 50 Gäste zu einer Veranstaltung versammelt gewesen seien. Dort habe er sieben Menschen und anschließend sich selbst erschossen. Acht weitere Menschen seien zum Teil schwer verletzt worden. Unter den Toten befinde sich auch ein ungeborenes Kind.
In dem dreistöckigen Haus im Hamburger Stadtteil Groß Borstel, neben Alsterdorf gelegen, fand den Polizeiangaben zufolge am Donnerstagabend eine Veranstaltung statt; die Schüsse fielen gegen 21 Uhr. Ein dpa-Reporter vor Ort berichtete von einem Großaufgebot an Spezialkräften der Polizei. Demnach trugen Rettungskräfte Personen aus dem Gemeindehaus.
Einsatzkräfte der Polizei waren nach deren Informationen in der Nähe und innerhalb weniger Minuten am Tatort - und seien dann "sehr schnell in das Objekt eingedrungen". Im Gebäude fanden die Beamten den Angaben zufolge mehrere Tote und Schwerverletzte.
Der mutmaßliche Täter ist den Angaben zufolge bisher nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Er habe die Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas vor anderthalb Jahren "freiwillig, aber nicht im Guten" verlassen. Es gebe Hinweise auf eine psychische Erkrankung des mutmaßlichen Täters. Er habe die Tat mit einer Waffe begangen, die er legal als Sportschütze besessen habe. Einen terroristischen Hintergrund schließen die Behörden ersten Erkenntnissen nach aus.
Polizei hörte Schuss
Die Beamten hörten nach Angaben eines Polizeisprechers auch noch einen Schuss "aus dem oberen Teil des Objekts" und fanden dort einen Menschen. Dieser sei "möglicherweise" der Täter oder einer der Täter. Später erklärte die Polizei auf Twitter: "Wir haben in einem Gemeindehaus in Groß Borstel eine leblose Person aufgefunden, bei der wir davon ausgehen, dass es sich um einen Täter handeln könnte." Die Polizei setzte nach eigenen Angaben keine Schusswaffen ein.
Nachbarin berichtet von mehreren Schüssen
„Es waren ungefähr vier Schussperioden. In diesen Perioden fielen immer mehrere Schüsse, etwa im Abstand von 20 Sekunden bis einer Minute“, berichtete Studentin Lara Bauch am späten Donnerstagabend. „Ich habe dann weiter aus dem Fenster geschaut und bei den Zeugen Jehovas eine Person ganz hektisch vom Erdgeschoss ins erste Geschoss laufen sehen.“
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— Polizei Hamburg (@PolizeiHamburg) March 10, 2023
Der Innensenator Andy Grote, Dr. Ralf Peter Anders von der Staatsanwaltschaft, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und der Leiter der Schutzpolizei Matthias Tresp informieren zum gestrigen Großeinsatz.
Weitere Infos folgen. pic.twitter.com/txMqkdTkJN
Menschen seien später von Polizisten an Händen und Füßen auf die Straße getragen worden. „Erfahrungsgemäß ist der Gottesdienst hier schon immer sehr gut besucht“, sagte die 23-Jährige weiter. Die Besucher und Besucherinnen seien immer sehr gemischt - Familien, ältere Leute, jüngere Leute.
Gefahrenwarnung aufgehoben
Zunächst fahndete die Polizei noch nach möglichen weiteren Tätern, am Freitagmorgen erklärte sie dann aber: "Nach aktuellem Sachstand gehen wir von einem Täter aus." Alle im Umfeld der Kirche ergriffenen Maßnahmen würden sukzessive eingestellt. Auch eine am Abend zunächst ausgegebene amtliche Gefahrenwarnung wurde am Freitagmorgen kurz nach 3 Uhr wieder aufgehoben.
In der Warnung waren die Menschen rings um den Tatort zur Vorsicht aufgerufen worden: Autofahrer sollten den Bereich weiträumig umfahren, der Gefahrenbereich sollte gemieden werden. Menschen im Gefahrenbereich sollten an ihrem Aufenthaltsort bleiben und sich vorläufig nicht ins Freie begeben, hieß es weiter in der Warnmeldung, die dann am Freitagmorgen aufgehoben wurde.
Motiv noch unklar
Unklar blieben zunächst mögliche Motive für den Angriff. "Die Ermittlungen zu den Hintergründen der Tat dauern an", erklärte die Polizei. Sie war mit einem Großaufgebot vor Ort, auch Sprengstoffexperten waren im Einsatz. Zudem veröffentlichte die Polizei einen Zeugenaufruf: Es sei ein Hinweisportal eingerichtet worden, "auf das Fotos und Videos zur Tat oder relevanten Ereignissen in diesem Zusammenhang hochgeladen werden können". Ausdrücklich rief die Polizei dazu auf, "keine Gerüchte zu streuen".
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nannte den Angriff "erschütternd" und sprach den Angehörigen der Opfer sein "tiefes Mitgefühl" aus.
Die Hamburger Innenbehörde, die Staatsanwaltschaft und die Polizei wollen am Freitagmittag mehr Details bekannt geben. Eine Pressekonferenz ist für 12.00 Uhr im Polizeipräsidium am Bruno-Georges-Platz geplant. Darin werden voraussichtlich der Innensenator Andy Grote, ein Vertreter der Hamburger Staatsanwaltschaft, der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sowie der Leiter der Schutzpolizei, Matthias Tresp, sprechen.
Spurensicherung dauert an
Am frühen Morgen sicherte die Polizei vor, hinter und in dem dreigeschossigen Gebäude noch weiter Spuren. An der Außenseite des Gebäudes haben die Ermittler noch in der Nacht zahlreiche kleine Nummerntafeln aufgestellt, um Spuren der Gewalttat zu markieren. Am Morgen war auch ein 3D-Scanner im Einsatz, um den Tatablauf zu dokumentieren. Der Eingang zu dem Gebäude der Zeugen Jehovas war am Morgen mit einem Sichtschutz abgedeckt.
Ein erster Leichenwagen war gegen 8.00 Uhr am Tatort vorgefahren. Gegen 6.00 Uhr wurde der Verkehr auf der viel befahrenen Straße Deelböge wieder freigegeben.
Zeugen Jehovas zeigen sich betroffen
Die Zeugen Jehovas zeigten sich „tief betroffen“. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten“, hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Angriff in einem Tweet als brutale Gewalttat bezeichnet. „Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen“, postete er am Freitagmorgen über den Regierungsaccount auf Twitter. „Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben.“ Die Polizei äußerte sich bislang noch nicht detailliert zu den Opfern.
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