Herr Röttgen, zur am Freitag beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz waren ursprünglich zum ersten Mal Vertreter Nordkoreas eingeladen. Bei der Libyen-Konferenz in Berlin war der Rebellengeneral Haftar dabei. Ist es ein moralisches Problem, mit Schurken zu reden?
Ich bin ein Verfechter moralischer Ansprüche an die Politik. Und ich bin dezidiert der Meinung, dass das nichts mit Naivität zu tun hat. Aber ich wehre mich gegen eine einseitige Definition von Moral.
Warum?
Ich finde, dass der moralische Maßstab von außenpolitischem Handeln darin liegen sollte, guten Zwecken zu dienen. Wenn ich zur Vermittlung eines Waffenstillstandes mit einem Kriegsherrn sprechen muss, um ein Land zu stabilisieren und das Leid tausender Zivilisten zu lindern, dann ist das ein moralisch richtiges Verhalten. Den moralischen Absolutismus, dass der moralisch Gute nicht in Berührung mit den moralisch Schlechten geraten dürfe, auch wenn sich dadurch das Leid anderer nur weiter vergrößert, teile ich nicht.
Wird das zu wenig erklärt?
Ja. Ich finde, dass wir über die moralische Dimension von Politik viel zu wenig reden. Die Begeisterungsfähigkeit und Ansprache von Jugendlichen kann ohne den Ausdruck moralischer Rechtfertigung nicht auskommen. Politik erscheint sonst als langweiliges, technokratisches Handeln, das Menschen nicht erreicht, und junge Leute schon gar nicht.
Halten Sie sich selber für einen moralischen Menschen?
Ja, in dem Sinne, dass ich moralische Ansprüche bekenne und sie als Maßstab annehme. Ich nehme aber nicht für mich in Anspruch, dem immer gerecht zu werden.
Gibt es Prinzipien in Ihrem Leben, von denen Sie niemals abweichen würden?
Mit dem "Niemals" tue ich mich schwer. Ich bin schließlich Rheinländer. Aber alles, was die Würde von Menschen infrage stellt, lehne ich ab. Hier gilt ein striktes Niemals.
Der Wechsel ehemaliger Spitzenpolitiker in die Wirtschaft, wie der von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, der als Aufsichtsrat zur Deutschen Bank geht, sorgt oft für böses Blut. Ist das moralisch verwerflich?
Ohne das als Kommentar zu Sigmar Gabriel zu verstehen: Es würde uns sehr gut tun, wenn es viel mehr personellen Austausch zwischen Wirtschaft und Politik gäbe. Das sollten wir besser organisieren. Unter Austausch zwischen Politik und Wirtschaft verstehe ich aber ausdrücklich etwas anderes als den Wechsel von Politikern in eine Lobbytätigkeit. Da kann es natürlich verwerfliche Fälle geben.
Als Jurist könnten Sie jederzeit wieder als Rechtsanwalt arbeiten. Auch das Angebot, zum Bundesverband der Deutschen Industrie zu wechseln, haben Sie vor 14 Jahren ausgeschlagen. Stattdessen sind Sie seit 25 Jahren im Bundestag. Was ist das Besondere an der Tätigkeit des Parlamentariers?
Im Bundestag zu arbeiten, ist ein wirkliches Privileg, weil man die Möglichkeit hat, über die allgemeinen Fragen einer Gesellschaft zu reden und über Gesetze Antworten zu geben. Ich mache mir das immer wieder bewusst. Der Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss, den ich seit 2014 innehabe, ist das schönste Amt, das ich bisher ausgeübt habe, weil es mir eine neue Welt erschlossen hat. Sich mit den historischen Veränderungen in Europa und der Welt beschäftigen zu können, seine Meinung sagen zu dürfen, gelegentlich irgendwo ein kleines Stückchen Einfluss auszuüben, das ist tatsächlich etwas ganz Besonderes.
Ihre Partei quält sich noch immer mit der Frage des Umgangs mit der AfD herum, wie das Beispiel Thüringen gezeigt hat. Wie kann die CDU verhindern, dass dieser Streit die Partei zerreißt?
Es gibt in der CDU eine völlig eindeutige Beschlusslage, die eine Zusammenarbeit mit der AfD und, aus anderen Gründen, der Linken ausschließt. Der moralische und politische Kern der CDU sind die Würde und Freiheit des Menschen. Dass alle Menschen in ihrer Würde gleich sind, wird von der AfD systematisch in Frage gestellt. Die AfD duldet Nazis und deren Sprache in ihren Reihen und lehnt bewusst die Trennung zum Rechtsextremen ab. Deshalb ist die CDU in der Frage nach dem Umgang mit der AfD völlig klar. Die Frage ist keine Zerreißprobe, und abweichende Meinungen sind Einzelstimmen.
Wie will die CDU als Partei der Mitte sich Machtoptionen offenhalten, wenn die politischen Ränder immer stärker werden?
Indem wir uns bemühen, die Gründe für das Erstarken der Ränder zu beseitigen. Ich war deshalb auch dagegen, zum dritten Mal eine große Koalition zu beschließen. Eine Minderheitsregierung wäre das kleinere Übel gewesen. Der wichtigste Punkt ist aber, dass die Politik wieder Gestaltungsmacht anstrebt in den wirklich großen Fragen unserer Zeit.
Das Thüringen-Fiasko war letztlich der Auslöser für den Rücktritt Ihrer Parteivorsitzenden. Worin lag Ihrer Meinung nach der Grund für ihr Scheitern?
Ich finde den Zeitpunkt ihres Rückzugs unglücklich und kann ihn mir auch nur so erklären, dass es für sie persönlich einfach nicht mehr ging. Dabei ist über eine gewisse Zeit hinweg einiges zusammen gekommen, was letztendlich zu ihrer Entscheidung geführt haben mag.
Als eines der Hauptprobleme ihres Amtes nannte Annegret Kramp-Karrenbauer, dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft nicht in einer Hand lagen. Wenn ihr Nachfolger nicht dasselbe Problem haben soll – müsste Angela Merkel nicht als Kanzlerin zurücktreten?
Dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz nicht in einer Hand liegen, ist für die CDU eine Ausnahme und nicht ideal. Aber für diese Legislaturperiode ist es eine der Rahmenbedingungen, mit der alle verantwortlich umgehen müssen.
Sie kämpfen gegen eine Beteiligung des chinesischen Konzerns Huawei am Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland. Wie groß ist Ihre Sorge, dass China wirtschaftlich zurückschlägt, falls Huawei nicht zum Zug kommt?
Wir müssen ausschließen, dass fremde Staaten Einfluss auf die kritische Infrastruktur Deutschlands gewinnen, indem sie Zugriff auf ein am Netzausbau beteiligtes Unternehmen ihres Landes haben. Es geht nicht um eine spezielle China-Regel; das gilt für alle. Im Übrigen: Wenn die Angst vor Vergeltung ein Leitmotiv für politische Entscheidungen wäre, spräche vieles dafür, diese Abhängigkeit nicht noch zu erweitern, sondern zu reduzieren. Bei der nächsten Entscheidung wären wir ja noch viel abhängiger.
Wäre dieses kontroverse Thema nicht auch geeignet, es im Bundestag in eine freie Debatte ohne Fraktionszwang zu geben? Bei der Organspende hat das ja gut geklappt.
Die Debatte zur Organspende hat dem Bundestag gut getan und hat vertrauensbildend für den parlamentarischen Betrieb gewirkt. Ich bin der Meinung, dass man von solch offenen Debatten mit einem freien Spiel der Kräfte nicht pausenlos, aber mehr Gebrauch machen sollte, gerade bei politischen Weichenstellungen. Denn in diesen Momenten zeigt sich das Parlament als Ort relevanter Diskussionen und Entscheidungen. Die Rückendeckung einer breiten parlamentarischen Mehrheit in der 5G-Frage würde unser Land zudem international stärken.
Gegenüber autoritären Systemen wie China gerät der Westen langsam wirtschaftlich ins Hintertreffen. Hat die Kanzlerin Recht, wenn sie diagnostiziert, dass der Westen damit einen Teil seiner Attraktivität verliert?
Ich glaube nicht, dass Kommandowirtschaften ein nachhaltiges Erfolgsmodell darstellen. Die Demokratie bei uns geht vom Einzelnen aus und gibt ihm Wert und Recht. Das ist etwas, das in sich wertvoll und richtig ist. Selbst wenn es wirtschaftlich von Nachteil wäre, würde ich es bevorzugen. Was wir aber vermeiden müssen, ist Selbstgenügsamkeit. Es ist eine große Gefahr für westliche Demokratien, dass sie die Ambition verlieren, die Zukunft zu gestalten. Das aber ist die zentrale Frage von politischem Führungswillen, ohne die eine Demokratie nicht auskommt.
Hat Deutschland genug davon?
Nein. Wir haben in ganz Europa, und auch in Deutschland, zu wenig politischen Führungswillen. Den braucht man immer, aber in Zeiten wie heute ganz besonders. Der revolutionäre Wandel – von neuen Technologien bis hin zur Geopolitik – macht Menschen Angst, weil sicher Geglaubtes in Frage gestellt wird. Wenn Menschen nicht orientierungslos werden sollen, dann brauchen sie das Angebot und den Wettbewerb um Führung.
Mit der Libyen-Konferenz hat die Bundesregierung Initiative gezeigt, um zu verhindern, dass ein neuer Flüchtlingsherd entsteht. Ist das ein Wendepunkt nach Jahren der Kritik an der deutschen Außenpolitik?
Dass es zu dieser Konferenz gekommen ist, war ein riesiger Erfolg. Denn sie war Ausdruck eines außerordentlich hohen Maßes an Vertrauen und Wertschätzung gegenüber unserem Land. Wir neigen dazu zu unterschätzen, was Deutschland leisten kann. Es hängt in Europa sehr viel an uns, auch in Brüssel wartet man darauf, dass wir mehr Initiative zeigen.
Vielleicht haben Sie nach der nächsten Bundestagswahl Gelegenheit dazu. Ihr Fraktionschef Brinkhaus sagt, dass die CDU mal wieder den Außenminister stellen müsste.
Da hat er eine sehr gute Idee geäußert.
Es ist ja mehr als 50 Jahre her …
Das stimmt. Mein Parteifreund Gerhard Schröder – der übrigens später Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses war – amtierte bis 1966. Sein Ausscheiden, ein Jahr nachdem ich geboren wurde, ist verdammt lange her. Es ist an der Zeit, diesen Zustand mal einer Veränderung zu unterziehen.

Jurist mit steilem Aufstieg und tiefem Fall

"Muttis Klügster" wurde Norbert Röttgen (54) einst genannt. Geboren in Meckenheim, erlebte der studierte Jurist und CDU-Politiker unter Kanzlerin Angela Merkel einen enormen Aufstieg und einen ebensolchen Fall. Er war Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ab 2009 Bundesumweltminister. Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 verlor er als Spitzenkandidat mit einem historisch schlechten Ergebnis. Danach wurde er als Minister entlassen und trat als CDU-Landeschef von NRW zurück. Im Bundestag leitet er seit 2014 den Auswärtigen Ausschuss. Röttgen ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Königswinter bei Bonn.