"Heute die Richter – morgen Du". Unter diesem Motto hatte ein breites Bündnis aus Bürgerinitiativen, Menschenrechtsaktivisten und Richterorganisationen zu den Protesten aufgerufen. Die Auseinandersetzung um die Justizreform, "mit der unsere Regierung die eigentlich unabhängigen Richter zu Staatsbeamten machen will, die nur noch ausführende Organe der Herrschenden sind", wie einer der Teilnehmer im grenznahen Gorzów erklärte, läuft zwar schon seit Jahren. Ein neuer, erst vor wenigen Tagen vorgelegter Gesetzentwurf, mit dem die Warschauer Regierung das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs konterkarieren will (siehe Info-Kasten) hat die Atmosphäre aber wieder angeheizt.
"Wir sind hier, weil wir gegen die Knebelung der Richter sind", erklärte der Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, der sich wie zahlreiche Oppositionspolitiker den Protesten angeschlossen hatte. Der frühere Staatspräsident Lech Wałesa hatte schon im Vorfeld Parallelen zu den Ereignissen im Dezember 1981 gezogen, als die damalige kommunistische Regierung wegen der Solidarnosc-Proteste den Kriegszustand über Polen verhängt hatte.
Im Gegensatz dazu hatten Staatspräsident Andrzej Duda und Regierungschef Mateusz Morawiecki erklärt, dass "eine Juristenkaste sich über das Recht stellen und ihre Privilegien aus alten Zeiten verteidigen" wolle. Auf solche Äußerungen nahm die bekannte Regisseurin Agnieszka Holland Bezug, als sie zu den Demonstrierenden in Warschau sagte: "Ich selber riskiere nichts, wenn ich hier stehe. Aber die Richter, Rechts- und Staatsanwälte, die gekommen sind, weil sie sich nicht den Lügen und der Repression beugen wollen, riskieren sehr viel." Dafür benötige dieser Berufsstand derzeit die Unterstützung der Bevölkerung, "weil wir alle zu verstehen beginnen, was Recht und Gerechtigkeit bedeuten und wem sie dienen sollen".
Holland erklärte auch, dass es sich um eine Lüge handele, wenn von der Regierung behauptet werde, dass es in Deutschland oder Frankreich ähnlichen politischen Einfluss auf die Berufung führender Richter gebe, wie ihn die polnische Regierungspartei PiS seit vier Jahren genommen hat. Mit diesem Argument hatte sich kürzlich auch ein Forum an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) beschäftigt, bei dem es um die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ging. Der Warschauer Jura-Professor Andrzej Wróbel, der bis 2017 selbst Richter am polnischen Verfassungsgericht sowie am Obersten Gerichtshof war, berichtete dabei, wie er "über Nacht" seine Positionen verloren hatte. Die gefährliche aktuelle Situation in seinem Land beschrieb er damit, dass "ein demokratisch gewähltes Parlament die Rechtsstaatlichkeit verletzt".
Bei den Protesten vor dem Stettiner Gericht trat am Mittwochabend auch Andrzej Milczanowski auf. Der mittlerweile 80-jährige frühere Rechtsanwalt saß von 1981 bis 1984 in Haft, weil er die damalige Solidarnosc-Bewegung als Jurist unterstützt hatte. Von 1992 bis 1995 war er dann Polens Innenminister. "Wir müssen die Richter und Gerichte unterstützen. Denn wenn ihre Unabhängigkeit beseitigt wird, droht uns ein totalitäres System", warnte er.
Mit der aktuellen Auseinandersetzung werden auch zwei Kernstücke der von der PiS initiierten Justizreform hinterfragt. Der von der Regierung immer stärker beeinflusste Landesjustizrat ernennt die Richter und hat in den vergangenen beiden Jahren mehr als 500 Richter in verantwortungsvolle Positionen von der Kreis- bis zur Landesebene gehievt. Die von der PiS geschaffene Disziplinarkammer kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Ist der Landesjustizrat laut dem jüngsten Urteil des Obersten Gerichts nun kein unabhängiges Organ der Justiz, dann ist die nächste Frage, ob Urteile, die diese Richter gesprochen haben, überhaupt rechtskräftig sind. Viele Rechtsexperten fürchten, dass dem polnischen Justizsystem bei der Klärung dieser Fragen großes Chaos droht.
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Europäischer Gerichtshof gegen Polens Justizreform
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat mehrfach festgestellt, dass große Teile der seit 2015 durchgeführten Justizreform in Polen gegen EU-Recht verstoßen. Unter anderem musste die Absenkung des Rentenalters, mit der Dutzende der PiS unliebsame Richter zwangspensioniert wurden, wieder aufgehoben werden. Das jüngste Urteil von Ende November richtet sich gegen eine von der PiS geschaffene Disziplinarkammer, mit der Richter oder Staatsanwälte entlassen werden können. Das Oberste Gericht in Warschau urteilte inzwischen, dass diese Disziplinarkammer nicht wirklich unabhängig sei. Die PiS antwortete mit dem neuen Gesetz, mit dessen Hilfe Richter bestraft werden sollen, die die Entscheidungen dieser umstrittenen Disziplinarkammer dennoch in Frage stellen. ds