Herr Beermann, Sie sind seit 100 Tagen zuständig für Straßen, Schienen, Wasserwege, Fliegen, Bauen, Stadtentwicklung und Landesplanung. In wie vielen Bereichen sind Sie inzwischen sattelfest?
Den Verkehrsbereich kenne ich schon aus meiner bisherigen Tätigkeit im Bundesverkehrsministerium. Auch der Baubereich ist mir geläufig. Derzeit arbeite ich mich intensiv in die Details der Landesplanung ein. Dabei hilft mir, dass ich ein Haus vorgefunden habe, dass hervorragend aufgestellt ist, wo gute Arbeit geleistet wird und ich viel Unterstützung bekomme.
Letzteres ist erstaunlich, da bisher die Meinung vorherrschte, dass das Haus samt der nachgeordneten Bereiche unter Personalmangel leide …
Da besteht kein Widerspruch. Ich habe von der hohen Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesprochen. Dass wir gleichzeitig mehr Personal brauchen, insbesondere im Landesbetrieb Straßenwesen, ist unbenommen. Dort suchen wir Ingenieure und Planer, gerade für die Themen, die wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen wollen. Ich denke da an die Förderung des Radverkehrs, in den die Koalition 20 Millionen Euro pro Jahr investieren will, die größtenteils in den Bau von Radwegen fließen.
Wie viel Personal brauchen Sie?
Das werde ich intensiv mit dem Landesamt für Bauen und Verkehr, dem Landesbetrieb Straßenwesen, meinem Haus und natürlich der Finanzministerin bei der Aufstellung des Haushaltes 2021 diskutieren. Ich habe jetzt im Nachtragshaushalt bereits zusätzliche Stellen  erhalten, sodass wir loslegen können.
Die größten Herausforderungen dürften in der Bewältigung der Pendlerströme liegen. Was wird sich im Laufe Ihrer fünfjährigen Amtszeit verbessern?
Ganz klarer Fokus liegt auf dem ÖPNV. Wir wollen den Schienenverkehr verbessern und treiben dazu Projekte, wie zum Beispiel die, die unter i2030 zusammengefasst sind, voran. Ziel ist es, das Angebot zu verbessern, damit mehr Pendler auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen können. Wir hatten in diesen Tagen das Jubiläum fünf Jahre PlusBus. Der PlusBus ist ein Erfolgsprodukt in Brandenburg. Die Ankunfts- und Abfahrtszeiten von Bus und Bahn sind aufeinander abgestimmt und verlässlich getaktet. Darüber hinaus werden wir die Erhaltung der Straßen nicht vernachlässigen. In einem so großen Flächenland ist das Auto ein wichtiges Mittel der Mobilität.
2030 ist das zentrale Vorhaben für die Verbesserung der Schienen-Infrastruktur. Welche der Maßnahmen werden noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt, oder ist das 2030 im Namen Programm?
Die Partner von i2030, zu denen neben dem Land Brandenburg auch das Land Berlin und die Deutsche Bahn gehören, haben sich vorgenommen, an allen acht Korridoren und der S-Bahn intensiv zu arbeiten. Ich habe die Hoffnung, dass wir in dieser Legislaturperiode oder zum Beginn der nächsten im Korridor Nord die Heidekrautbahn auf deren Stammbahn realisieren können. Auf dem Nord-West-Korridor sollen Teilabschnitte des RE6 zwischen Hennigsdorf und Neuruppin ausgebaut werden und der Prignitzexpress soll dann im Halbstundentakt verkehren. Auch im Süd-Osten geht es voran: In Königs Wusterhausen soll am Nordkopf die Zweigleisigkeit erreicht werden. Damit wird das heutige Nadelöhr beseitigt und die Leistungsfähigkeit auf diesem bedeutenden Korridor in die Lausitz verbessert. Beim RE1 geht es um die Verlängerung der Bahnsteige auf bis zu 220 Meter, damit wir längere Züge einsetzen können. Wir haben eine Reihe von Vorhaben, bei denen wir vorankommen können, wenn wir nicht durch Klagen in lange Prozesse hineingezogen werden.
Die Planungsdauer, inklusive der Klagen, ist eines der Grundübel, über das seit Jahren gesprochen wird. Man muss nur sehen, wie lange das zweite Gleis nach Cottbus auf sich warten lässt. Sehen Sie Möglichkeiten, die Verfahren zu beschleunigen?
Das ist ein wichtiges Thema. Wir leben in einer partizipativen Gesellschaft. Da sollen alle Bedenken aber auch die Argumente pro Gehör finden. Es kann nicht darum gehen, Rechte zu beschränken. Der Umwelt- und Naturschutz muss selbstverständlich auch weiter berücksichtigt werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Im Bund ist gerade ein Gesetz auf den Weg gebracht worden, mit dem künftig Planfeststellungsverfahren durch den Bundestag beschleunigt werden können. Das bedeutet, dass der Bundestag künftig bestimmte herausgehobene Verkehrsprojekte beschließt und genehmigt.
Wie viel Zeitersparnis könnte das bringen?
Das ist ein innovatives Verfahren, das zunächst zu einer größeren Akzeptanz der Projekte beitragen soll. Dringende herausragende Maßnahmen sollen so schneller geplant und gebaut werden können. Dabei kann man keine pauschalen Zeiten nennen, denn das hängt im Einzelfall von den Umständen vor Ort ab. Aber ich hoffe auf erhebliche Effekte.
Sie haben eben die Bahnsteigverlängerung auf dem RE1 genannt. Auf dieser Strecke kommt noch eine Abzweigung zum Tesla-Gelände und eventuell die Verschiebung eines Bahnhofs für das Werk hinzu. Kann damit der geplante 20-Minutentakt ab 2022 überhaupt noch realisiert werden?
Wir müssen die Beschränkungen so gering wie möglich halten. Aber wir sind mit dem Investor und allen Betroffenen noch ganz am Anfang der Gespräche.
Aus dem Zukunftsinvestitionsfonds stehen in diesem Jahr zehn Millionen Euro, im nächsten 90 Millionen Euro für die Infrastruktur in Grünheide zur Verfügung. Können Sie das Geld genauso schnell verbauen wie Tesla die Fabrik hochzieht?
Wir haben uns an dem orientiert, was für den Standort notwendig ist, und ich gehe davon aus, dass wir das dann auch umsetzen können.
Sie haben bei der Aufzählung der Projekte, die bis 2024 realisiert werden können, nicht den Zehn-Minuten-Takt der S-Bahn nach Oranienburg, Bernau oder Strausberg erwähnt. Sie dürften damit den Unmut in den Regionen hervorrufen, die darauf  hoffen.
Ich habe Verständnis für alle, die voller Ungeduld auf Verbesserungen warten. Bauen braucht nun mal Vorlaufzeiten. Wir verlieren keines der Projekte aus dem Blick, aber nicht alle gehen gleich schnell.
Der Koalitionsvertrag spricht ausdrücklich davon, dass stillgelegte Strecken reaktiviert werden sollen. Der Wunsch besteht unter anderem in Wriezen, Liebenwalde, Ketzin und Treuenbrietzen. Wann nehmen Sie sich dieser Aufgabe an?
Die Reaktivierung von stillgelegten Strecken ist grundsätzlich kein neues Thema. Schauen Sie sich die Heidekrautbahn oder die Potsdamer Stammbahn an, die Bestandteil von i2030 sind. Wenn wir den neuen Landesnahverkehrsplan für 2023 bis 2027 aufstellen, werden wir uns damit beschäftigen.  Hier spielen Nachfrage, Nutzen-Kosten-Verhältnis, Umweltaspekte sowie die Entwicklung von Regionen eine Rolle. Das muss alles gründlich abgewogen werden.
Kosten ist das Stichwort: Vor einigen Jahren wurde die Strecke zwischen Eberswalde und Templin wieder probehalber in Betrieb genommen. Die Fahrgastzahlen sind dort immer noch nicht exorbitant. Werden solche Strecken trotzdem am Leben erhalten, weil sie für dünnbesiedelte Regionen wichtig sind, oder soll das Geld lieber ins Berliner Umland investiert werden, wo mit einer vergleichbaren Bahn viele Menschen bewegt werden würden?
Das ist genau das Spannungsfeld, das Brandenburg ausmacht. Wir haben die interessante Situation, dass wir im Speckgürtel mit Wachstum umgehen müssen und in anderen Regionen mit gleichbleibender oder sinkender Bevölkerung. In allen Landesteilen müssen wir für Mobilität sorgen. Es gibt dafür keine Lösung von der Stange. Wir müssen vorausschauend handeln und auch Impulse geben für Entwicklungen. Brandenburg ist ein Bundesland, auf das nicht nur wegen Tesla gerade bundesweit geschaut wird. Wir haben Potenziale in vielerlei Hinsicht und das müssen wir bei der Entwicklung der Infrastruktur im Auge haben.
Zum Thema Landesplanung: Ihre Partei hat sich im Wahlkampf dafür stark gemacht, die Beschränkungen im Landesentwicklungsplan aufzuheben. Ist damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit jede Kommune so viel Bauland wie sie will, auch auf der grünen Wiese, ausweisen kann?
Die drei Koalitionspartner haben sich darauf verständigt, den Landesentwicklungsplan zu evaluieren. Dies soll noch in diesem Jahr beginnen. Wir werden Städte und Gemeinden als Träger der kommunalen Planungshoheit dabei einbeziehen. Auch diejenigen, die sich in ihrer Entwicklung unverhältnismäßig eingeschränkt fühlen.
Streben Sie dabei überhaupt noch eine ordnende Hand an oder ist vorstellbar, dass die bisherigen grünen Freiflächen zwischen den Entwicklungsachsen zugebaut werden?
Wir stehen für gleichwertige Lebensverhältnisse in Brandenburg. Dabei geht es natürlich auch darum, übergeordnete Aspekte zu berücksichtigen, wie den Klimawandel. Das dürfte auch von allen Akteuren nicht bestritten werden. Weil die Schiene das Rückgrat der verkehrlichen Erschließung ist, wird der Siedlungsstern auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Wir werden uns die Siedlungsachsen aber ansehen und prüfen, wo man nachsteuern sollte. Ein zu enges Korsett ist sicher nicht hilfreich. Aber genauso wenig kann man auf alle planerischen Vorgaben verzichten.
Luftfahrt: Dürfen  Sie von Berufs wegen Zweifel haben, dass der BER im Oktober eröffnet?
Ich habe keinen Anlass, an den Aussagen der Flughafengesellschaft zu zweifeln. Das ist gleichwohl ein sehr anspruchsvolles Vorhaben,  aber ich bin optimistisch.
Die Kommunen im Flughafenumfeld warnen seit Jahren vor einem Verkehrschaos, wenn sich der Flugverkehr in Schönefeld konzentriert. Sehen Sie die Gefahr?
Wir sind bei der Schienenanbindung des Flughafens gut unterwegs. Es wird erwartet, dass 60 Prozent der Passagiere mit öffentlichen Verkehrsmitteln an- und abreisen. Bis 2040 sollen es 65 Prozent sein. Das ist ein guter Schnitt. Die Sorgen bei der Straßenanbindung nehmen wir ernst. Das Netz ist bereits jetzt stark ausgelastet. Nehmen Sie nur die Engpässe auf der A113, die Autobahn aus Berlin. Von einem Verkehrschaos dürften wir aber weit entfernt sein.

Zur Person:Guido Beermann

Der heutige brandenburgische Verkehrs- Bauminister wurde 1965 im westfälischen Emsdetten geboren. Er studierte Jura in München. 1994 bis 2002 war er Referent im Kanzleramt, danach in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Später wurde er Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, anschließend Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium und seit 2018 Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Im November 2019 wurde er Minister in Brandenburg. Beermann ist verheiratet, ist Vater von drei Töchtern und lebt in Kleinmachnow.