Als Chef der gefürchtetsten Privatarmee der Welt war sich der russische Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin (62) der Todesgefahr stets bewusst. Zwar beteuerte er nach der gescheiterten Revolte, dass er keinen Machtwechsel geplant habe. Aber Kremlchef Wladimir Putin ist bekannt dafür, Verrat, noch dazu von Freunden, eiskalt zu bestrafen.
Auf den Tag genau zwei Monate nach seiner rätselhaften Meuterei gegen die russische Staatsmacht ist der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin nach einem Flugzeugabsturz im Gebiet Twer in Russland für tot erklärt worden. Der Telegram-Kanal Grey Zone, den Prigoschin zur Verbreitung seiner Videos nutzte, meldete schon am Mittwochabend den Tod des Chefs der Privatarmee Wagner.

Prigoschin und Wagner Kommandeur bei Absturz getötet

Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija veröffentlichte eine Passagierliste, auf der unter anderen Prigoschin und der offizielle Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin standen. Der Russische Zivilschutz teilte mit, dass alle zehn Insassen ums Leben gekommen seien – so viele, wie die russischen Piloten, die durch Prigoschins Wagner-Kämpfer bei dem Aufstand getötet worden waren, wie Beobachter rasch kommentierten.
Eine amtliche Bestätigung oder eindeutige Belege für den Tod des langjährigen Vertrauten von Kremlchef Wladimir Putin gab es bis zum Donnerstagmorgen nicht.

Russischer Militärblogger spricht von Mord

Der Embraer-Privatjet, auf dessen Passagierliste Prigoschin stand, war am Mittwoch nordwestlich von Moskau im Gebiet Twer abgestürzt. Zur Ursache gab es keine offiziellen Angaben, die Ermittlungen der Behörden begannen erst. Allerdings verbreiteten Grey Zone und einige Militärblogger die These, dass der Absturz kein Unfall gewesen sei. Grey Zone sprach von einem Abschuss durch die russische Flugabwehr. Überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. „Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands“, hieß es in einem Post.

Spekulationen über den Tod des Söldnerchefs

Schon lange war spekuliert worden, dass Prigoschin nach seinem Putsch gegen den Kreml in Gefahr schwebe. Für Russlands Präsidenten Putin, der keine öffentliche Infragestellung seiner Autorität duldet, war der Marsch der Wagner-Truppen auf Moskau eine beispiellose Erschütterung seiner Machtposition. Er nannte Prigoschin daraufhin einen Verräter. Und selbst wenn sich beide Männer später noch einmal trafen, gingen viele Experten davon aus, dass Putin seinem einstigen Intimus den Ungehorsam nicht verzeihen werde.
Der kremltreue russische Fernsehsender Zargrad stellte ebenfalls den Verdacht eines Mordkomplotts gegen Prigoschin in den Raum. Er gab aber dem ukrainischen Militärgeheimdienst die Schuld am Absturz des Flugzeugs. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte in Kiew, es sei offensichtlich, dass Putin niemandem für jene Angst vergeben werde, die ihm die Meuterei eingeflößt habe. Prigoschins Schicksal sei ein Signal an die russische Elite, dass jede Illoyalität mit dem Tod bestraft werde.

Biden: Putin steckt hinter vielen Dingen in Russland

US-Präsident Joe Biden schien sich nicht über Prigoschins Flugzeugabsturz zu wundern. Er wisse nicht genau, was passiert sei, sei aber nicht überrascht, sagte Biden am Rande eines Urlaubs im US-Bundesstaat Kalifornien. Auf die Frage von Reportern, ob der Absturz seiner Ansicht nach auf das Konto Putins gehe, sagte Biden: „Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt.“ Er wisse aber nicht genug, um die Frage beantworten zu können.
Mehrere deutsche Politiker haben sich mit Blick auf den Tod des Chefs der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, wenig überrascht gezeigt. "Dass Prigoschin seinen Angriff auf Putin mit dem Leben bezahlen wird, davon war auszugehen", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Mittwoch und sprach mit Blick auf Prigoschin von einem "Teufel, der sich mit dem Teufel einlässt". Es zeige aber auch, "dass offensichtlich große Nervosität bei Putin und seinen Schergen im Kreml herrscht", fügte sie hinzu.
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter vermutet, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Tod des Wagner-Chefs beauftragt hat. "Es war eine Frage der Zeit", sagte er in der Sendung "RTL Direkt" am Mittwochabend. "Dass es jetzt so rasch ging (...) und auch noch zehn weitere Tote in Kauf genommen wurden, zeigt die Brutalität des Systems Putin", erklärte er.

Ungewisse Zukunft der Wagner-Gruppe

Unklar ist, was aus den mehreren Tausend Wagner-Kämpfern wird, die nach der Meuterei nach Belarus gegangen sind und nun ihren Anführer verloren haben. „Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“, schrieb der Militärjournalist Roman Saponkow auf Telegram. „Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral.“ Prigoschin war wegen seiner Kritik an der regulären Armeeführung und einigen Erfolgen seiner Söldner auf dem Schlachtfeld beliebt bei Soldaten.

Zwischen Moskau und St. Petersburg: Beim Dorf Kuschenkino kam es zum Absturz

Zu hören war von Prigoschin seit der Meuterei nur noch wenig

Die Behörden bestätigten ungewöhnlich schnell, dass Prigoschin, der sich kurz zuvor erstmals per Video aus Afrika gemeldet hatte, auf der Passagierliste der Maschine gestanden habe. Der Wagner-Chef wollte auf dem afrikanischen Kontinent bei Konflikten in den einzelnen Staaten weiter Russlands und seine eigenen Interessen vertreten. Ein Teil seiner Truppe, die in Russland in Ungnade gefallen ist, wurde nach Belarus verlagert.
Zu hören war von Prigoschin seit der Revolte nur noch wenig. In Russland gab es die letzten viel beachteten Fotos, als er am Rande von Putins Afrika-Gipfel im Juli in St. Petersburg Gespräche führte.
Über Monate hinweg hatte er sich vor dem Aufstand wegen des chaotischen Kriegsverlaufs in der Ukraine mit der Militärführung in Moskau angelegt. Immer wieder warf er dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der Armee vor, Präsident Putin zu belügen. Mit dem bewaffneten Aufstand seiner mit Panzern und anderen schweren Waffen voll ausgestatten Armee forderte er aber letztlich auch Putin heraus.

Es gab Spekulationen um politische Ambitionen von Prigoschin

Zwar bestätigte der Kreml, dass sich Prigoschin und Putin nach dem Beinahe-Putsch noch einmal im Kreml trafen. Aber Beobachter erinnerten daran, dass Putin öffentliche Bloßstellung wie durch Prigoschin niemals vergibt. Wie der Kremlchef kommt Prigoschin aus St. Petersburg. Über das Privatleben des Familienvaters ist wenig bekannt. Aber immer wieder inszenierte er sich selbst als Beschützer mit sozialer Ader. So unterhielt er Rehazentren für Kriegsversehrte.
Seine Popularitätswerte schnellten zu Zeiten der Wagner-Kämpfe in der Ukraine in die Höhe - auch, weil er mit seinem Kanal beim Nachrichtendienst Telegram Hunderttausende erreichte. Viele hielten die Aussagen, die an die russische Opposition erinnerten, für ehrlich - ein Ventil in Zeiten des Kriegs. Das schürte auch Spekulationen um politische Ambitionen des Wagner-Chefs. Er wies solche Absichten stets zurück.
Prigoschin genoss vielmehr den Ruf, mit seinem Firmenimperium Concord und anderen geschäftlichen Aktivitäten auf maximalen Gewinn aus zu sein. Dass er dabei extrem machtbewusst vorging, war auch dem Kreml klar. Seinen Einfluss nutzte er besonders, um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow unter Druck zu setzen, den Einsatz im Krieg zu erhöhen. Er warf ihnen vor, die Truppen nicht ordentlich zu führen.

Prigoschin war „Putins Koch“

Als nun die Nachricht vom Absturz des Flugzeugs kam, meinten Kommentatoren in Moskau, es könne sich um Rache der beiden Militärs gehandelt haben. Auch mehrere Generäle, die auf Linie waren mit Prigoschin, wurden zuletzt abgesetzt oder sind von der Bildfläche verschwunden - ohne Erklärung.
Niemand sonst in Russland traute sich solche Kritik wie Prigoschin, für die einfache Bürger zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Es gehe ihm darum, dass die Armee mit Würde und Stolz ihre Aufgaben erfüllen könne - und nicht in einem System von „Speichelleckerei, Kriecherei und Verantwortungslosigkeit“, sagte er einmal. Der Söldnerchef kritisierte zudem, dass die Staatsmedien die Erfolge Wagners schmälerten oder sogar verschwiegen. Das Wort Wagner werde in den Medien „sorgfältig ausradiert“ - wie Genitalien in einem Film übers Saunieren, sagte er.
Bekannt war Prigoschin aber auch als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb ist der Russe, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, auch als „Putins Koch“ bekannt.

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Wagner-Truppen gelten im Westen als „Terrororganisation“

Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf soll sich mit seiner auf Desinformation spezialisierten Internet-Trollfabrik 2020 auch in die US-Präsidentenwahl eingemischt haben. Deshalb haben ihn die Vereinigten Staaten zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Die Wagner-Truppen gelten im Westen als „Terrororganisation“, verantwortlich für Kriegsverbrechen in vielen Ländern.
Im September, nach einem halben Jahr Krieg in der Ukraine, räumte Prigoschin erstmals ein, die Söldnertruppe schon 2014 für den Einsatz auf russischer Seite im ukrainischen Donbass gebildet zu haben. Zuvor hatte Prigoschin seine Verbindung zu den Söldnern nie eindeutig bekannt. Auch Moskau bestritt die Existenz jahrelang vehement.
Als zweiter Gründer ist der ehemalige Geheimdienstler Dmitri Utkin bekannt, der offizielle Wagner-Kommandeur. Auch er stand auf der Passagierliste der abgestürzten Maschine. Ihm wird eine Vorliebe für den deutschen Komponisten Richard Wagner nachgesagt - daher der Name der Truppe. Im Ukraine-Krieg spielte sie lange Zeit eine zentrale Rolle: Als Prigoschins größter militärischer Erfolg galt die blutige Eroberung der ostukrainischen Stadt Bachmut. Seine Männer sollen aber auch an dem Massaker in Butscha nahe Kiew beteiligt gewesen sein.
Wagner-Kämpfer waren in Syrien, anderen arabischen Ländern sowie in Afrika und Lateinamerika im Einsatz, und sind es auch heute noch. Dort liegt eine von vielen Geldquellen: Wagner bietet skrupelloses Personal und Dienstleistungen. Im Gegenzug gibt es Geld und Rohstoffe wie Gold und Diamanten. In Russland verdient Prigoschin Geld mit der Essensversorgung beim Militär, aber auch in Schulen und Kindergärten.

Bei Flucht aus Wagner-Armee droht Hinrichtung

Die Wagner-Gruppe rekrutiert ihre Mitglieder unter Freiwilligen - im Ukraine-Krieg nicht zuletzt unter Häftlingen. Prigoschin lockte Schwerverbrecher mit dem Versprechen, nach halbjährigem Kriegsdienst die Begnadigungsurkunde zu erhalten. 32 000 Ex-Gefangene seien so in Freiheit gekommen. Etwa 10 000 frühere Häftlinge wurden nach Prigoschins Angaben allerdings allein im Kampf um Bachmut getötet. Bei Fluchtversuchen aus den Reihen der Armee soll die Hinrichtung drohen. Für Entsetzen sorgte etwa ein Video, das zeigen soll, wie ein abtrünniger Wagner-Mann mit einem Vorschlaghammer getötet wird.
Kommentatoren meinen stets, dass der Wagner-Chef seine Kritik mit dem Leben bezahlen werde. Wie andere Kritiker Putins zuvor.