Am Sonntag, 14. Mai 2023, stimmten die Menschen in der Türkei über das Präsidentenamt und ein neues Parlament ab. 100 Jahre nach der Republikgründung steht das Land vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Mittlerweile sind die Wahllokale geschlossen und die Stimmauszählung hat begonnen. Hier gibt es alle Infos zur Wahl 2023 in der Türkei:
Hochrechnung, Prognose, Ergebnis - So läuft die Auszählung der Stimmen in der Türkei
Die Wahllokale in der Türkei öffneten am Sonntag um 07.00 Uhr (MESZ) und schlossen um 16.00 Uhr (MESZ). Einige Stunden später wurden Teilergebnisse von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlicht. Laut den dortigen Zahlen sah es nach 94,66 Prozent der geöffneten Wahlurnen im Rennen um die Präsidentschaft so aus:
- Erdogan: 49,56 Prozent
- Kilicdaroglu: 44,71 Prozent
- Ogan: 5,28 Prozent
- Ince: 0,45 Prozent
Damit rutscht Amtsinhaber Erdogan seit Beginn der Stimmenauszählung erstmals unter die 50-Prozent-Marke. Als gerade einmal ein Viertel der Stimmen ausgewertet waren, hatte der Präsident noch mit über 54 Prozent vorn gelegen. Sollte sich dieses Ergebnis verfestigen, gibt es an diesem Sonntag keinen Sieger der Präsidentschaftswahl. Denn: Gewinnt keiner der Kandidaten in der ersten Runde die absolute Mehrheit, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl.
Die Staatsagentur Anadolu veröffentlicht in der Regel zunächst die Auszählungsergebnisse in Erdogan-Hochburgen. Die ersten Daten lassen daher noch keine Rückschlüsse auf das Endergebnis zu. Die oppositionsnahe Agentur Anka sieht die beiden Kandidaten gleichauf bei etwa 47 Prozent der Stimmen.
Opposition sieht sich bei Wahlen in der Türkei vorn
Der türkische Präsidentschaftskandidat Kemal Kilicdaroglu hat sich wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale deutlich optimistisch gezeigt. „Wir liegen vorn“, twitterte der 74-Jährige am Sonntagabend während der Stimmauszählung. Auf welche Daten er sich bezog, sagte er nicht.
Der Tweet wurde in kürzester Zeit tausendfach geteilt und gelikt. „Unser Präsidentschaftskandidat, Herr Kilicdaroglu, wird heute Abend als Präsident verkündet. Das können wir sagen, und daran glauben wir“, sagte sein Parteikollege, der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu.
Die Opposition rief zudem dazu auf, offiziellen Angaben keinen Glauben zu schenken. Man vertraue der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu überhaupt nicht, so Imamoglu.
Hochrechnung und Ergebnis der Parlamentswahl
Auch im Parlament deutete sich ein knappes Rennen an. Nach Öffnung von 82,7 Prozent der Wahlboxen hat die Erdogan-Allianz nach Angaben von Anadolu eine knappe Mehrheit von 50,5 Prozent der Stimmen. Das Bündnis um Kilicdaroglu käme demnach nur auf 34,5 Prozent der Stimmen. Selbst mit der Unterstützung der Allianz um die prokurdische HDP (9,5 Prozent) kämen sie nicht auf eine absolute Mehrheit.
Was und wer wird in der Türkei gewählt?
Die Wähler hatten am 14. Mai zwei Stimmen: Eine für den Präsidenten und eine für das Parlament. Gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan (69) tritt als aussichtsreichster Kandidat Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) für ein Bündnis aus sechs Parteien an. Auf dem Wahlzettel standen noch zwei weitere Namen: Sinan Ogan (55) und Muharrem Ince (59). Letzterer hatte aber am Donnerstag, 11. Mai, seinen Rückzug erklärt. Alle Infos zu den Kandidaten gibt es in diesem Extra-Beitrag:
Wahlen in der Türkei: Schon früh lange Schlangen
In der Türkei hat am Sonntagmorgen die mit Spannung erwartete Präsidentschafts- und Parlamentswahl begonnen. Schon vor der Öffnung der Wahllokale bildeten sich in Istanbul und Ankara teilweise lange Schlangen. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte nach der Stimmabgabe, er hoffe auf ein gutes Wahlergebnis für die Zukunft der Türkei. „Ich hoffe bei Gott, dass das Ergebnis nach Abschluss der Auszählung heute Abend gut für die Zukunft unseres Landes und die türkische Demokratie ist“, sagte der 69-Jährige.
Kleinere Zwischenfälle bei den Wahlen in der Türkei
Die Parlaments- und Präsidentenwahl in der Türkei läuft nach Einschätzung der Wahlbehörde bislang ohne größere Zwischenfälle. „Bis jetzt verliefen die Wahlen ohne Probleme“, sagte der Chef der Wahlkommission YSK nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag. Er hoffe, dass es dabei bleibe.
Die prokurdische Oppositionspartei HDP bestätigte der Deutschen Presse-Agentur einen Medienbericht, wonach im südosttürkischen Mardin Wahlbeobachter der Schwesterpartei YSP angegriffen wurden. Es sei zum Streit gekommen, nachdem Beobachter mehr als einem Familienmitglied den Zutritt zur Wahlkabine verweigert hätten.
Ein Abgeordneter der CHP teilte ein Video, auf dem zu sehen sein soll, wie im südosttürkischen Sanliurfa reihenweise Wahlzettel für Präsident Recep Tayyip Erdogan gestempelt wurden. Weder ließ sich verifizieren, wann und wo die Aufnahmen gemacht wurden, noch, ob es sich bei den Wahlzetteln um echte handelte.
Wie stehen die Chancen der Opposition, Erdogan zu besiegen?
So gut wie nie. Kilicdaroglu liegt in den meisten Umfragen vorne, es zeichnet sich jedoch ein Kopf-an-Kopf Rennen ab. Gewinnt keiner der Kandidaten in der ersten Runde die absolute Mehrheit, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl - voraussichtlich zwischen Kilicdaroglu und Erdogan. Wer die Mehrheit im Parlament mit seinen 600 Abgeordneten erringen wird, ist noch nicht absehbar. Die Partei, die das Parlament gewinnt, hätte in einer Stichwahl einen psychologischen Vorteil.
Wird die Wahl fair und frei?
Nach Ansicht von Beobachtern ist der Wahlkampf unfair - unter anderem wegen der Medienübermacht der Regierung. Erdogan nutzt zudem staatliche Ressourcen. Hunderttausende Beobachter von Regierung und Opposition sollen die Urnen in der Wahlnacht absichern. Das macht Betrug zumindest schwieriger. Zu Problemen kann es trotzdem kommen: Ein neues Wahlgesetz sehen Experten etwa kritisch, unter anderem, weil dadurch die Gefahr gestiegen ist, dass regionale Wahlausschüsse mit Erdogan-Loyalisten besetzt werden. 2018 hatte sich Erdogan zudem schon zum Sieger erklärt, bevor alle Stimmen ausgezählt waren. Die Wahlbehörde YSK gilt als politisiert und hatte in der Vergangenheit Entscheidungen zugunsten Erdogans getroffen.
Hunderttausende Türken in Deutschland haben schon gewählt
An der türkischen Präsidenten- und Parlamentswahl haben sich im Vergleich der vorläufigen Ergebnisse in Deutschland weniger Menschen beteiligt als bei den vorangegangenen Wahlen. 732.776 der 1,5 Millionen in Deutschland registrierten Wähler gaben bis Dienstagabend ihre Stimme ab und damit knapp ein Prozent weniger als 2018, wie aus Zahlen der Wahlbehörde vom Mittwoch hervorging. Die Beteiligung lag damit in Deutschland bei 48,8 Prozent. 2018 hatte die Beteiligung nach Schließung der Wahllokale vorläufig bei 49,74 Prozent gelegen. Sie war jedoch am Wahlabend noch einmal auf 45,7 Prozent korrigiert worden.
Insgesamt liegt die Zahl der von Auslandstürken abgegebenen Stimmen den vorläufigen Angaben zufolge in diesem Jahr auf einem Rekordhoch: 53,18 Prozent der 3,4 Millionen Wähler im Ausland haben ihre Stimme bisher abgeben - 2018 waren es der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge 48,8 Prozent gewesen. Auslandstürken können aber noch bis zum Wahltag am Sonntag an den Grenzübergängen, Häfen und Flughäfen der Türkei abstimmen.
Ausgezählt werden die Stimmzettel in der Türkei und die Ergebnisse zusammen mit denen in der Türkei bekanntgegeben.