Mit Macht drückt Gesundheitsminister Jens Spahn auf Veränderung, etwa mit dem gerade im Bundestag verabschiedeten Digitale-Versorgung-Gesetz. Höchste Zeit ist es. Deutschland steht im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen weit hinten. Exemplarisch dafür ist das Desaster mit der elektronischen Patientenakte. Die sollte es seit 2006 geben. Jetzt soll es bis 2021 etwas werden. In Skandinavien, im Baltikum oder in Österreich ist sie längst eine Selbstverständlichkeit. Das elektronische Rezept ist in Ländern wie Schweden, Holland oder Tschechien normal. In Deutschland wird es damit nach dem Willen von Spahn 2020 so weit sein.
Ab kommendem Jahr sollen auch nützliche Apps im medizinischen Alltag ankommen, indem sie anders und schneller als Kassenleistung anerkannt werden als sonst üblich. Denn das Tempo, mit dem bisher Behandlungsmethoden begutachtet werden, um in den Kassenkatalog zu kommen, passt nicht zur Digitalisierung. Da wären Apps nach der Entscheidung längst wieder veraltet. Das aber leuchtet längst nicht jedem im Gesundheitssystem ein.
Die Beharrungskräfte sind groß. Wenn ein Drittel der Arztpraxen trotz drohender Sanktionen noch nicht an das Datennetz angeschlossen ist, das Mediziner, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken, Krankenkassen sicher miteinander verbinden soll, spricht das für eine Verweigerungshaltung. Viele Hausärzte beispielsweise sind über 60 Jahre alt und wollen sich häufig nicht mehr von Papierakten und Fax trennen. Auch wenn das viele Patienten, die ihr Leben per Smartphone organisieren, gern hätten. Der Datenschutz sorgt ebenfalls immer wieder für Besorgnisse, etwa bei der umstrittenen Zurverfügungstellung der Behandlungsdaten für die Forschung. Wegen Datenschutzbedenken des Justizministeriums flogen auch Regelungen zur E-Akte aus dem Digitale-Versorgung-Gesetz und müssen extra verabschiedet werden.
Vorhersagen kann man, dass das ein holpriger Start in ein neues Zeitalter des Gesundheitswesens wird. Vieles passiert neben- oder gar gegeneinander. Vieles passt nicht zusammen. Mit Pilotprojekten allein, so gut sie zum Teil sind, lässt sich die Digitalisierung in der Breite nicht durchsetzen. Aber auch die Akzeptanz bei den Patienten ist nötig. Zunächst aber wird etwa die Patientenakte nur als schlichtes Basismodell zur Verfügung stehen. Und nur wenige Ärzte werden Videosprechstunden anbieten. Das Bedürfnis, die digitalen Angebote zu nutzen, wird jedoch erst dann groß sein, wenn der Versicherte einen echten Mehrwert erkennt.
Der Minister kann nicht alles bis ins Kleinste regeln und anweisen. Auch wenn er das wohl gern möchte. Eine oberste Digitalisierungsbehörde wäre eine sinnvolle Institution, die alle Fäden in der Hand hält und sich bei allen Akteuren durchsetzen kann. Und das auch dann noch, wenn der Digitalisierungsfan Jens Spahn längst kein Gesundheitsminister mehr ist.