Nicht nur im Ruhrpott werden damals Tränen vergossen. Für den elfjährigen Toni Bauer aus Joachimsthal, seines Zeichens eingefleischter Schalke-Fan, bricht eine Welt zusammen. Und er fällt eine folgenschwere Entscheidung: "Ich werde Schiedsrichter, damit solche Fehlurteile nicht mehr passieren."
Im Heimatverein des Elfjährigen, dem FSV Schorfheide Joachimsthal, unterstützt man das Vorhaben des Jungspundes. Mit 14 beginnt er die Ausbildung – und findet Gefallen an dem Hobby mit der Pfeife. Er lässt sich keine Gelegenheit entgehen, mit erfahrenen Referees zu den Spielen zu fahren. "Später sind die dann mit mir los gefahren, das war schon lustig", sagt der heute 30-Jährige, der mit vielen Kollegen inzwischen gut befreundet ist.
Bauer macht eine schnelle Karriere. Mit noch nicht einmal 30 Jahren darf er bereits Oberliga pfeifen. Allerdings steigt er nach nur einer Saison wieder ab. "Das war schon richtig bitter für mich. In meiner ersten Saison in der Oberliga war noch alles neu, ich bekam es mit Perönlichkeiten wie Torsten Mattuschka zu tun. Da war ich einfach noch nicht abgezockt genug."
Der Rückschritt wurmte Bauer. Für ihn war klar: "Ich will da wieder hin." Und er lieferte ab, ist jetzt zurück in der Oberliga. "Die Liga hat schon ihren Reiz mit 5000 bis 10 000 Zuschauern. Man ist auch mal umgeben von riesigen Kamera-Schwenkarmen und abends im Fernsehen zu sehen, das ist natürlich toll", gesteht der 30-Jährige.
50 bis 60 Spiele pfeift Toni Bauer pro Jahr, manchmal ist er von Freitagabend bis Sonntagabend unterwegs. Ein anstrengender Nebenjob. "Aber mir macht es Spaß. Ich mag diesen Leistungsdruck."
Auf dem Feld bezeichnet sich Bauer eher als Kumpeltyp. Im Unterschied zu vielen Kollegen duzt er die Spieler ganz bewusst. "Ich spreche offen, agiere eher auf einer freundschaftlichen Ebene, aber ich würde mich schon auch als durchsetzungsstark bezeichnen", sagt er. Tricks und Kniffe, wie man ein Spiel möglichst gut leitet, hat sich der gebürtige Joachimsthaler inzwischen erarbeitet. "Man muss die vier wichtigsten Spieler auf dem Platz im Griff haben. Die ziehen die anderen mit." Wer die "Anführer" sind in einem Team, das bekommt er meist schon vorher heraus. "Das muss nicht unbedingt immer der Kapitän sein. In der Regel hat man ja vor dem Spiel kurz Zeit, mit der Mannschaft zu sprechen. Da beobachte ich genau, achte auf bestimmte Abläufe und dann weiß man sehr schnell, wer wo steht." Ein bisschen Psychologie sei immer wichtig, so Bauer. "Darin werden wir ja auch geschult und das bringt wirklich was."
Inzwischen hat Toni Bauer wohl auch mehr Verständnis für Markus Merk im Jahr 2001. Denn er weiß: Fehlentscheidungen passieren. Wenn man innerhalb von Sekundenbruchteilen eine Entscheidung treffen muss, dann könne die auch mal falsch sein. "In der Situation muss man natürlich dabei bleiben, der Weg zurück geht nicht. Aber ich bin da auch ehrlich mit den Spielern. Wenn die nach dem Spiel zu mir kommen und mir erklären, dass eine Situation aus ihrer Sicht anders war, dann sage ich denen auch, wenn ich mir im Nachhinein nicht mehr 100prozentig sicher bin, die Situation in der Sekunde eben anders gesehen habe. Die meisten Spieler zeigen dann auch Verständnis."
Lieber 90 Minuten ein langweiliges Spiel, in dem er nicht viel zu tun hat oder eine emotionale Partie, in der es richtig zur Sache geht? "Ich denke mal, da sagen 80 Prozent der Kollegen dasselbe wie ich: Lieber ein Spiel, wo es heiß her geht." Schließlich hat Bauer eine Passion: gute Vorbereitung. Er studiert im Vorfeld Videos der Mannschaften, die Spieler, das Spielsystem, merkt sich Details. "Ich weiß dann schon: Der Verteidiger ist nicht mehr so schnell und grätscht gerne von hinten rein, dem muss ich schnell Gelb geben, sonst wird es böse." Wenn dann in einem hektischen Spiel seine Taktik aufgehe, sei das die schönste Belohnung, sagt Bauer. "Dann läuft alles wie aus einem Guss."
Auch heute noch pfeift der Schiedsrichter auch auf Kreisebene. Die Unterschiede zum Halb-Profi-Fußball? "In der Kreisliga nehmen die Leute ihr Privatleben mit auf den Platz. Wenn einer Ärger im Job oder mit der Freundin hat, lässt er es hier raus. Das passiert in den höheren Ligen nicht, weil sie wissen, dann wechselt der Trainer sie aus." Auch würden klare Entscheidungen im professionelleren Fußball schneller angenommen, so seine Erfahrung.
Dass sein Lieblingsverein Schalke ihn zu einem Hobby verholfen hat, der heute den Großteil seines Privatlebens ausmacht, hat Toni Bauer nicht bereut. Im Gegenteil. "Auch im Berufsleben hat mich das weiter gebracht. Wenn man mit 17 Jahren als stellvertretender Lehrwart schon Vorträge vor 60 bis 70 Leuten halten muss, dann kann man daran nur wachsen." Inzwischen ist Bauer, der als Immobilien-Verwalter arbeitet, auch Gruppenleiter seines Teams geworden. "Man lernt als Schiedsrichter viel in Sachen Führungsstil. Ich denke, das hat mir geholfen."
Wie wird man Schiedsrichter?
Das Mindestalter für Schiedsrichter-Anwärter ist zwölf Jahre. Wer sich für die Tätigkeit interessiert, sollte Interesse am Fußball sowie die Bereitschaft zum Einsatz am Wochenende und zur Weiterbildung mitbringen.25 bis 50 Unterrichtsstunden müssen absolviert werden. Danach folgen eine schriftliche Prüfung sowie ein Fitnesstest. Wer bestanden hat, bekommt zunächst Einsätze in den Basisklassen im Junioren- und Seniorenbereich. bag