Eigentlich wollte Gunnar Mielenz am Samstagnachmittag im Stadion An der Alten Försterei nur Fußball schauen. So wie immer – mit Bier und Bratwurst. Stattdessen wurde die Testpartie des 1. FC Union Berlin gegen den Zweitligisten Holstein Kiel (1:2) zum „hochklassigsten Spiel“ seiner Karriere, wie der 40 Jahre alte Hobby-Schiedsrichter nach dem Schlusspfiff strahlend berichtete.
Denn Gunnar Mielenz vom Friedrichshagener SV, der normalerweise in der sechstklassigen Berlin-Liga im Einsatz ist, sprang kurzentschlossen als Linienrichter für den während des Spiels verletzten Schiedsrichter Dr. Max Burda ein. „Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Wir Schiedsrichter haben eine große Kameradschaft und springen für den anderen ein“, betonte er.
Dabei kommt Gunnar Mielenz als Fan regelmäßig ins Stadion An der Alten Försterei. Denn er besitzt eine Dauerkarte. Diesmal war jedoch alles anders. „Natürlich ist es schön, wenn man als Union-Fan auf der Tribüne steht und feiern darf. Diesmal war es eher Arbeit, aber auch ein Riesenerlebnis. Es war für mich das hochklassigste Spiel meiner Karriere“, sagte Mielenz. Dieses Erlebnis löste in seiner persönlichen Rangliste das Berliner Landespokalfinale 2022 ab, wo er beim Duell VSG Altglienicke gegen Viktoria Berlin als Vierter Offizieller fungierte.
Dass am Samstag nach dem Spiel vor allem über diesen Hobby-Schiedsrichter und seinen Einsatz bei den Profis debattiert wurde, lag auch an der insgesamt überschaubaren Leistung der Mannschaft von Trainer Urs Fischer in diesem XXL-Test gegen den letztjährigen Tabellenachten der 2. Liga. Gespielt wurde über viermal 30 Minuten, damit in der derzeitigen Phase der Saisonvorbereitung möglichst viele Spieler Wettkampfminuten sammeln können.

Sheraldo Becker trifft für Union Berlin

Die Gastgeber hatten zwar in der zweiten Hälfte der 120 Minuten reichlich Torchancen. Sie kamen aber nur zu einem einzigen Tor durch das 1:2 von Sheraldo Becker per Foulstrafstoß (111.). Fehlende Präzision sowie Pfosten und Latte verhinderten weitere Treffer. „Uns hat die Effizienz vor dem Tor gefehlt. Wir haben nicht präzise genug gespielt und uns zu wenig bewegt“, bilanzierte Fischer: „Dennoch waren gute Ansätze da. Wir haben hinten nicht viel zugelassen.“
Viel mehr gab es über dieses XXL-Spiel eigentlich nicht zu sagen, wenn man mal vom Eigentor der Eisernen absieht, als Torhüter Frederik Rönnow bei einem Rückpass einfach ein Luftloch schlug, sodass der Ball in aller Seelenruhe über die Torlinie trudeln konnte. Aber es gab ja Gunnar Mielenz, der auch nach dem Spiel noch ganz viel Spaß hatte und mit seinem Sohn an der Hand locker und cool die Fragen der Reporter beantworte.
Zum Beispiel die Frage nach dem alles entscheidenden Moment, als Stadionsprecher Christian Arbeit den Hilferuf startete. Falls ein Schiedsrichter mit mindestens Regionalliga-Tauglichkeit im Stadion sein sollte, möge er sich umgehend melden, rief Arbeit in sein Mikrofon. Diese Qualifikation brachte Mielenz zwar nicht mit, aber in so einer Situation muss notfalls halt auch die 6. Liga genügen. „Ich stand auf der Tribüne und habe meinem Sohn gerade einen Fünfer in die Hand gedrückt, damit er sich eine Bratwurst kaufen kann. Und dann habe ich die Ansage gehört“, berichtete er: „Mein Kumpel kam gerade mit dem Bier für uns zurück – ich habe das Bier schon gesehen.“
Aber nicht mehr getrunken. Denn Gunnar Mielenz meldete sich umgehend bei einem Ordner, der für ihn das Tor zum Innenraum öffnete. Dann ging es runter in die Schiri-Kabine zum Umziehen und anschließend sofort auf den Rasen. Nach einer 15-minütigen Unterbrechung konnte die Partie fortgesetzt werden – mit Gunnar Mielenz aus der Berlin-Liga an der Seitenlinie.

Lob von Trainer Urs Fischer

Auch für die Union-Profis war es eine ungewohnte Situation. „Ja, echt kurios. Wir haben auf der Bank ein paar Witze gemacht, wer jetzt einspringt. Aber der Mann an der Seitenlinie hat es dann echt super gemacht. Vielleicht sieht man ihn ja jetzt öfter hier am Samstag“, schmunzelte Mittelfeldspieler Janik Haberer. Trainer Urs Fischer war froh darüber, dass der Test gegen Kiel überhaupt fortgesetzt werden konnte und zollte ebenfalls ein Lob: „Es war gut, dass ein Zuschauer eingesprungen ist. Er hat seine Sache wirklich sehr gut gemacht.“
Gunnar Mielenz will in Zukunft aber lieber wieder als Fan und Zuschauer ins Stadion kommen. In seiner größten Stunde als Unparteiischer dachte er jedoch auch an seinen verletzten Schiri-Kollegen Max Burda, für den die Partie schon nach 30 Minuten beendet war. „Beste Genesungswünsche an Max. Das tut ihm, glaube ich, am meisten weh“, sagte Mielenz.
Er selbst freute sich nach getaner Arbeit an der Seitenlinie auf das Bier, das er während des Spieles zwar vor Augen hatte, dann aber wegen seines spontanen Einsatzes an der Seitenlinie doch nicht trinken konnte. Gunnar Mielenz wird es verschmerzen. Immerhin wurde er am Samstag mit dem „hochklassigsten Spiel“ seiner Karriere entschädigt.