Es ist ein historischer Fußballmoment, wenn der 1. FC Union Berlin in seinem ersten Champions-League-Spiel am Mittwochabend (20. September) im berühmten Bernabeu-Stadion gegen Real Madrid antritt (18.45 Uhr).
Die Eisernen aus Köpenick treffen bei ihrer Premiere in der europäischen Königsklasse auf den Rekordgewinner in diesem Wettbewerb. 14 mal hat Real Madrid die Champions League gewonnen. Union Berlin hingegen spielt erst seit vier Jahren in der Bundesliga.
Wie kann man diesen Höhenflug eines Vereins, der vor nicht einmal 20 Jahren noch viertklassig war, am besten in Worte fassen? Sportreporterin Josephine Japke begibt sich auf eine eiserne Zeitreise – von Ludwigsfelde nach Madrid.

22. Oktober 2005: Union Berlin siegt gegen Ludwigsfelde

Union Berlin spielt in der damals viertklassigen Oberliga Nord. Dank der reisefreudigen Union-Fans gibt es auch auswärts zumindest gefühlte Heimspiele. So auch am 22. Oktober gegen den Ludwigsfelder FC: 500 Heimfans stehen etwa 2000 Unionern gegenüber. Union Berlin gewinnt mit 3:1 durch drei Tore von Daniel Teixeira. Der Brasilianer, den alle „Texas“ rufen, ist der Held jener Union-Tage.
Später geht es nach Falkensee-Finkenkrug, zum FC Anker Wismar, nach Neustrelitz und Eberswalde. Die „Galaktischen“ von Real Madrid mit ihren damaligen Helden David Beckham oder Zinedine Zidane sind zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Galaxien weit entfernt.

21. August 2007: Aufholjagd von Union wird belohnt

An einem Dienstagabend tritt Union im strömenden Regen bei Eintracht Braunschweig an. Der BTSV führt mit 2:0, Union dreht das Spiel noch zum 5:3-Sieg – unter anderem durch zwei Treffer von Union-Legende Torsten Mattuschka. Ewig feiert der rot-weiße Gästeblock trotz des Gewitters – erst mit der Mannschaft und dann allein im leergefegten Braunschweiger Stadion.
Irgendwann meldet sich der Stadionsprecher: „Liebe Unioner, wir würden gerne Feierabend machen. Könnt ihr bitte nach Hause gehen?“

27. Oktober 2007: Union siegt gegen Dynamo Dresden – und provoziert

Spiele gegen Dynamo Dresden sind immer etwas Besonderes – für Mannschaft, Fans und Polizei. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen reisen 1500 Unioner nach Dresden und erleben ein Spiel, in dem Dynamo lange die bessere Mannschaft ist. Doch dann schlägt Daniel Schulz in der 77. Minute zu, Union gewinnt etwas unverdient mit 1:0.
Nach dem Spiel klettert Unions heutiger Co-Trainer Sebastian Bönig auf den Zaun, schnappt sich ein Megafon und setzt zu einem Anti-Dynamo-Gesang an, mit dem er sich außerhalb des Gästeblocks ziemlich unbeliebt macht.

27. Juli 2008: FC Bayerns Thomas Müller trifft gegen Union Berlin

Erster Spieltag in der neuen 3. Liga und Union gastiert bei Bayern München II. Im Stadion Grünwalder Straße sind 700 Unioner unter den 3300 Zuschauern. Ein gewisser, damals 18-jähriger, Thomas Müller schießt in der 49. Minute das 1:0 für das Team von Trainer Hermann Gerland. Bayern II gewinnt am Ende 2:1. Erst elf Jahre nach dieser Drittliga-Saison werden Müller und Union wieder aufeinandertreffen – in der Fußball-Bundesliga.

9. Mai 2009: Union Berlin steigt in die 2. Fußball-Bundesliga auf

Union wird erster Meister der 3. Liga und nennt sich fortan „Auswärtsaufsteiger“. Weil das Stadion An der Alten Försterei eigenhändig umgebaut wird, müssen die Heimspiele im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark ausgetragen werden. Ausgerechnet im Stadion des alten DDR-Erzfeindes BFC Dynamo. Am 9. Mai gewinnt Union also im Prenzlauer Berg ein Auswärtsheimspiel gegen Regensburg mit 2:0. Die Fans stürmen das Spielfeld im Jahn-Sportpark. Doch gefeiert wird zu Hause, in Köpenick.
Ausgerechnet im Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark, dem Stadion des alten Erzfeindes BFC Dynamo, feiert der 1. FC Union Berlin im Mai 2009 den Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga.
Ausgerechnet im Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark, dem Stadion des alten Erzfeindes BFC Dynamo, feiert der 1. FC Union Berlin im Mai 2009 den Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga.
© Foto: Josephine Japke

5. Februar 2011: Union Berlin siegt im Derby gegen Hertha BSC

Mit dem Abstieg von Hertha BSC in die 2. Bundesliga ist klar, dass die beiden Derbys die wichtigsten Spiele der Saison werden. Das Hinspiel in Köpenick endet 1:1, zum Rückspiel im Olympiastadion reisen 15.000 Union-Fans und peitschen ihre Mannschaft nach vorn. Beim Stand von 1:1 bekommt Union in der 71. Minute einen Freistoß zugesprochen, der zu einem legendären Moment wird. Die rote Kurve singt: „Torsten Mattuschka, du bist der beste Mann“ und „Hau ihn rein für den Verein“. Mattuschka tritt an und trifft zum 2:1-Sieg. Den Torschrei muss man auch im 23 Kilometer entfernten Köpenick gehört haben.
Stadtmeister im Olympiastadion: Der 1. FC Union Berlin gewinnt in der Saison 2010/2011 das Derby bei Hertha BSC mit 2:1. Torschütze John Jairo Mosquera feiert mit den 12.000 mitgereisten Union-Fans.
Stadtmeister im Olympiastadion: Der 1. FC Union Berlin gewinnt in der Saison 2010/2011 das Derby bei Hertha BSC mit 2:1. Torschütze John Jairo Mosquera feiert mit den 12.000 mitgereisten Union-Fans.
© Foto: Herbert Knosowski/dpa

12. August 2011: Union-Fans werfen mit Bechern nach ihrer Mannschaft

Union verliert desolat mit 0:4 auswärts bei Dynamo Dresden. Als die Mannschaft vor den Block kommt, entlädt sich der Frust der Fans. Becher fliegen. Es gibt Pfiffe gegen das eigene Team – und diejenigen, die mit Bechern werfen. Die Fanszene ist gespalten, hitzige Diskussionen enden teils im Handgemenge.
Nach einer schlaflosen Nacht steht der Drachenboot-Cup des Eisernen Fanclubs V.I.R.U.S an. Auch dort nur ein Thema: die schlimme Niederlage und die noch schlimmere Reaktion darauf. Dann taucht die Mannschaft auf und stellt sich der Kritik. Am Ende des Abends ist klar: Die Union-Welt ist immer noch heil. Seitdem haben die Fans ihr Team nie wieder ausgepfiffen, geschweige denn einen Becher nach ihr geworfen.

26. Oktober 2016: 12.000 Union-Fans reisen zum DFB-Pokal-Spiel gegen Borussia Dortmund

Als Union Berlin in der 2. Runde des DFB-Pokals Borussia Dortmund zugelost bekommt, wächst die Vorfreude ins Unendliche. Noch nie hat Union gegen den BVB gespielt, noch nie die Kulisse erlebt, von der ganz Europa schwärmt. 12.000 Eiserne machen sich auf den Weg in den Ruhrpott. Die rot-weißen Fans kämpfen auf den Rängen gegen die tosende Gelbe Wand an, die Mannschaft auf dem Rasen als mittelmäßiges Zweitligateam gegen den großen Favoriten. Der BVB gewinnt erst im Elfmeterschießen. Die verpasste Sensation schmerzt, doch der Stolz überwiegt.
Fast die Sensation: Steven Skrzybski von Union Berlin bejubelt seinen 1:1-Ausgleichstreffer in der 2. Runde des DFB-Pokals 2016/17 gegen Borussia Dortmund. Am Ende setzt sich der favorisierte Bundesligist im Elfmeterschießen gegen die Eisernen durch.
Fast die Sensation: Steven Skrzybski von Union Berlin bejubelt seinen 1:1-Ausgleichstreffer in der 2. Runde des DFB-Pokals 2016/17 gegen Borussia Dortmund. Am Ende setzt sich der favorisierte Bundesligist im Elfmeterschießen gegen die Eisernen durch.
© Foto: Ina Fassbender/dpa

14. April 2018: Karten für St. Pauli sind bei Union-Fans heißbegehrt

Zwölfmal hat Union Berlin auswärts beim FC St. Pauli gespielt, aber nur zweimal gewonnen. Zuletzt am 14. April 2018. Dennoch gehörten Spiele beim Hamburger Kiezklub zu den beliebtesten Auswärtspartien. Wer dafür eine Karte haben wollte, musste sich früh am Morgen vor der Geschäftsstelle anstellen, am besten mit Thermoskanne und geschmierten Brötchen.
Heute wird die Verteilung der Tickets anders geregelt – außer es geht gegen Real Madrid: Als vergangene Woche mit der Vergabe der knapp 4000 Auswärtskarten für das Estadio Santiago Bernabeu begonnen wurde und Leute wieder stundenlang warteten, kam es zu nostalgischen Gesprächen: „Wann hast du das letzte Mal so angestanden?“ – „Damals, für St. Pauli.“

19. Mai 2019: Union Berlin verpasst den direkten Aufstieg in die Bundesliga

Es ist der letzte Spieltag in der 2. Liga – und es ist alles angerichtet. Mit einem Auswärtssieg beim VfL Bochum könnte der direkte Aufstieg in die Bundesliga geschafft werden. Doch nach 90 Minuten Zittern ist die Verzweiflung groß: Union kommt nicht über ein 2:2 hinaus und muss in die Relegation. Auf dem Platz fließen Tränen, auf den Rängen ebenso. Denn jeder weiß: Der Zweitligist gewinnt so gut wie nie in der Relegation um die Bundesliga. Desillusioniert treten die Fans die Heimreise an. Erst in den folgenden Tagen kehrt der Kampfeswille zurück: Es sind noch zwei Spiele zu spielen ...

27. Mai 2019: Union Berlin steigt in die Bundesliga auf

Es ist Montag. Im Relegations-Hinspiel beim VfB Stuttgart hat Union Berlin ein 2:2 erkämpft. Nun geht es um alles – den Aufstieg in die Bundesliga. Eine gefühlte Ewigkeit vor Anpfiff sind die Tribünen bereits voll. Bereits in der 9. Minute bricht das Herz aller Eisernen: Der VfB geht in Führung. Das war's. Doch der Videoschiedsrichter meldet sich, das Tor wird annulliert. Aufatmen kann Union dennoch nicht, denn Stuttgart ist auch in den folgenden 80 Minuten die klar bessere Mannschaft.
Der VfB rennt an, Union verteidigt, die Fans brüllen, hoffen auf den Abpfiff – und als der beim Stand von 0:0 kommt, brechen alle Dämme. Durch die mittlerweile abgeschaffte Auswärtstorregel steigt Union erstmals in der Vereinsgeschichte in die Fußball-Bundesliga auf. Auf den Rängen liegen sich wildfremde Menschen heulend in den Armen. Es ist der größte Tag in der Geschichte des Vereins – bis zum Mittwoch. Denn das Champions-League-Spiel gegen Real Madrid ist die Krönung einer Vereinshistorie voller Höhen und Tiefen.
Ein 0:0 im Relegations-Rückspiel gegen den VfB Stuttgart reicht dem 1. FC Union Berlin am 27. Mai 2019 zum Aufstieg in die Bundesliga. Nach dem Abpfiff stürmen die Fans den Platz im Stadion An der Alten Försterei.
Ein 0:0 im Relegations-Rückspiel gegen den VfB Stuttgart reicht dem 1. FC Union Berlin am 27. Mai 2019 zum Aufstieg in die Bundesliga. Nach dem Abpfiff stürmen die Fans den Platz im Stadion An der Alten Försterei.
© Foto: Josephine Japke
Josephine Japke ist 31 Jahre alt und seit 2011 Mitglied und Dauerkartenbesitzerin beim 1. FC Union Berlin. Zum Fußball im Stadion An der Alten Försterei geht sie aber schon deutlich länger. Seit 2020 ist sie Mitglied der Sportredaktion der Märkischen Oderzeitung und der Lausitzer Rundschau.
Josephine Japke ist 31 Jahre alt und seit 2011 Mitglied und Dauerkartenbesitzerin beim 1. FC Union Berlin. Zum Fußball im Stadion An der Alten Försterei geht sie aber schon deutlich länger. Seit 2020 ist sie Mitglied der Sportredaktion der Märkischen Oderzeitung und der Lausitzer Rundschau.
Josephine Japke ist 31 Jahre alt und seit 2011 Mitglied und Dauerkartenbesitzerin beim 1. FC Union Berlin. Zum Fußball im Stadion An der Alten Försterei geht sie aber schon deutlich länger. Seit 2020 ist sie Mitglied der Sportredaktion der Märkischen Oderzeitung und der Lausitzer Rundschau.
© Foto: Josephine Japke