Lars Bogenius ist der Shooting-Star der deutschen Medienlandschaft. Die Edelfeder der „Chronik“, die mit dem Anspruch des führenden Nachrichten-Magazins antritt, schreibt Reportagen, die ein Mittendrin-Gefühl vermitteln und politisch dem Zeitgeist von Gut und Böse huldigen.
Ob der Junge, dessen Grafitti den Syrien-Konflikt auslöste oder die Geschichte um den schwarzen Football-Spieler, der Trump & Co öffentlich die Stirn bot, Bogenius-Geschichten werden mit allem geehrt, was der deutsche Journalismus zu bieten hat. Eine Karriere im Verlag ist fest vorgezeichnet, am Elbufer vertraut man dem jungen Mann blind.
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Ausgerechnet ein Kollege jedoch geht auf Distanz zum Reportagen-König. Denn Juan Romero ist beauftragt, zusammen mit Bogenius eine Geschichte über illegale Einwanderer in Arizona zu schreiben. Während der gebürtige Spanier auf der mexikanischen Seite recherchieren soll, fällt dem smarten Deutschen die Aufgabe zu, sich mit US-Bürgerwehren zu beschäftigen.

Erfundene Geschichten

Dass dieser zu denen innerhalb weniger Tage Zugang erhält und Vertrauen gewinnt, sogar bei Einsätzen unter Anwendung der Schusswaffe dabei sein kann, während Romeros Fotograf keine Chance erhält, die Rednecks vor die Kamera zu bekommen, macht stutzig. Und je tiefer Juan in die Geschichten des Kollegen eintaucht, desto unglaubwürdiger werden diese. Nachdem er dann gar die beschriebenen Bürgerwehren besucht hat, steht für den Journalisten fest, dass sein Co-Autor nicht nur gut im Schreiben von Storys ist, sondern vor allem im Erfinden von denselben.

Skandal mit Ansage

Trotz teils unwiderlegbarer Beweise ist die Akzeptanz der Vorwürfe in der Redaktion wie auch Chefetage gleich null. Obwohl der gute Ruf des Magazins auf dem Spiel steht, will man das Offensichtliche nicht wirklich zur Kenntnis nehmen. Immer mehr gerät so Romero selbst in den Verdacht, aus reiner Missgunst gehandelt zu haben.
Tausend Zeilen. Jonas Nay als prämierter Story-Erfinder.
Tausend Zeilen. Jonas Nay als prämierter Story-Erfinder.
© Foto: WHV
Am Ende ist der reale Fall Relotius, an dem sich die Buchvorlage „Tausend Zeilen Lüge“ orientiert, der größte deutsche Medienskandal der jüngeren Vergangenheit. Und wie einst Helmut Dietl die Fälschung der Hitlertagebücher beim Stern als Satire „Schtonk!“ ins Kino brachte, wollte es Michael Bulli Herbig hier gleichtun. Allerdings waren die Ausgangsbedingungen andere.

Geldgeile Chefs

Denn während in den 1980ern der vermeintliche Scoop für ordentlich Auflage und Erlöse sorgen sollte, hatte man beim Spiegel eher nicht einen einmaligen Erfolg im Auge. Mit Relotius war defacto der Deutsche Journalistenpreis fest in den Verlag eingezogen, was das Magazin qualitativ deutlich von der Konkurrenz abheben sollte. Das geht bei Bulli irgendwie verloren. Zwar betonen die Verantwortlichen im Film mehrfach, dass man Meinung mache, statt sie nur wiederzugeben, aber letztlich kommen die Chefs hier ähnlich geldgeil daher wie einst bei Dietl.
Tausend Zeilen. Elyas M'Barek als Gegenspieler zum Hochstapler.
Tausend Zeilen. Elyas M'Barek als Gegenspieler zum Hochstapler.
© Foto: WHV

Haltung statt Wahrheit

Unter geht dabei fast gänzlich, dass die Reportagen des schreibenden Hochstaplers vor allem deshalb landesweit so gut angesehen waren, weil sie dem neuen Zeitgeist im Journalismus entsprachen, der Haltung für oder gegen eine Sache vor objektive Berichterstattung stellt. Doch wo der Zweck die Mittel heiligt, kommen schnell Objektivität und Wahrheit unter die Räder. Der Spiegel hat in den Jahren nach Relotius durchaus bewiesen, dass sich so etwas wiederholen kann.

Keine Medien-Satire

Doch Bulli begibt sich hier nicht auf vermeintlich dünnes Eis und versucht es lieber mit plakativen und eher einfacheren inszenatorischen Mitteln. Mitunter fühlt man sich an die Holzhammer-Methode eines Michael Moore erinnert. Schade, denn mit mehr Biss und Mut wäre aus der Vorlage gar eine echte Mediensatire geworden. Dann allerdings auch mit dem Focus Haltungsjournalismus und gegen den derzeitigen Mainstream gebürstet, was durchaus die Gefahr eines medialen Shitstormes mit sich gebracht hätte. So bleibt für alle, die die Causa Relotius noch nicht kennen, eine zumindest kurzweilige Abhandlung derselben, mit zwei immer wieder sehenswerten Hauptakteuren: Elyas M’Barek sowie Jonas Nay.

Tausend Zeilen

Genre: Drama; FSK: 12 Jahre; Laufzeit: 93 Minuten; Verleih: WHV; Regie: Michael Herbig; Elyas M'Barek, Jonas Nay, Marie Burchard; D 2022