Weil sich andeutet, dass die Nazis die Reichstagswahlen 1933 gewinnen könnten, beschließt der Vater von Anna, Berlin zu verlassen. Als jüdischer Journalist und Theater-Kritiker steht er auf einer Liste jener, die bei Machtübernahme verhaftet werden sollen. Wenige Tage später folgen die Neunjährige, ihr Bruder sowie Mutter in die Schweiz. Da Max Kemper jedoch keine Artikel verkaufen kann, zieht die Familie weiter nach Frankreich.

Frankreich: Viele Juden, aber keine Arbeit

Hier gibt es zwar viele Juden, doch auch kaum Aufträge. So plagt die Familie extreme Geldnot. Für die Kinder kommt hinzu, dass sie in fremden Schulen eine fremde Sprache lernen müssen. Doch beide schlagen sich prächtig. Gerade, als sie sich in der neuen Heimat heimisch fühlen, beschließen die Eltern jedoch, nach England auszuwandern. Für Anna und ihren Bruder beginnt der Prozess, ein neues Land kennenzulernen, binnen zwei Jahren ein drittes Mal.

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Nach „Der Junge muss an die frische Luft“ nimmt sich Caroline Link erneut einen Roman für ihren aktuellen Film vor. Es ist die Fluchtgeschichte von Judith Kerr, der Tochter des ebenso berühmten wie gefürchteten Berliner Theater-Kritikers Alfred. Entstanden ist dieses Buch erst in den 1970-ern, also lange nach den geschilderten Geschehnissen. Und dennoch, oder vielleicht deswegen, hat die Titelheldin einen ganz besonderen, ja entspannten Blick auf das Thema Flucht und Vertreibung. „Ist es nicht wunderbar, ein Flüchtling zu sein?“, soll sie tatsächlich ihren Vater in Paris gefragt haben. Und so schält auch der Film heraus, dass die Neunjährige die teils entbehrungsvolle Reise durch drei Länder in zwei Jahren vor allem als Abenteuer verstanden hat. Das ermöglicht natürlich, das Thema auch einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen. Und Link schafft dies in Vollendung. Wie schon bei HP Kerkelings Biopic wird der eigentlich schwere Inhalt leichtfüßig und sehenswert umgesetzt.

Nazis nur als dunkler Schatten

Besonders gelungen ist dabei der spezielle Blick aus der Perspektive des Kindes. Nazis, Bücherverbrennung, ja selbst der Suizid des geliebten Onkels erscheinen dabei zwar als dunkle Schatten, greifen aber nie entscheidend ins Lebensgefühl ein. Hier zählt nur das jetzt und heute, was es zu essen gibt, wie man sich mit Gleichaltrigen verständigt oder ob man die geschenkten Sachen behalten darf. Anna sieht jeden Tag als eine Herausforderung, die Flucht als Chance. Link hilft durchaus, dass sie nah an der Vorlage bleibt und so sich nicht der Kritik aussetzen muss, die Sache vielleicht nicht ernst genug genommen zu haben. Einzig der Score ist mitunter ein Touch zu viel und untergräbt ein wenig die Glaubwürdigkeit.

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Genre: Drama; FSK: o.A.; Laufzeit: 119 Minuten; Verleih: WHV; Regie: Caroline Link; Riva Krymalowski, Marinus Hohmann, Carla Juri; D 2020