Anna Mae Bullock war gerademal 17, als sie Ike Turner das erste Mal sah. Der war Mitte der 1950er bereits ein richtiger Star. Mit „Rocket 88“ wird ihm gar der erste Rock’n’Roll-Song zugeschrieben, den Turner 1951 veröffentlichte. Für die Schülerin wurde der Musiker zum Idol. Obwohl ohne jegliche Ausbildung, hatte der Teenager das Selbstbewusstsein, nach der Möglichkeit Singen zu dürfen, nachzufragen. Sie musste ziemlich lange warten, stand dann aber mit dem Mann ihrer Träume auf der Bühne. Der Beginn einer Beziehung, die defacto bis heute anhält.

Untreuer Partner, gewalttätiger Ehemann

Turner machte die junge Frau zu seiner ersten Sängerin, später dann gar zum Teil seines Band-Namens. Dafür musste Anna Mae in Tina umbenannt werden, wurde schließlich die Frau von Ike. Bekanntermaßen stand die Ehe in keinem Verhältnis zum künstlerischen und kommerziellen Erfolg. Turner erwies sich als notorisch untreuer und vor allem gewaltstätiger Partner. Tina wird später gar von Folter sprechen. Doch selbst nach Prügel und Vergewaltigung ging sie wieder und wieder mit ihm auf die Bühne. Für das Publikum waren sie Ike & Tina Turner. Es sollte wie ein Fluch für den Rest ihres Lebens werden.

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1976 verließ Tina Ike, zwei Jahre später folgte die Scheidung. Sie kämpfte vor allem erfolgreich dafür, ihren Künstlernamen Tina Turner behalten zu dürfen. Das Problem, zuerst ging sie mit der Trennung nicht an die Öffentlichkeit, später dann interessierte es diese offensichtlich nicht. Egal wo Tina auftauchte, wurde sie nach Ike gefragt. Um den Komplex Ehe verarbeiten zu können, schrieb sie ein Buch, wurde ein Film über sie gedreht. Fragen der Medien jedoch bezogen Ike immer und immer wieder mit ein. Der Schatten des gewalttätigen Musikers war so lang, dass Tina ihm nicht entkommen konnte.

Ike ist immer dabei

Selbst bis in die Neuzeit nicht. Denn auch Daniel Lindsay und T.J. Martin vermögen es nicht, Abstand zwischen Tina und Ike zu bringen. Die Mischung aus Biopic und Doku muss natürlich der Vergangenheit entsprechenden Raum gewähren, aber am Ende der fast 120 Minuten bleibt die Erkenntnis, dass das Leben der Musikerin ganz offensichtlich vom ersten Zusammentreffen an bis heute von Ike Turner mitbestimmt wurde. Dieser Eindruck wird zudem verstärkt, indem die Wichtung von Fakten nicht immer nachvollziehbar ist. Im Vergleich zum Frühstadium ihrer Karriere wird das grandios Comeback in den 1980er fast schon im Eiltempo abgehandelt. Und bemerkenswerte Anteile Tinas, auch am Lebensabschnitt zuvor, gehen fast unter. „Nutbush City Limits“ etwa, in den Charts erfolgreich und von Tina geschrieben, findet defacto keine Erwähnung.

Filmisches Zeitdokument der Rock-Geschichte

So fragt man sich am Ende der durchaus interessanten Doku, welchem Ziel diese unterworfen wurde. Das Gros der Fakten war bekannt, auf blutige Details des Ehelebens hätte man verzichten können. Es gibt einen kleinen Kreis an Zeitgenossen und Partnern, die immer wieder zu Wort kommen. Darüber hinaus sind es vor allem die filmischen Zeitdokumente, die für Abwechslung sorgen. Allerdings sind Ton- und Bildqualität sehr durchwachsen. Fürs deutschsprachige Publikum kommt erschwerend hinzu, dass die Gespräche und Interviews natürlich nicht synchronisiert wurden. Das bedeutet, mitlesen, zwei Stunden lang. Kann schonmal anstrengend werden. Obwohl die Macher bewusst darauf verweisen, dass dies kein Konzertfilm sein soll, hätte ein wenig mehr Bestreben in diese Richtung das Ganze vielleicht etwas gefälliger gemacht.

Tina

Genre: Biopic/Doku; FSK: o.A.; Laufzeit: 118 Minuten; Verleih: Universal; Regie: Daniel Lindsay, T.J. Martin; Tina Turner, Angela Bassett, Oprah Winfrey; USA 2021