Kurz nach den Anschlägen vom 11. September wird Mohamedou Ould Slahi von einer Familienfeier im heimatlichen Mauretanien abgeholt. Monate später taucht er in Guantanamo auf Kuba wieder auf. Als Gefangener und verdächtig als einer der Drahtzieher der Terroranschläge im Namen Allahs.

Todesstrafe für 9/11

Über viele Umwege erfährt die US-Menschenrechts-Anwältin Nancy Hollander von dem Fall und beschließt, gegen den Rat ihrer Kanzlei-Kollegen, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung von Ould Slahi pro bono prüfen zu lassen. Hollander ist geschockt von den Zuständen im Gefangenenlager. Mehr aber noch von der Rechtlosigkeit, die die Inhaftierten zu ertragen haben. Entgegen allen Gesetzen der Vereinigten Staaten ist Mohamedou hier seit vielen Monaten ohne Anklage eingesperrt.

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Letzteres zumindest will die Administration nun selbst schnell ändern. Sie schickt Militär-Staatsanwalt Stuart Couch ins Rennen mit einem klaren Auftrag: Die Todesstrafe für den Terroristen vor Gericht zu erstreiten. Der Oberstleutnant ist alles andere als unvoreingenommen. Schließlich fand sein bester Freund als Co-Pilot einer der beiden Maschinen, die ins World-Trade-Center gesteuert wurden, den Tod. Couch ist von der Schuld des Mauretaniers überzeugt, hat aber die gleichen Probleme wie Hollander, an entsprechende, nicht zensierte Unterlagen der Vernehmungen zu gelangen. In diesem Punkt tun sich schließlich für beide Kontrahenten rechtliche Abgründe auf. Denn wie es scheint, ist nicht nur die Inhaftierung ohne Anklage illegal. Es wurden zudem auch Verhörmethoden angewendet, die dem US- wie auch dem Menschenrecht widersprechen.

Rechtsstaat das höchste Gut

20 Jahre, nachdem die Flugzeugattentate von New York, Washington und Pennsylvania fast 3000 Unschuldige aus dem Leben gerissen haben - darunter elf Deutsche - widmet sich Kevin Macdonald einer besonders sensiblen Seite des Themas. Denn bei aller Bestürzung, Wut und Trauer über den islamistischen Terror, darf in einer Demokratie nicht das Recht mit Füßen getreten werden. Auch das von vermeintlich Schuldigen nicht. Das ist die Kernaussage des Filmes, der auf „Das Guantanamo Tagebuch“ von Mohamedou Ould Slahi beruht. Macdonald gelingt es dabei herausragend, alle Seiten des Dramas zu berücksichtigen. Die der Opfer mit ihrem verständlichen Ruf nach Sühne. Die der Hardliner in der Regierung, die dem Volk mit der Verurteilung Genugtuung verschaffen wollen. Die der Rechtsanwälte und Verteidiger, die das hohe Gut des Rechtsstaates bewahrt sehen wollen. Und schließlich die der Gefangenen, die nun, ob schuldig oder nicht, wissen wollen, warum und wie lange noch sie eingesperrt sein werden.

Keine Gnade von Obama

Mit Jodie Foster und Benedict Cumberbatch hat Macdonald zwei Superstars am Start, die beide ganz in ihrer Art überzeugend in der jeweiligen Rolle daherkommen. Keinem von beiden kann man absprechen, den Fall nicht objektiv betrachten zu wollen. Und so ist Ould Slahi weder unschuldig, nur weil er in Guantanamo sitzt, ebenso wenig ist er schuldig, weil er hier inhaftiert wurde. Diesen Punkt übrigens klärt der Film nicht auf. In Verdacht geraten, weil er von Bin Ladens Satelliten-Telefon angerufen wurde, wird jedoch nie endgültig beantwortet, ob und in wieweit Mohamedou näheren Kontakt zur berüchtigten Hamburger Zelle hatte. Da schien sich auch die Obama-Administration nicht wirklich sicher, die trotz Freispruchs die Entlassung des Häftlings um weitere sieben Jahre verzögerte.

Achterbahn der Gefühle

Am Ende der zwei Stunden ist der Zuschauer ob der Achterbahn der Gefühle aus Wut und Mitleid, aus Verständnis und Trauer, aus Misstrauen und Hoffnung recht mitgenommen. Denn eigentlich kennt der Fall, vor allem auch wegen seines tragischen Hintergrunds, nur Verlierer. Ould Slahi saß über 15 Jahre im Gefängnis und hat Unvorstellbares erleiden müssen. Einen lebenden Verantwortlichen für die schrecklichen Ereignisse des 11. September konnte man dennoch nicht vor Gericht einer gerechten Strafe zuführen, was vor allem für die Angehörigen der Opfer schwer zu akzeptieren sein wird. Und nicht einmal der Rechtsstaat hat obsiegt, denn in Guantanamo sitzen noch immer Gefangene ein.

Der Mauretanier

Genre: Drama; FSK: 12 Jahre; Laufzeit: 129 Minuten; Verleih: Tobis; Regie: Kevin Macdonald; Tahar Rahim, Jodie Foster, Benedict Cumberbatch; GB/USA 2021