Laut Statistik legen weltweit 94 Prozent aller Autofahrer weniger als 120 Kilometer pro Tag zurück. In Deutschland sind es im Schnitt weniger als 80, in Japan und Großbritannien etwa 50 Kilometer. Derlei Strecken schrubbt der E-Niro laut Datenblatt locker runter, schafft er doch eine Reichweite von mehr als 450 Kilometer, ehe er wieder an die Dose muss. Damit ist der Kompakte schon mal prima auf dem Papier alltagstauglich.
Und die Praxis? Nahezu lautlos setzt sich unser Saubermann in Bewegung. Zum Summen des Elektroantriebs gesellen sich unterwegs nur die Abrollgeräusche der Reifen von den 17er Alu-Zöllern. Schon vom Start weg stehen zudem satte 395 Nm bereit, was etwa dem Leistungsniveau eines 2,5-Liter-V6-Benzinmotors entspricht. Selbst PS-Protze haben daher an der Ampel Mühe, dem 1,8 Tonnen schweren Elektro-Flüsterer die Hacken zu zeigen.
Ein ständiges Autobahnauto ist der E-Niro aber eher nicht, auch wenn er als Spitze 167 km/h schafft und obwohl seine 204 PS natürlich für mehr reichen würden. Wer allerdings zu arglos mit dem sensiblen Strompedal umgeht, bekommt schnell die Quittung. Führt doch hohes Tempo auch zu hohem Batterieverbrauch. Auch Berge, Kälte oder die Klimaanlage ziehen ihm schneller als einem lieb ist die Energie aus den "Knochen". Daher will das Gaspedal sensibel bedient werden, um sparsam und entspannt dahingleiten zu können.
Eine Belohnung ist garantiert. Verbrauchten wir doch über Land tatsächlich nur um die elf kWh im Schnitt. Laut Datenblatt sind im WLTP-Zyklus knapp 16 kWh angegeben, um 455 Kilometer zu schaffen. Bei normaler Fahrweise ist das also kein Problem. Im Gegenteil, wer überwiegend im Stadtverkehr unterwegs ist und oft rekuperieren kann (also Energie oft durch Bremsen zurück gewinnt) kommt sogar auf mehr als 500 Kilometer.
Ansonsten wirkt das Auto angenehm handlich wie jeder anders motorisierte Kompakte auch. Die Lenkung ist direkt und dank des im Unterboden verbauten 453 Kilo schweren Akkus liegt der Niro wie ein Brett auf der Straße, meistert entsprechend Kurven jeglicher Art agil und ohne großes Wanken.
Und wie lädt man den Niro wieder auf? Ist der Akku leer, dauert es an einem haushaltsüblichen Anschluss mehr als 30 Stunden, bis der Niro wieder aufgeladen ist. Gibt es eine Wallbox, also eine Wechselstrom-Ladeeinrichtung mit 4,5 kW Leistung, muss er immer noch 15 Stunden an die Stromschnur. Am idealsten ist eine Schnell-Ladesäule mit 100 kW. Eine gute halbe Stunde am Netz reichen dann schon für frische 80 Prozent Power. Letztere sind aber hierzulande leider noch dünn gesät.
Ansonsten ist der e-Niro nicht nur ein Greencar, sondern auch ein flott gestylter Crossover. 4,38 Meter lang und 1,56 Meter hoch besticht er mit einer geschwungenen Linienführung, verströmt eine ganz individuelle, schlichte Eleganz. Auffällige Designdetails sind vorn der typische Tigernase-Kühlergrill und die hoch positionierten Frontscheinwerfer. Hinzu kommen große Radhäuser und hinten LED-Rückleuchten über dem breiten Stoßfänger.
Auch der Innenraum zeigt sich im bekannt wertigen Kia-Look. Die Sitze sind gut konturiert, das Interieur sauber verarbeitet, alle Schalter und Tasten wurden perfekt eingepasst. Wir schauen auf ein gut sortiertes Cockpit mit großem 7-Zoll-Display. Ausreichend Platz für Gepäck und Passagiere ist auch. Dank des großen Radstands (2,70 Meter) haben wir selbst hinten überraschend viel Beinfreiheit. Und die im Unterboden platzierten Batterie-Module beeinflussen auch nicht das Gepäckabteil, welches damit Platz für ordentliche 451 Liter bietet.
Auch auf Ausstattungs-Komfort muss man im e-Niro-Eigner nicht verzichten. Sind doch bei dem Preis u. a. Klimaautomatik, Multifunktionslenkrad, Audiosystem, Fensterheber vorn und hinten, el. Parkbremse, Funkfernbedienung, Nebelscheinwerfer, Rückfahrkamera, Tempomat, eine Isolierverglasung für die Frontscheibe sowie ein virtuelles Motorsoundsystem (Fußgängerschutz) schon drin.
Sinnvolles Extra für 1.290 Euro: Ein Eco-Paket mit Vorheizsystem für die Batterie und eine Wärmepumpe für die Innenraumklimatisierung. Minus: Kia bittet den e-Niro einmal im Jahr zur Inspektion in die Werkstatt. Löblich hingegen, dass die Koreaner für private als auch für gewerbliche Halter wie üblich eine 7-Jahres-Garantie auch für die Batterie gewähren. Alles in allem: Der Stromer aus Fernost macht richtig Spaß und ist keine Mogelpackung. Und: Trotz des recht ambitionierten Preises ist die Nachfrage groß und die Wartezeiten liegen inzwischen bei mehr als einem Jahr.
Rainer Bekeschus
MäMa-Testfahrt: Kia e-Niro
Kia e-Niro 64-kW-Version
Antrieb: Permanentmagnet-Synchronmotor mit 204 PS, stufenloses Ein-Gang-Getriebe, Frontantrieb, 150-kW-Version mit 204 PS, 64-kWh-Akku
Reichweite: 455 Kilometer
0 - 100 km/h: 7,8 Sekunden
Spitze: 167 km/h
Verbrauch:
15,9 kWh/100 km
CO²-Wert: 0 g/km
Kofferraum: 451 bis 1.405 l
Preis: ab 39.090 Euro