Wein im Land von Schokolade und Käse, Radfahren inmitten von 2000ern, Palmen zwischen im Frühsommer noch schneebedeckten Gipfeln? Der nördliche Teil des Genfer Sees hält für nicht so ortskundige Zeitgenossen manche Überraschung bereit.
Radfahren unter Palmen
Das fängt schon bei der Anreise an. Denn nach einigen Tunneldurchfahrten ist er plötzlich da, Le Léman, wie die französischen Schweizer den Genfer See nennen. Erst viel Wiese und Berge, dann auf einmal Wasser, soweit das Auge reicht. Wie aus dem Nichts. Im Frühsommer schimmert die bläuliche Oberfläche dabei kontrastreich im Vergleich zu den Gipfeln, die um diese Jahreszeit noch weiße Hauben tragen.
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Wer dieses Panorama zum ersten Mal sieht, wird vielleicht kein Auge haben für die sanft zum Ufer hin abfallenden Hänge, die sich durch strukturierte Gleichmäßigkeit auszeichnen. Ja, es ist Wein, der hier angebaut wird. Das Kanton Waadt ist mit fast 4000 Hektar das zweitgrößte Anbaugebiet der Eidgenossen. Doch allein in der Region Bordeaux im benachbarten Frankreich ist die Fläche für Reben rund 30-mal größer. Nicht der einzige Grund, warum Rebsaft-Normalos noch nicht so viel vom Schweizer Wein gehört haben werden. Denn hier zwischen Aigle und Lausanne kommt vor allem Chasselas zum Einsatz. Eine sehr alte, vor allem als Tafeltraube verwendete Sorte.
Chasselas der Wein des Lavaux
Der trockene Weiße daraus geht allerdings nicht in den Export, wird kaum im offiziellen Handel oder Supermarkt verkauft. Alain Emery, in fünfter Generation Winzer, reicht den Großteil seiner Flaschen über den eigenen Tresen. „Die Leute holen sich bei uns ihren Wein“, erzählt er und weiß zugleich, warum der Chasselas so beliebt sei. Sein würziger, mineralischer Abgang würde den Mund geradezu austrocknen und damit den Wunsch nach einem weiteren Glas stärken, gibt er leicht verschmitzt Auskunft. Dabei differiere der Geschmack je nach Bodenbeschaffenheit. Und die könne in relativ kurzer Entfernung sehr unterschiedlich sein. Wenn nur Trauben aus Aigle beispielsweise verarbeitet werden, erhält der Wein den Zusatz „Grand Cru“ - ein geschmackliches Echtheitszertifikat, wenn man so will.
Bahnradsport für jeden Mutigen
Entsprechend lohnt es, sich vom beschaulichen 8500-Seelen-Ort die Nordseite des nahen Genfer Sees entlang durch die Anbaugebiete zu kosten. Dessen Weinterrassen stehen im Übrigen seit 2008 auf der Liste des UNESCO-Welterbes. Unterwegs ist man dabei natürlich nicht zu Fuß. Denn nicht erst im relativ nahen Lausanne ist die Sportwelt zu Hause. Mit der Union Cycliste Internationale (UCI) hat hier am Ostrand des unteren Rhonetals der Radsport Weltverband seinen Sitz. Und ein recht stattliches Hauptquartier errichtet. Neben den Verwaltungseinrichtungen befinden sich dort auch einige Trainingsstrecken, wie der üppige BMX-Parcours. Vor 20 Jahren wurde ebenso eine Radrennbahn gebaut. Leider, bevor man die offiziellen Regeln umschrieb. So ist das Holzoval 50 Meter zu kurz für internationale Wettkämpfe, weswegen mal beispielsweise auch neidisch auf Frankfurt (Oder) mit seiner regelkonformen Bahn schaut. Nutzlos ist die in Aigle dennoch nicht. Zum einen dient der Komplex als Ausbildungszentrum für Nachwuchstalente jener Länder, die solche Rundkurse nicht vorhalten können. Und dann darf jedermann Mut und Können in den acht Meter hohen und 47 Grad steilen Kurven beweisen. Für Instrukteur Pierre, der mit seinen 72 Jahren schon tausende Runden gedreht hat, alles nur eine Frage des Kopfes. Nun ja, er hat recht. Doch es braucht einige Zeit, bis der Körper auf dem Rad ohne Bremse, ohne Freilauf und mit starrer Verbindung zwischen Pedalen und Hinterrad bereit ist, dies zu akzeptieren.
Erste Bergetappe der Tour de France
Um das Lavaux zu erkunden, eignen sich diese Räder freilich nicht. Auch wenn am 9. Juli in Aigle die erste Bergetappe der diesjährigen Tour de France startet, so sind die rein muskelbetriebenen Velos, wie die Räder für unsere Ohren liebevoll von den Schweizern genannt werden, eher nur für echte Sportsleute geeignet. Wer den Winzern in den bis auf 600 Meter hoch gelegenen Gütern einen Besuch abstatten will, greift am besten zu einem Pedelec. Dank E-Motor-Unterstützung kommt man meist problemlos die schmalen Straßen, die asphaltiert das Anbaugebiet durchziehen, nach oben und auch sicher wieder runter. Allerdings müssen sich die Radler die Fahrbahn mit dem übrigen Verkehr teilen, was ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordert.
Chaplin, Mercury und der See
Auch wenn die nie vernachlässigt werden sollte, geht es einige Kilometer weiter südlich deutlich entspannter zu. Die Waadtländer Riviera ist am Seeufer relativ flach, dazu gibt es breite Promenaden und abgeteilte Radwege auf den Straßen. Gefahr droht hier höchstens von verträumt dreinschauenden Spaziergängern oder den Radlern selbst, die das Postkartenpanorama aus Schneegipfeln, See und Palmen am Ufer desselben einfach nicht aus dem Kopf kriegen. Wer entspannt ein paar Kilometer absolvieren will, sollte dies gleich nach dem Frühstück tun. Da ist die Luft frisch, der Weg frei und die Fernsicht dazu meist noch grandios. Von Vevey, etwa in Riviera-Mitte, radelt man so entspannt an einer Statue von Charlie Chaplin vorbei, um im wohl bekanntesten Kurort der Gegend, Montreux, das berühmte Freddie-Mercury-Memorial zu passieren. Weiter geht es an Ikonen der Luxus-Hotellerie sowie dem Casino palmenbeschattet Richtung der größten Insel des Genfer Sees.
Inspirationsquelle Schloss Chillon
Hier auf der Île de Chillon steht gleichnamiges Schloss, das im Mittelalter als Wasserburg errichtet wurde. Vor der Berg-See-Kulisse ist das Bauwerk heute das, was man instagramable nennt. In seiner Geschichte diente es verschiedenen Zwecken, berühmt jedoch wurde es als Gefängnis. Denn Englands bekanntester Romantiker, Lord Byron, fühlte sich vom Schicksal eines Insassen zum Gedicht „Der Gefangene von Chillon“ inspiriert. Das wiederum machte dann das Schloss über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt. Die düsteren Kerkerräume - die man heute noch besichtigen kann, inklusive Byron-Graffiti an einer Säule - sollen auch Mary Shelley, seinerzeit Bekannte des Lords, zu ihrer Frankenstein-Geschichte angeregt haben. Victor Hugo oder Alexandre Dumas sind weitere Schriftsteller, die ebenfalls im Château de Chillon nach literarischen Ideen suchten. Es wäre also nicht so verkehrt, von einem geistreichen Ort zu sprechen.
Steilste Metro der Welt
Entspannte 40 Minuten später zurück in Vevey sollte dann der Zug statt des Rades genommen werden, um nach Lausanne zu fahren. Es sind zwar nur 20 Kilometer, aber die Kantonshauptstadt ist auf drei Hügeln erbaut worden, was von Nord nach Süd, hin zum See, zu einem sehr deutlichen Gefälle führt. Teils steht der Besucher auf Brücken im oberen, direkt über Gebäuden im unteren Teil der Stadt. Die 2008 erbaute kurze, aber sehr hilfreiche Metro von Ouchy, unten, nach Epalinges-Croisettes, oben, verdeutlicht das hervorragend: Sie überwindet den größten Höhenunterschied aller U-Bahnen - der Welt! Sportlich geht es trotzdem. Denn die Stadt ist Sitz des Internationalen Olympischen Komitees und nennt sich daher selbstbewusst Welthauptstadt des Sports. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass weitere Weltverbände hier ihr Hauptquartier haben, so u.a. Tischtennis, Volleyball, Baseball, Reiten... Seit 1993 gibt es in der Nähe des Genfer Sees das Olympische Museum, in dem Devotionalien der Spiele der Neuzeit, von der Fackel bis zur Ausrüstung, zu sehen sind.
Rad-Touren für jeden Geschmack
Wen es danach dann doch nochmal aufs Rad zieht, dem stehen von Lausanne aus Strecken aller Anforderungsprofile zur Verfügung. 64 Kilometer nach Evian in der einen oder 112 Kilometer in die andere Richtung. Oder gleich rund um den ganzen Genfer See - 176 Kilometer. Einmal im Jahr gibt’s das auch unter Wettbewerbsbedingungen bei der „Cyclotour du Léman“, vom Happening-Faktor ein wenig mit dem Berlin-Marathon vergleichbar. 2023 ist es am 4. Juni so weit. Wenn es etwas kleiner sein darf, hilft ein Blick auf SchweizMobil. Das Portal empfiehlt Touren mit alltagstauglichen Längen und Anforderungsprofilen, egal ob mit reiner Muskelkraft oder E-Unterstützung. Ausgewiesen werden zudem Straßenbeschaffenheit und Rastplätze. Und selbst der Abzweig zu einem guten Glas Chasselas wurde nicht vergessen.
Lavaux & Riviera
Region: Die landschaftliche Vielfalt von den Alpengipfeln bis zu den Städten Lausanne und Montreux am Genfer See, aber auch die großen Juraflächen und der ländliche Charme spiegeln in dieser Region des Kanton Waadt alle Facetten der Schweiz wider.
Anreise: Lausanne ist vom internationalen Flughafen Genf mit dem Zug in vierzig Minuten erreichbar, von Zürich her in knapp zwei Stunden. Die öffentlichen Schweizer Verkehrsmittel sind großflächig ausgebaut und erlauben eine individuelle Reiseplanung. Der SwissPass ist das All-in-one-Ticket für das gesamte Streckennetz während 4, 8, 15, 22 Tagen oder eines Monats und ermöglicht zudem noch den Eintritt in zahlreiche Kultureinrichtungen wie z.B. Museen.