Washington gilt als Hauptstadt der kurzen Wege. Das Machtzentrum der westlichen Hemisphäre kann man tatsächlich bequem erlaufen. Vom Weißen Haus, dem Sitz des Präsidenten, zu den wichtigsten Museen der Stadt sind es nur wenige Blocks. Und auch die anderen Sehenswürdigkeiten liegen fußläufig um die Ecke. Mit The Wharf ist nun eine neue dazugekommen.
Das südwestliche Ufer des Potomac gehörte in der Vergangenheit allerdings nicht unbedingt zu den besten Gegenden Washingtons. 1805 eröffnete hier am Washington Channel der städtische Fischmarkt, in dessen Umgebung sich im Laufe der Jahrzehnte vor allem Afroamerikaner ansiedelten. Mehrere Zehntausend von ihnen vertrieb die US-Bundesregierung nach 1945 auf Grundlage des District of Columbia Redevelopment Acts, um Bundesbüro-Gebäude, Wohnungen und eine Autobahn zu bauen. Wirklich attraktiver wurde die Gegend dadurch nicht.
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Kaum zu glauben, wenn man heute den knapp eine Meile langen Strip entlangwandert, der sich „The Wharf“ nennt und aktuell mit „Phase 2“ seinen baulichen Abschluss gefunden hat. Nach mehr als zehn Jahren Planung waren 2014 die Arbeiten begonnen worden, die mit „Phase 1“ Ende 2017 das erste Etappenziel erreichten. Insgesamt wurden mehr als drei Milliarden Dollar investiert, darunter immerhin auch knapp 200 Millionen Dollar Steuergeld. Dafür entstanden auf rund zehn Hektar Fläche Wohnhäuser, Bürogebäude, Hotels und Freizeiteinrichtungen wie Restaurants oder Unterhaltungsorte wie The Anthem, eine Indoor-Konzerthalle mit 6000 Plätzen.
Hinzu kommen auf fast der gesamten Länge Bootsliegeplätze, die entweder zum Capital Yacht Club oder The Wharf Marina gehören. Aus den oberen Etagen etwa des InterContinental Washington D.C. – The Wharf betrachtet, fühlt man sich eher an einen belebten Ort an der Ostküste als mitten in die Hauptstadt versetzt.
Hier fliegt auch der POTUS vorbei
Das freilich ändert sich, wenn man den Blick hebt und über den Channel hinaus auf den East Potomac Park schaut. Gelegen auf einer künstlichen Insel, die Fluss und Kanal teilt, befinden sich hier mit dem East Potomac Golf Links seit über 100 Jahren öffentliche Golfanlagen. Und auf der anderen Seite des Potomac dann der Ronald Reagan National Airport. Die Jets starten mitunter genau Richtung Wharf, drehen dann aber über dem Fluss ab. Und dennoch, provinzielle Idylle sieht schon anders aus. Während die Passagiermaschinen nur zu sehen sind, heischen andere Fluggeräte auch akustisch Aufmerksamkeit. Denn der Washington Channel ist beliebte Einflugschneise in die Hauptstadt. So donnern relativ häufig Helikopter vorbei. Und da die Ausrichtung des Kanals genau hin zum Weißen Haus zeigt, ist durchaus möglich, dass sich der POTUS (President of the United States) in einer der Maschinen befindet, vorausgesetzt, sie kommen in Dreier-Formation daher.
Wo Washington mal nichts kostet
Der Ami im Allgemeinen lässt sich von Motorengeräuschen eher wenig beeindrucken, sodass die Flugshow über dem Wasser wohl vor allem für ausländische Touristen ein Spektakel darstellt. Die Einheimischen genießen beim Wharf-Besuch vor allem die Open-Air-Möglichkeiten, die sich zu Hauf bieten. Imbissbuden und Restaurants mit Freisitz, eine eigene Rum-Destillerie, Freiluft-Kino direkt am Ufer und natürlich sehen und gesehen werden beim Spaziergang über den so typischen Bordwalk.
Nicht zu vergessen die Konzerte, die draußen und vor allem kostenlos in der - dank Washingtons Lage - langen Wärmeperiode stattfinden. Organisiert und bezahlt werden die übrigens von der das Areal verwaltenden Grundstücksholding. Shopping-Enthusiasten indes werden im quirligen Uferbereich nicht wirklich glücklich. Denn außer ein paar Souvenirläden gibt es kaum richtige Einkaufsmöglichkeiten. Aber, Washington ist ja die Stadt der kurzen Wege: Nur drei Meilen entfernt auf dem anderen Flussufer befindet sich Pentagon City mit großer Mall.
Sehenswürdigkeiten in Laufweite
Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt allerdings ist es noch näher. Spy Museum oder das Air And Space Museum liegen auf dem Weg zum Capitol oder dem Lincoln Memorial am anderen Ende der National Mall, nicht mal einen Kilometer Fußweg entfernt. Und das mittlerweile wieder eröffnete Washington Monument kann man gar von The Wharf aus sehen. Die Auffahrt auf den mit knapp 170 Meter höchsten Ziegelbau der Welt sollte allerdings geplant werden. Nur noch 20 Personen gleichzeitig dürfen sich dort oben aufhalten. Die Tickets sind entsprechend begehrt.
Einen Blick auf die wichtigsten Bauwerke allerdings gibt es gratis vom Turm des ehemaligen Postmuseums aus, der heute zum Hotel Waldorf-Astoria gehört. Und wer schon das Besondere sucht, sollte sich die Highlights der US-Hauptstadt bei Nacht anschauen. Da sind nicht nur die Temperaturen angenehmer, es ist auch weniger los auf den Straßen. WeVenture beispielsweise bietet private Touren mit Elektroautos zu den wunderschön angeleuchteten Baudenkmalen.
Die US-Hauptstadt vom Wasser aus erleben
Während Jogger vor allem die noch kühlen Morgenstunden und leeren Wege rund um The Wharf nutzen, empfiehlt sich im Laufe warmer Tage eher Sport auf dem Wasser. Da es trotz der vielen Yachten in den Marinas dennoch relativ wenig Verkehr auf dem Washington Channel gibt, der dazu nur geringe Strömung aufweist, ist eine Paddel-Tour per Kanu genau der richtige Weg, dieses neue Areal der Hauptstadt mal aus einer ganz anderen Perspektive kennenzulernen. Leider kommt man mit dem kleinen Boot nicht bis in Tidal Basin, um das herum sich mit den Memorials von Roosevelt, Jefferson und Luther King Jr. drei der bekannten Washingtoner Denkmale befinden.
Wer solche aber vom Wasser aus unbedingt sehen will, besteigt einfach eines der Wassertaxis an The Wharf, die bis nach Georgetown im Norden oder Alexandria im Süden fahren. In rund zwei Stunden bekommt man dabei ordentlich etwas zu sehen.
Ein Muss: Mount Vernon
Apropos: Kein Aufenthalt der US-Hauptstadt, ohne deren Namensgeber einen Besuch abzustatten. George Washington’s Mount Vernon liegt zwar verhältnismäßig weit außerhalb von DC, ebenfalls am Potomac, aber genau an der Grenze von Virginia nach Maryland im Süden. Der Landsitz des ersten Präsidenten der USA ist das meistbesuchte historische Gebäude in den Vereinigten Staaten. Entsprechend sollte man auf Menschen(massen) vorbereitet sein, die das Anwesen bevölkern, in dem Washington 45 Jahre lebte, starb und auch begraben ist. Haus und Nebengelass geben einen sehenswerten Einblick ins Leben zur damaligen Zeit, sowohl der Eigentümer als auch der Dienerschaft.
Im Haus, auf den Ländereien und in den Betrieben der nur aus fünf Personen bestehende Familie Washington waren immerhin mehr als 300 Sklaven beschäftigt. An deren Schicksal erinnern heute die Unterkünfte direkt hinter dem Hausgarten sowie ein Denkmal auf dem ehemaligen Sklavenfriedhof, der sich nur ein paar Gehminuten vom Grab des Ex-Präsidenten befindet. Das üppige und moderne Besucherzentrum von Mount Vernon stellt dann nicht nur weitere Erinnerungsstücke an den Präsidenten, inklusive lebensechter Schaubilder, und von dessen Wirken aus, sondern ordnet auch Washingtons Handeln geschichtlich sehr erlebenswert ein.
Ältester Fischmarkt der Staaten
Nur sechs Jahre nach dem Tod des ersten Präsidenten übrigens wurde, der eingangs erwähnte Fischmarkt als The Municipal Fish Market at The Wharf eröffnet. Und ist seitdem in Betrieb. Damit kann sich DC rühmen, den ältesten Markt dieser Art der USA zu besitzen. Und der ist auch heute noch Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen. Letztere werden zwar eher nicht die fangfrischen Fische und Meeresfrüchte kaufen - sensationell 100 Chesapeake-Bay-Austern für 95 Dollar - dafür dann aber die frisch gegrillten blue crabs probieren, die hier schwer angesagt sind.
Zu denen passt ganz hervorragend Weißwein aus Virginia, dessen Trauben ca. drei Autostunden südlich der Hauptstadt in der Nähe von Williamsburg nicht an Hängen, sondern auf Feldern angebaut werden. Das aber, ist eine andere Geschichte...
Washington D.C. - The Wharf
Anreise: Die US-Hauptstadt ist für Einwohner der Metropol-Region Berlin-Brandenburg kaum zehn Stunden entfernt. Denn seit Mai fliegt United-Airlines täglich vom BER zum Washington-Dulles-International.
Nahverkehr: Der im Bundesstaat Virginia gelegene Flughafen ist mittlerweile per U-Bahn mit DC verbunden. Mit der Silver Line ist man so in knapp einer Stunde an der L'Enfant Plaza Metro-Station. Die Kosten liegen dabei unter zehn Dollar pro Person. Von dort aus geht es entweder zu Fuß in ca. 15 Minuten zu The Wharf. Oder man nutzt den Southwest Shuttle, der den ganzen Tag über kostenlos das Areal u.a. auch mit der National Mall verbindet.
Wichtig zu wissen: Washington bietet neben den vielen und bekannten Memorials und Baudenkmälern auch viele teils einzigartige Museen. Die der Smithsonian Institution (z.B. Air And Space, American History, American Art Museum) sind gar kostenlos. Aber: Die Biden-Administration hat ein Investitionsprogramm aufgelegt, das viele Museen nutzen wollen und daher wegen Rekonstruktions- und Umbaumaßnahmen teils für mehrere Jahre ganz oder teilweise schließen werden. Es ist ratsam, sich vor einem Washington-Besuch genauer zu erkundigen.