Falsche Fürsten, freche Mägde, fremde Einwanderer, Aufruhr, Krieg und Verwüstung, das prägt die Geschichte der uckermärkischen Ackerbürgerstadt Angermünde. Jahrhundertelang pendelte sie immer zwischen Aufschwung und Bedeutungslosigkeit. Diese wechselvolle Geschichte wird nun im wahrsten Sinne des Wortes erlebbar. Historische Theaterstadtführungen lassen Besucher eintauchen in eine ferne Welt, die gar nicht so weit weg von Erfahrungen der Gegenwart ist.
Mägde, Macht und Glaubensstreit
In Angermünde werden vom Tourismusverein der Stadt neben den klassischen Stadtführungen auch thematische Theaterinszenierungen der 780-jährigen Stadtgeschichte an historischen Schauplätzen angeboten. Die thematische Stadtführung „Mägde, Macht und Glaubensstreit“ führt zurück in 500 Jahre Stadtgeschichte. Ausgebildete und erfahrene Stadtführer und Laiendarsteller begleiten Besucher in das abendliche historische Angermünde und lassen Stadtgeschichte lebendig werden. Auf dem Weg entlang der Stadtmauer zu zahlreichen historischen Orten begegnet man dem Feldherren Wallenstein, dem „falschen Waldemar“, dem Pfarrer, der seine Gemeinde auffordert, nach Amerika auszuwandern, den eingewanderten Hugenotten und den einfachen Mägden, die tratschen und sich sorgen um die vielen Fremden, die der Alte Fritz nach Brandenburg holt und die so anders sind. In der Dämmerung wird Geschichte lebendig und Angermündes Geschichte erwacht zu neuem Leben.
Laien machen Geschichte lebendig
Die Menschen, die diese Geister erwecken und Geschichte lebendig und spannend machen, sind ehrenamtliche Stadtführer und Laiendarsteller. Ein kleines Team aus Enthusiasten und Hobbyhistorikern, die in ihrer Freizeit ganz tief in die Geschichte ihrer Stadt und die Rollen historischer Persönlichkeiten eintauchen und Spaß am Spiel und an der Verblüffung anderer Menschen haben.
Die historischen Fakten und Hintergründe werden vor allem von den Stadtführern Steffen Tuchscherer und Katrin Boßdorf mit Unterstützung des Angermünder Stadtarchivs und Museums gründlich recherchiert. Die Angermünder Schriftstellerin Kena Hüsers schreibt daraus ein Drehbuch und Dialoge für eine geschichtlich untermauerte und dennoch unterhaltsame und verständliche Theaterstadtführung, die schließlich von engagierten Darstellern mit Leben erfüllt werden.
Mitstreiter dringend gesucht
Zum Team von „Mägde, Macht und Glaubensstreit“ gehören David Drochner, Harald Schindler, Norbert Hüsers, Doris Elmar, Petra Mann, Kerstin Rathgen und Kena Hüsers. Es sind alles Angermünder beziehungsweise Leute aus der unmittelbaren Umgebung, die ihr Herz an diese Form der Geschichtsbewahrung und -vermittlung verloren haben.
Sie tauchen ab in historische Rollen, auf Grund der knappen Besetzung meist in mehrere, üben für sich allein und ab und zu gemeinsam und stürzen sich dann mit ihren Gästen in die abenteuerliche Geschichte von Angermünde.
Zwei historische Themenführungen im Angebot
„Wir könnten noch mehr Mitstreiter gebrauchen, dann könnten wir zwei Teams aufbauen und mehr Führungen anbieten“, sagt David Drochner. Die Nachfrage nach diesen Führungen ist sehr groß. Neben „Mägde, Macht und Glaubensstreit“ gibt es auch das „Abend(t)euerliche Ketzer-Angermünde“. Momentan wird von Mai bis Oktober einmal im Monat eine Theaterführung angeboten, auf Bestellung für Gruppen, Familien- oder Betriebsfeiern auch zusätzliche. Dabei gehen die Darsteller, die alles in ihrer Freizeit leisten, oft an ihre Grenzen. Wenn einer ausfällt, übernehmen andere zusätzlich die Rollen. Trotzdem brennen sie für dieses Hobby, das Geschichte, Theater, Menschen und Spaß verbindet.
Start am Pulverturm Angermünde
Die Theaterstadtführung beginnt in der Regel am Angermünder Pulverturm an der Stadtmauer, ganz in der Nähe der Klosterkirche. Katharina, die gebildete und des Lesens und Schreibens kundige Tochter des Stadtschreibers, nimmt die Gäste in Empfang und führt sie zurück ins Mittelalter. Zwar wüteten Krankheiten wie die Beulenpest, dennoch ging es Angermünde im 13. Jahrhundert gut. Davon zeugt die mächtige Stadtmauer, die an der Stelle des Pulverturms, einst Kontrollturm, Waffenlager und Verließ, sieben Meter hoch und zwei Meter dick ist. Die konnte keine Kanonenkugel durchsieben. Ins sechs Meter Tiefe wurden Stadtschuldner im Verließ verbannt, nachdem Friedrich der Große die Folter abschaffte. All das erfahren die Besucher der Stadtführung an historischer Stätte, ehe sie ein paar Schritte weiter, ganz offline in eine andere Zeitepoche gebeamt werden.
Hugenotten als Test für Toleranz
Am historischen Brunnen auf dem Innenhof der heutigen Stadtwerke an der Heilig-Geist-Kapelle diskutieren zwei Männer mit Bierhumpen über Politik und Leute in Brandenburg. Es sind zugewanderte Hugenotten, nach heutigen Maßstäben Flüchtlinge, Asylsuchende, Migranten, die von hoher königlicher Ebene mit großen Versprechungen und Privilegien ins Land geholt wurden, von den Einheimischen jedoch mit Argwohn, Ablehnung und Angst empfangen wurden. Die Mägde, die einfachen Frauen, sprechen aus, was viele denken. „Die nehmen Arbeitsplätze weg, haben einen anderen Glauben, sind komisch gekleidet und essen seltsame Sachen.“ Kartoffeln zum Beispiel.
Aber sie bringen auch neues Wissen mit, neue Ideen, neue Inspirationen, neuen Mut, und Brandenburg und die Uckermark sind groß genug, um dem Credo des Alten Fritzen, „Jedem nach seiner Fasson“, eine Chance zu geben. Ein Credo eines despotischen Monarchen mit einer Ahnung von Toleranz und Weltoffenheit, die in der heutigen Demokratie manchmal verloren geht. Die Stadtführung verbindet eben auch auf unterhaltsame und nachdenkliche Weise Historie und Gegenwart.
Ein Schwindel, der die Stadt belebte
Das spüren Besucher auch an der alten Angermünder Burg bei der Begegnung mit dem falschen Waldemar. Ein Scharlatan, der sich als Markgraf ausgab, kraft seiner falschen Autorität die verkrusteten Strukturen sprengte und die Stadt in Schwung brachte, bis der Schwindel nach zwei Jahren aufflog. Er ging als falscher Waldemar in die Geschichte ein. „Manchmal wünschte man sich heute wieder so einen Waldemar“, entlassen die Stadtführer ihre Gäste in die Nacht, die Geschichte und Gegenwart so authentisch und doch mystisch verschmelzen ließ.
Die nächste Führung findet am 9. Oktober um 20 Uhr statt. Informationen und Anmeldung: Tel.: 03331 297 660, [email protected]; www.angermuende-tourismus.de