Pohles Vater Oskar war im Krieg. Er fiel am 17. Februar 1942 in Bereschnjany, einem Dorf bei Smolensk im Westen Russlands. So besagt es die offizielle Sterbeurkunde. "Bereits nach viereinhalb Monaten wurde ich Halbwaise", schreibt Pohle in seinen Erinnerungen.

Unbewusst vermisst

Der Junge lebte dann mit seiner Mutter und dem Großelternpaar Briese auf dessen Bauernhof. Wenige Fotos zeigen ihm heute noch Momente aus Schmachtenhagen, sonst hat er kaum mehr Erinnerungen. "Ich sage: Geburtsort, denn Heimat ist für mich Lindenberg, wo ich dann groß geworden bin", sagt Pohle heute.
Seine Familie musste am 24. Juni "mit Handwagen", so Pohle, Hof und Dorf verlassen, wie Zehntausende andere Deutsche im Osten. In Lindenberg kamen sie in der alten Schnitterkaserne unter, die im letzten Jahr abgerissen wurde. Akribisch hatte sich Pohle früher notiert, wie er als knapp Fünfjähriger mit Oma, Mutter, Tante und einem Cousin hierher kam. Als Flüchtlinge lebten sie auf zehn Quadratmetern,schliefen in zwei Betten mit Strohsäcken, heizten mit Holz.
Über die weiteren Familienmitglieder war dann schon nur noch wenig bekannt. Einer von Pohles älteren Cousins hatte sich in Gefangenschaft erschossen, als er erfahren hatte, dass sein Sohn getötet wurde. "Ansonsten wussten wir ja gar nicht, dass noch jemand vermisst wurde", betont Pohle. Die Hoffnung, dass noch weitere Personen Krieg und Vertreibung überlebt haben könnten, war gering.
Der Krieg endete, die DDR entstand und endete. Horst Pohle wurde aktiver Angler und Fußballschiedsrichter. "Meine Mutter starb bereits im Alter von 53 Jahren am 11. Oktober 1965", schreibt Pohle weiter. "Ich lebte da bereits seit 1963 in Beeskow mit meiner Ehefrau Gerlinde und Sohn Hartmut." Später folgten noch die Kinder Birgit und Ralf. Sein Enkel ist der bekannte Geher Hagen Pohle.

Neue alte Familie

Die Zeit vergeht. Am 12. Juni 2015 wurde Pohles Cousine Ursula in Finkenheerd beerdigt. Er fuhr hin. Und erfuhr – mit 74 Jahren – Überraschendes: "Es gab noch zwei ältere Brüder unserer Väter." Von den insgesamt vier Brüdern seiner Vatergeneration hatte jedoch nur einer den Krieg überlebt: Wilhelm Pohle, der mit Frau Elisabeth und vier Kindern, die alle als Erwachsene fortgezogen waren, in Hasenfelde bei Steinhöfel lebte. An jenem Tag in Finkenheerd lernten sie sich kennen.
Besonders eng wurde der Kontakt zum ältesten "neuen" Cousin Günter Pohle, geboren 1934, und dessen Frau Hannelore aus Neuenhagen. Die Pohles besuchten sich gegenseitig, feierten Günters 85. Geburtstag im Januar 2019 zusammen.
Und gemeinsam besuchten sie ihre Geburtsorte: Günters Trebichow (heute Trzebiechów) und Horst Pohles Schmachtenhagen (Granice). "Da wohnt jetzt eine Ukrainerin", weiß er. Gut hätten sie sich unterhalten. Am 4. November 1941 war Horst Pohle in der Kirche in Messow (heute Maszewo), nahe seinem Geburtsort, getauft worden. Im November 2019 besuchte er den Ort zuletzt. Der Pfarrer segnete ihn, er verabschiedete sich dankend. "Per Kollekte", so Pohle zwinkernd. Mit Cousin Günter hat Pohle weiter Kontakt. Tage wie der 8. Mai verbinden sie nun ebenso wie die Telefonleitung.

Gedenken zum 75. Jahrestag Kriegsende

Wegen der Corona-Krise wird es im Landkreis Oder-Spree in diesem Jahr keine öffentlichen Kranzniederlegungen an den Mahnmalen und auf Friedhöfen geben. In Städten wie Beeskow und Storkow legen nur Vertreter der Verwaltung Kränze nieder. Explizit ohne Publikum. Einzelne Initiativen empfehlen individuelle Gedenk-Spaziergänge zu den Erinnerungsorten. Museen und Parteien bieten Online-Gedenken an. plo