Peter Kotzan sammelt Erlebnisse und Geschichten der ehemaligen Häftlinge des Außenlagers Lieberose, kurz "Liro", des KZ Sachsenhausen. Mit seinen Schul-AGs erarbeitete der heute 84-jährige ehemalige Lehrer für das kleine Museum, das in einem aus Bungalow-Teilen errichtetem Häuschen, das 1973 eröffnete Lieberoser Mahnmal mit Hintergrundinformationen ergänzt, Ausstellungen. 1982 eröffnete die erste, weil sich aber immer mehr Material ansammelte, folgte zehn Jahre später die zweite, die bis heute, um neue Geschichten ergänzt, zu sehen ist.

Viele Opfer, einige Täter

Eine Berliner Familie auf Fahrrad-Tour klopft an die Museumstür und fragt, ob hier noch Baracken zu sehen seien. Nein, das nicht. Aber ein kleines Modell im Innern zeigt 16 der einst 18 Häftlingsbaracken, ihre Lage und den alten Leichenkeller im Ortsteil Jamlitz. Und Biografien zahlreicher Opfer sowie einiger Täter. Auch die verhältnismäßig milden Strafen werden thematisiert, beispielsweise wie SS-Rottenführer Erich Schemel für die Erschießung von elf Häftlingen am 9. Mai 1967 vom Landgericht Fulda zu vier Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Eine anonyme Edding-Schmiererei kommentiert die Info-Tafel an der Außenwand des Museums missbilligend.
Im Innern erklärt eine Übersicht die Dreiecks-Zeichen für die unterschiedlichen Häftlingsgruppen: Viele Juden waren inhaftiert, aus Italien und Norwegen, Polen und Ungarn, der Sowjetunion und Frankreich. Insgesamt zwischen November 1943 und Februar 1945 schätzungsweise 10 000 Menschen, meint Kotzan, der auch Vorsitzender des siebenköpfigen Gedenkstättenvereins für das Museum ist. Allein im Dezember 1944, dem Monat mit der stärksten Belegung, waren hier 4300 Häftlinge eingepfercht. "Offiziell hieß es Arbeitslager, aber es war ein Vernichtungslager", unterstreicht Kotzan, "‚Vernichtung durch Arbeit’ hat sich als Prinzip im Lager durchgesetzt."
"Über Häftlinge erfährt man nur etwas, wenn es Überlebende gibt", betont Kotzan. Szmul Kohn beispielsweise überlebte Lieberose. Und sogar die Auflösung des Lagers am 2. Februar 1945 und den anschließenden Todesmarsch in Richtung Sachsenhausen, bei dem 1342 Geschwächte ermordet wurden. 26 Jahre später, im Mai 1971, wurden 577 Skelette erschossener Häftlinge in der Staakower Kiesgrube gefunden.
Aber Kohn blieb am Leben. Und wurde ins KZ Mauthausen transportiert, um im April 1945 per weiterem Todesmarsch nach Gunskirchen aufzubrechen. Am 4. Mai wurden er und seine Mitgefangenen von amerikanischen Truppen befreit. Bis zuletzt lebte er in seiner Heimat Polen, arbeitet in der Stadtverwaltung. Auf erste Anfragen bezüglich einer Aufzeichnung seiner Erinnerungen reagierte Kohn freundlich, aber ablehnend, erinnert sich Kotzan. Erst als er Kohn persönlich vor Ort aufsuchte, begann er über die Erlebnisse zu sprechen. Kotzan kontaktierte 50 Jahre lang Angehörige und ehemalige Häftlinge, fügte bruchstückhafte Erinnerungen zusammen, manchmal bekam er Unterstützung durch Übersetzer. Aber so manche Erinnerungen aus dem Französischen und Polnischen übersetzte er auch selbst – mit Wörterbuch.
Szmul Kuhn erhielt 2018 eine Erinnerungstafel am Ringgrab neben dem Mahnmal in Lieberose. Kam sogar selbst zur Einweihung. Im Frühjahr wurde sie von Unbekannten abgeschlagen. Kotzan fand sie demoliert im Laub. Eigentlich sollte sie im Mai, zusammen mit einer dritten italienischen Tafel, wieder aufgehängt werden. Doch aufgrund der Corona-Pandemie fiel die öffentliche Veranstaltung aus. Sie soll möglichst noch dieses Jahr im Herbst nachgeholt werden.

Vergebliche Rettungsversuche

Solche und ähnliche Beschädigungen durch Mensch und Witterung am Mahnmal treten immer wieder auf. Eine Dokumentation der mutwilligen Schäden zeigt der Veranstaltungsraum des Museums. Kotzan war selbst schon als Zeuge bei einer Gerichtsverhandlung. Aber ohne Ergebnis. "Das wird nicht ernst genommen", sagt er traurig. Wenn die Schäden aber nicht immer wieder repariert würden, dann sei das doch erst eine Einladung zur Zerstörung des Gedenkorts.
Und auch die Spuren von Zeit und Witterung – bröckelnde Treppenstufen, Unkraut und verrutschte Betonplatten – müssten dringend repariert werden. "Euer Tod durch die faschistischen Henker ist uns Lebenden ewige Mahnung" steht auf dem Zentrum des Ringgrabs, unter dem sich eine Urne mit Asche Ermordeter befindet. Aus den Ritzen wächst ein kleiner Ahornbaum, auf dem Rand bunte Blumen.
Seit vier Jahren wird schon um Gelder für eine Sanierung des Mahnmals gerungen. Der erste Kostenvoranschlag belief sich auf 32 000 Euro – und wurde abgelehnt. Nach einer Überarbeitung blieben 25 000 Euro. Doch trotz vieler Gespräche und allgemeiner Bereitschaft ging keine der möglichen Finanzierungen aus Fördermitteln plus Eigenanteil bisher auf. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) sagte kürzlich auf Anfrage der Landtagsabgeordneten Sahra Damus (Grüne), die Stadt Lieberose sei fest entschlossen, die notwendigen Sanierungsarbeiten durchzuführen, und es gebe auch Zusagen des Landkreises für eine finanzielle Unterstützung. Dabei war ein Antrag der Linksfraktion im Kreistag gescheitert. Streitpunkt war die Forderung, die Opfer des Stalinismus in die Unterstützung einzubeziehen.
Seit drei Jahren wartet außerdem der Zentralrat der Juden darauf, dass der Gedenkort Lieberose/Jamlitz in die Errichtungsverordnung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten aufgenommen wird. Auf Anfrage der MOZ heißt es diesbezüglich von der Stiftung, die Integration könne voraussichtlich frühestens 2021 erfolgen, beträfe aber den Gedenkort in Jamlitz, nicht das Mahnmal in Lieberose: "In Abstimmung mit den beteiligten Initiativen vor Ort strebt die Stiftung weiterhin eine Integration der Gedenkstätte am historischen Ort des KZ-Außenlagers und späteren Speziallagers in Jamlitz an", erklärt Horst Seferens, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung. Dies habe der Stiftungsrat in seiner letzten Sitzung nochmals ausdrücklich bestätigt. Das Mahnmal in Lieberose würde weiterhin in kommunaler Trägerschaft verbleiben. Wie lange die Stadt das Unfallrisiko der maroden Anlage tragen will, ist unklar.
Und so sind nicht nur die Geschichten der Menschen, derer hier gedacht wird, bedrückend. Sondern zunehmend auch die Geschichte des Mahnmals selbst.