Bei Dalí ist es die Zeit, sind es die Erinnerungen, die zerfließen. Sein Motivkomplex kreist um die Vergänglichkeit. Cécile Wesolowski konnotiert das Zerfließen etwas anders. Ihr geht es vor allem um soziale Beziehungen, um Bindungen und Nähe. Alles ist im Fluss – auch zwischenmenschlich. Dating-Apps wie Tinder haben das Flirtverhalten radikal verändert. Die flüchtigen Bekanntschaften gehen dahin, immer auf der Suche nach der nächsten, vermeintlich besseren Gelegenheit.
Konsumgut Liebe
"Wir konsumieren Liebe", so erklärt Cécile Wesolowski es im Gespräch im Innenhof der Beeskower Burg. Es ist ein sonniger Vormittag wenige Tage vor Eröffnung der Ausstellung. Cécile Wesolowski ist just dabei, ihre Installationen aus dem Atelier in den Bergfried hinüberzuschaffen und dort aufzubauen. Insgesamt acht raumgreifende Arbeiten sind in Beeskow entstanden. Das Objekt "Tu me fais fondre" zum Beispiel, "du, lass’ mich schmelzen". Ein zerfließendes Herz aus Latexbahnen und Glitzerfolie. Kitschig-schön und auch irgendwie befremdlich, weckt es Assoziationen an Fetisch-Ästhetik.
Im vorigen Jahr hatte die frisch gekürte Trägerin des Nachwuchspreises des Brandenburgischen Kunstpreises auf Schloss Neuhardenberg bereits eine Ausstellung mit dem Titel "La vie liquide" gestaltet, "das flüssige Leben". Mit ihren konsumkritischen Werken beruft Wesolowski sich auf den polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman (1925–2017), der die Lebenswirklichkeit und die sozialen Beziehungen in der Gegenwart als "verflüssigt" und in Auflösung begriffen gekennzeichnet hat. Jetzt also "L’amour liquide", "flüssige Liebe". Durch den Pandemie-bedingten Lockdown sei ihr der Gedanke gekommen, dass jetzt eine gute Zeit sei, sich mit dem Thema Liebe zu beschäftigen. Mit den Veränderungen, die das zwischenmenschliche Miteinander derzeit erfährt.
Logistische Herausforderung
Ihr selbst habe die isolierte Zeit in Beeskow gutgetan. Die seit mehr als zehn Jahren im Raum Potsdam lebende und arbeitende Künstlerin musste zwar einige alltagslogistische Herausforderungen meistern, um die Arbeit mit den Bedürfnissen ihrer Tochter in Einklang zu bringen. Eigentlich sollte ihr Aufenthalt länger dauern, aber wegen Covid 19 begann alles später als geplant. Einmal in Beeskow angekommen, sei ihr die dortige Gästewohnung aber überaus gut bekommen: "Es war schön, hier in einen ganz neuen Rhythmus zu finden und Ruhe zum Arbeiten zu haben."
Zu den Exponaten von "L’amour liquide" gehört auch eine überlebensgroße Peitsche, deren schwarzer, gebogener Stil mit seiner Latex-Verkleidung wie ein übergroßer schwarzer Schwanenhals anmutet. Die Riemen aber laufen in betont weichen, eleganten, fast zarten Enden aus. Ein irritierender Kontrast zu der harten, abgeklärten Fetisch-Anmutung der gezeigten Arbeiten. Und tatsächlich: Wesolowski sieht auch Chancen im Lockdown, und dass sich das Miteinander dauerhaft zum Guten verändern könne: "Ich habe das Gefühl, wir passen jetzt besser aufeinander auf."
Aber der Weg aus der Falle der Shopping-Logik von Beziehungen bleibt in den gezeigten Arbeiten ambivalent und uneindeutig, um nicht zu sagen gefährlich. Die Installation "Cascade amoureuse" inszeniert erotische Faszination als ein Spiegelkabinett in krassem pinkfarbenem Licht. Bei allem überbordenden Kitsch, bei aller ausgestellten Überinszenierung von Anziehungskraft und Zuneigung ist das auch kalt und abweisend. Wir können uns selbst verlieren in diesem Gefühl.
Ausstellung "L’amour liquide / Flüssige Liebe" von Cécile Wesolowski, Eröffnung am 12.6., 17.30 Uhr, dann bis 20.9., Di–So 10–18 Uhr, Burg Beeskow, Frankfurter Str. 23, Tel. 03366 352712
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