Aktuell forscht sie in einem kleinen Dorf zwischen Oder, Spree und Spreewald, das – wie so viele andere in der Region – aktiv an Entscheidungsprozessen am Bau neuer Windkraftanlagen partizipieren möchte.
Keine lineare Entwicklung
Ort und Namen nennt sie nicht, auch in ihrer Abschlussarbeit, die sie gerade vorbereitet und bis 2021 abschließen will, werden sie anonymisiert. Nach einem halben Jahr Feldforschung – zahlreichen Besuchen, Anhörungen und Gremiensitzungen, Gruppen- und Einzelinterviews – steckt die junge Forscherin aktuell mitten in der Auswertung ihres Materials.
Bisher kann sie nur sagen, dass sie noch nichts weiß: "Es gibt keine lineare Entwicklung oder Veränderung der Ansichten der Menschen." Die meisten Bewohner lebten schon seit dem Bau der ersten Anlagen in dem Dorf, viele hätten ihre Meinung mehrmals geändert.
Jede Person verfolge, so Weigelt, ihre eigenen Interessen, innerhalb der Gemeinschaft entstünden so immer neue Interessengruppen – "die aber immer auch inkludieren und exkludieren", betont die Forscherin.
Weigelt arbeitet gern sehr nah mit Menschen und der Person in ihrer Gesamtheit. "Ich habe das Gefühl, dass ich über den ganzheitlichen Ansatz, der auf Narrative aus ist, viel mehr erfahren kann als nur mit Zahlen und Daten", erläutert sie ihre Herangehensweise, die viele Besuche vor Ort erfordert. Zum ersten Mal fuhr sie im September 2019 in ihr Forschungsgebiet, seitdem zu allen öffentlichen Terminen und Dorffesten. Mittlerweile kommt sie auch privat gern wieder.
Auf das Dorf war sie einst durch einen Artikel in der Märkischen Oderzeitung gestoßen. Ihr Interesse weckte, dass der Ort durchaus bereits seit 15 Jahren Erfahrungen mit Windkraftanlagen in direkter Nachbarschaft machen konnte, sich nun trotzdem gegen eine erneute Erweiterung Widerstand regte. Zum Forschungsgegenstand gehört auch der Einfluss der Bewohner und deren Partizipationswege.
"Alle versuchen hier, ihr Größtmögliches zu tun, nehmen sämtliche demokratischen Möglichkeiten war", erzählt sie mit Bewunderung. "Durch alle Berufsgruppen hinweg – vom Uni-Mitarbeiter bis zur Sekretärin – machen sich alle die Mühe und lesen sich in den bürokratischen Kauderwelsch rund um die neuen geplanten Windkraftanlagen ein."
Grabenkämpfe sieht sie nicht, dennoch herrschten unterschiedliche Standpunkte vor. Personen, die in einem bestimmten Kontext – beispielsweise der Windkraft – unterschiedliche Linien verfolgten, könnten sich bald in einem anderen Zusammenhang, zum Beispiel der Feuerwehr, auch auf einer gemeinsamen Seite wiederfinden. "Das ist sehr fluide", so Weigelt, "ein Netzwerk beschreibt das besser."
Die Nähe oder Distanz der Sichten unterschiedlicher Personen sei immer abhängig vom Thema der Diskussion. Für ihre Arbeit hat sie sich noch nicht festgelegt: "Jedes Mal, wenn ich meine Unterlagen sichte, entdecke ich einen neuen Schwerpunkt, den ich in den Mittelpunkt stellen könnte." Sicherlich wird aber die Windkraft vorkommen.
"Der Roman ‚Unterleuten‘ beschreibt die Situation ganz gut", sagt Weigelt über ihr Forschungsdorf. Die neue ZDF-Verfilmung ist in aller Munde wie seit Jahren das Buch von Juli Zeh, die es selbst auch privat in die Brandenburger Provinz zog. Auch Anjuli Weigelt könnte sich diesen Schritt vorstellen: raus aus der Metropole, rein ins Land. "Ich fühle mich wohl auf dem Land, kann mich damit identifizieren – egal, woher ich ursprünglich komme." Nach ihrem Abschluss möchte sie gern weiter mit viel Bürgernähe arbeiten sowie sich mit dem Klimawandel und Erneuerbaren Energiequellen beschäftigen.
Menschliche Begegnungen
"Am Anfang hatte ich Angst vor Abneigung vor Ort gegenüber mir als Berlinerin, als Westdeutsche", räumt Weigelt ein. Aber es kam anders. "Ich wurde so herzlich empfangen und aufgenommen", erinnert sie sich. Wegen der schwierigen Verkehrsanbindung kam sie mit Rad, Zelt und Schlafsack. "Aber dann wurde das Abholen und auch Übernachtungen sogar mit Verpflegung für mich organisiert, entwickelte sich eine Eigendynamik der Gastfreundschaft mit meinen Gastgebern, sodass ich mein Zelt nie gebraucht habe."
Die Selbstverständlichkeit, mit der sie so gastfreundlich und herzlich angenommen wurde, haben sie sehr positiv überrascht: "Sehr menschlich ist man mir begegnet!"