Denn eigentlich will sie keine Presseinterviews mehr geben, nachdem eine ihrer Ideen zuletzt für viel Wirbel bis in internationalen Medien gesorgt hatte. Aber: "Ich mag das Wort ‚schwierig‘ nicht", sagt sie. Und nun erzählt sie doch wach und immer bereit zum Lachen von ihrem ersten Jahr als Bürgermeisterin: "Es war ein hartes, intensives, anstrengendes Jahr. Aber ich habe den Ansporn, wirklich etwas zu bewegen, etwas zu tun." Sie denkt nach. Und lacht wieder: "Das ist wie bei einem Marathonlauf: Man muss eine Vision vor Augen haben!" Nur so könne man Training und Rückschläge und Gegenwind überwinden. Und: "Das macht mir wirklich Spaß!"
"Alles wird anders!"
Ende Mai vergangenen Jahres holte Petra Dreißig vom Bündnis Zukunft Lieberose bei den Bürgermeisterwahlen 66,1 Prozent der Stimmen und löste ihre langjährige Vorgängerin Kerstin Michelchen (Freie Liste) ab, die auf 33,9 Prozent der Stimmen kam. "Lieberose könnte viel mehr aus sich machen!", betonte Dreißig schon im Vorfeld der Wahl. Das Bild des "Dornröschenschlafes" verwendet sie immer wieder gern für ihre Stadt. Wann wird sie aufwachen? Petra Dreißig will sie jedenfalls wecken.
Vorgestellt hatte sie sich ihre Arbeit allerdings zunächst anders, gibt sie lachend zu: "Ich war blauäugig. Ich dachte: Wenn ich Bürgermeisterin bin, wird alles anders!" Aber als ehrenamtliche Bürgermeisterin sind ihre Möglichkeiten doch beschränkt. Dreißig fand sich wieder am Reibungspunkt, als Vermittlerin, als Übersetzerin zwischen zwei Welten: Den Bürgern und ihren Bedürfnissen, den Stadtverordneten und eventuellen Befindlichkeiten ihnen gegenüber unter den Einwohnern sowie den übergeordneten Ebenen, dem Amt Lieberose/Oberspreewald und dem Landkreis Dahme-Spreewald.
Das Kommunalrecht und die -verfassung wurden so zu einem wichtigen Themenbereich, mit dem sie sich erst einmal intensiv befassen musste. Stadtverordnetensitzungen seien für sie noch immer aufregend, aber unter anderem von Amtsdirektor Bernd Boschan erhalte sie viel Unterstützung.
Ebenso wurde die Windkraft – vor allem die aktuellen Entwicklungen im Ortsteil Trebitz – für sie zu einem großen Schwerpunkt, in den sie sich erst einmal hineindenken musste. Die Geschäftsfrau hatte zuvor noch nie mit dem Thema und all den Faktoren zu tun gehabt, die man einbeziehen muss: die unterschiedlichen Ansätze und Herangehensweisen der Einwohner, der Windanlagenbauer, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Perspektive der Amt- und Kreisebene. Nach dem jüngsten Mediatorengespräch mit Anwohnern haben Letztere nun eine Umfrage erstellt, um schriftlich per Prioritätenliste ihre Interessen vorlegen zu können. Dass die Windräder kommen, ist "zu 95 Prozent sicher", sagt Dreißig. Aber es kann noch mehr Akzeptanz geschaffen werden. Themen sind dabei unter anderem Entschädigungszahlungen oder auch Strompreisermäßigungen.
Durch Vorschriften und Regularien sei das Amt – und damit auch sie – oft strikt gebunden. Das will Dreißig ehrlich, transparent und authentisch vermitteln. "Geduld ist vielleicht nicht meine größte Stärke", räumt sie ein, aber Fehler gebe sie zu. "Ich bemühe mich, ich zu sein, Mensch zu sein", betont sie. Eine diplomatische Herangehensweise und Hartnäckigkeit nennt sie als ihre Stärken. "Für das Amt bin ich sicher eine Herausforderung". Wieder lacht sie.
Überhaupt – und das ist ihr ein offensichtlich aufrichtiges Anliegen – will sie für mehr Vertrauen und Miteinander in ihrer Stadt sorgen. Das sei noch "ausbaufähig", auch damit mehr Verbundenheit entstehe. "Die Gemeinschaft ist ein bisschen eingeschlafen", das will sie ändern.
Dafür bietet sie regelmäßig einen Bürgertreff an. Außerdem steht eine neue Bürgerstiftung kurz vor dem Start. Aktuell fehlt nur noch die Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit durch die Stiftungsbehörde des Innenministeriums. Die Eigenverantwortlichkeit der Bürger und Bürgerinnen der Stadt soll gestärkt werden, indem sie selbst eigene Anliegen fördern können, für die der Stadthaushalt nicht mehr über ausreichend Ressourcen verfüge. Die Bereiche sind vielfältig: öffentliches Leben, Kunst, Natur und Tierschutz, Projekte für jüngere und ältere Menschen.
Kleine Freuden zählen auch
In der Adventszeit initiierte die gläubige Protestantin, ausgehend von dem Wort Liebe im Stadtnamen, die Aktion "Ein Licht der Liebe geht um die Welt" – um Lieberose über die Brandenburgischen Grenzen hinaus bekanntzumachen. Dass trotz der Corona-Pandemie eine Gruppe von Einwohnern einen Mai-Baum aufstellte, findet sie wunderbar. "Solche Kleinigkeiten schenken Freude", sagt sie dankbar, "es gibt viele stille Helfer." So freut sie sich über die Aktivitäten der Fußball- und Reitvereine, Arbeitseinsätze zur Bepflanzung des Marktes, der Verschönerung des Spielplatzes. Nur mehr Beteiligung könnten diese Aktionen noch finden. Und die zwei Seniorenvereine bräuchten dringend Nachfolger, um nicht gänzlich einzuschlafen.
"Aber wo Schatten ist, ist auch Licht", sagt sie optimistisch. Man könne meinen, Lieberose – im letzten Zipfel, am Rande zu den Nachbarkreisen Oder-Spree und Spree-Neiße gelegen – erscheine abgehängt. "Oder eben auch entschleunigt."
Das Schloss Lieberose ist nach der Absage des Kreises nun allerdings ein wirkliches Sorgenkind. Dreißig will unbedingt erreichen, dass sich ein Investor findet, der das historische Gebäude übernimmt, aber auch die Interessen der Stadt gewahrt, Schloss und Park weiter öffentlich zugänglich bleiben. So fragt sie überall herum, ob nicht jemand das Schloss übernehmen möchte. Eine zeit- und kräftezehrende Aufgabe. Wie so vieles, was für die Öffentlichkeit unsichtbar bleibe. Unzählige Telefonate, Besuche – beispielsweise in anderen Gemeinden zum Thema Bürgerstiftung –, Verhandlungen, Ideensuche. Auch die Baustellen Friedrich-Ebert- und Mühlenstraße dauerten an. Aber Dreißig nimmt es philosophisch: "Wenn ich etwas säe, kann ich auch nicht immer im ersten Jahr schon Früchte ernten."
"Muskelkater" vom Radweg
Die Zeit der Corona-Pandemie hat Dreißig unter all diesen Aktivitäten als geringere Herausforderung wahrgenommen. "Wir sind sehr gut durch die Zeit durchgekommen", sagt sie. Ohne Präsenzsitzungen konnten mit Amt und Stadtverordneten dennoch Eilentscheidungen getroffen werden, die Erkrankungszahlen blieben niedrig. Und auch sie selbst durfte als Grundversorgende mit Brot und Brötchen weiterhin ihr Geschäft öffnen.
Und sie konnte weiter an ihren Visionen für Lieberose arbeiten. Auch wenn sie mit ihrer jüngsten Idee – einem Radweg nach Moskau, für den sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Brief schrieb, von dem sie dem RBB erzählte – auf dem Marathon zur überregional bekannten Kleinstadt strauchelte. Anfragen von Medien aus aller Welt erreichten sie bald, Statements zu Russlands Innen- und Außenpolitik habe man ihr abringen wollen. Persönlich sei sie angegriffen worden. Über einen Offenen Brief konnte sie mit dem Verfasser Tobias Rotter immerhin persönlich sprechen und Missverständnisse ausräumen. Dennoch entschied sie: Nein, keine Interviews mehr.
Petra Dreißig hat viel gelernt in ihrem ersten Jahr als Lieberoser Bürgermeisterin, letztlich auch über Medienarbeit. Aber: "Ist das Leben nicht ein Lernprozess?!" Und sie steckt mitten im Training für den Marathon für "ihr Städtchen Lieberose". Und auch Muskelkater nach Probeläufen gehören für sie dazu. Und zu der Moskau-Idee sagt sie nur noch: "Der Radweg läuft weiter."
Zur Person Petra Dreißig
Petra Dreißig wurde 1975 in Guben geboren und lebt seit 2007 in Lieberose. Sie hatte nach dem Abitur Steuer-Fachangestellte gelernt und anschließend ein Studium der Betriebswirtschaftslehre absolviert. Ihre wirtschaftlichen Kenntnisse nutzte die Mutter eines Kindes, um im Familienbetrieb, einer Großbäckerei, verschiedene Leitungspositionen zu übernehmen. Im Jahr 2014 machte sie sich mit dem Café am Markt 6 in Lieberose selbstständig. Dort bekommt sie viel mit von Sorgen und Nöten der Niederlausitzer Kleinstadt. red