Im Museum Falkensee zeigt Museumsleiterin Gabriele Helbig ein schwarz-weiß Foto. Darauf abgebildet ist eine Villa in der heutigen Feuerbachstraße in Finkenkrug, umgeben von jungen Birken. Ein auf Säulen ruhender Balkon ziert das Haus auf dem Foto von 1924. Äußerlich hat es im Laufe der Zeit einige Veränderungen erfahren. Nicht unbedingt zu seinem Vorteil. Die Nutzung als Hort machte die eine oder andere bauliche Veränderung erforderlich. Das Kinderlachen das Haus erfüllt, hätte Gertud Kolmar sehr wahrscheinlich gefallen. Denn beruflich hatte sie sich Kindern gewidmet.
Die Schule, die zum Hort gehört, stand bereits, als 1912 das Haus in der Villenkolonie Finkenkrug gebaut wurde. Der Auftrag zum Bau kam von Dr. Paul Brüders. So schreibt es Prof. Dr. Richard Wagner in seinem Aufsatz für das Heimatjahrbuch 2012. Wagner hat hier sehr detail- und Kenntnisreich zur Villa in der damaligen Moltkestraße, die danach Manteuffelstraße heißen sollte und heute als Feuerbachstraße bekannt ist, geschrieben.
Gertrud Kolmar zieht 1928 nach Falkensee
1923 zieht die Familie Chodziesner in die Villa. Der Name leitet sich vom polnischen Ort Chodziesen ab, übersetzt Kolmar. Als die älteste Tochter Gertrud ihre Gedichte veröffentlicht, legt sie sich das Pseudonym Gertud Kolmar zu. Gertrud Kolmar zieht nach Studienreisen erst 1928 dauerhaft in Finkenkrug ein.
Die sprachbegabte Kolmar spricht Französisch, Englisch, Tschechisch, Flämisch, Spanisch und Russisch. Sie hat zuvor als Erzieherin und Sprachlehrerin gearbeitet. Nun bleibt sie im Hause der Eltern, pflegt die schwerkranke Mutter, führt dem Vater den Haushalt und arbeitet als Sekretärin für ihn. Wenn ihr Zeit bleibt, greift sie zur Feder und schreibt Gedichte, so lebendig und voller Sehnsucht und Liebe für die sie umgebende Natur. Der Vater züchtet im Garten Rosen. Dieser Garten, das viele Grün, die Tiere, all dies lässt sie in poetischen Versen weiterleben. Sie ist eine außerordentlich gute Beobachterin der Natur, hält das Gesehene für die Ewigkeit in ihren Gedichten fest.
Die Geschwister fliehen, Gertrud Kolmar stirbt in Auschwitz
Doch es legen sich Schatten über das Finkenkruger Idyll. Feinfühlig nimmt sie die drohende Düsternis wahr, noch lange bevor sich die Dunkelheit des Nationalsozialismus vollständig über das Land legt. Mit der Weitsichtigkeit einer modernen Casandra sieht sie, was sich da auf sie und die Juden Europas zubewegt. Ihre Zeilen werden düsterer, ihre Worte umso klarer.
In den Jahren 1938 und 1939 emigrieren die Geschwister, Gertud Kolmar bleibt bei ihrem Vater. Im Januar müssen Vater und Tochter die Villa räumen. Sie werden in einer sogenannten Juden-Wohnung untergebracht. Drei Jahre später wird der inzwischen 81-jährige Ludwig Chodziesner nach Theresienstadt deportiert, wo er im Februar 1943 stirbt. Nur einen Monat später wird Gertrud Kolmar mit dem 32. Osttransport nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Die große Lyrikerin wurde zum Opfer dessen, was sie so deutlich kommen sah.
Was wird aus dem Kolmar-Haus wenn der Hort weg ist?
Die Villa in Finkenkrug war ihre letzte selbst gewählte Adresse. Zwei Stolpersteine vor dem Grundstück erinnern an sie und ihren Vater. Eine Informationstafel verrät mehr zu den einstigen Bewohnern des Hauses. Auch am Haus selbst ist eine Erinnerungstafel angebracht. Auf dem Hof drum herumtoben die Kinder der benachbarten Lessing-Grundschule. Im Kolmar-Haus ist der Hort beheimatet.
Noch, denn nur wenige Meter weiter entsteht gerade der neue Hort. Größer, moderner und bald fertig. Was wird dann aus dem Kolmar-Haus? Das Haus steht nicht unter Denkmalschutz, zu gravierend waren die Veränderungen im Laufe der Zeit. Für die weitere Nutzung des Hauses wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Zu ihr gehören Vertretende der Lessing-Grundschule, der Stadtverordneten, der Stadtverwaltung, der Bibliothek und des Museums.
Haus soll an Lyrikerin erinnern und Bibliothek werden
Das Haus soll an Leben und Wirken der Lyrikerin Gertud Kolmar erinnern. Denkbar wäre eine kleine Schulbibliothek, in der auch öffentliche Lesestunden angeboten werden, schreibt die Stadt auf Nachfrage. Weitere Räume könnten jungen Streitschlichtern und Schülerlotsen zur Verfügung gestellt werden, heißt es hier weiter.
Für die Idee der Bibliothek kann sich auch Museumsleiterin Gabriele Helbig erwärmen. Dazu eine Informationstafel, die vom Leben Gertrud Kolmars erzählt. Diese Idee mag auch Cornelia Kremer, Schulleiterin der Lessing-Grundschule, mittragen. Allerdings müssten die Möglichkeiten erst einmal abgesteckt werden. Vorstellen könnte sie sich dies durchaus, gibt aber auch zu bedenken, dass die Werke der Gertrud Kolmar nichts für die unteren Jahrgänge der Schule sind. Auch sind die Zimmer im Haus recht klein, was die Nutzung ebenfalls einschränke, sagt sie. Drinnen sollen noch festverbaute Möbel aus der Zeit Gertrud Kolmars stehen.
Am 2. März 1943 wurde Gertrud Kolmar nach Auschwitz deportiert. Vermutlich starb sie einen Tag später im Gas, so wie viele, der etwa 1500 jüdischen Menschen, die mit ihr im Zug saßen. Möglicherweise gelingt achtzig Jahre später die Eröffnung der Gertrud Kolmar Schulbibliothek.
Weiteres rund um das Thema Immobilien gibt es auf unserer Themenseite.